Erfahrungsbericht: Leben im Internat

Ein Mädchen geht an einer Schule vorbei.
Was für mich erst nach Hanni-und-Nanni-Romantik klang, stellte sich als ernüchternd anders heraus.
Antonia Braun, funky-Jugendreporterin

Mein Wecker klingelt um 06:45 Uhr. Ich wache in dem französischen Internat auf, das ich für drei Monate besuche. Was für mich erst nach Hanni-und-Nanni-Romantik klang, stellte sich als ernüchternd anders heraus. Weder reiche Schnösel noch Schuluniformen oder Luxusmenüs, dafür ganz schön viel schnöde Realität.

Internate sind in Frankreich im Vergleich zu Deutschland sehr üblich. Fast jedes Lycée, also eine weiterführende Schule von der 10. Bis zur 12. Klasse, wird sowohl von externen als auch internen Schüler*innen besucht. Letzte wohnen unter der Woche im Internat. Das liegt daran, dass der weite Schulweg für viele an einem Tag nicht zu bewältigen wäre – in meinem Fall war das eine zweistündige Fahrt mit Auto, Zug und Straßenbahn. Ein Lycée, vom Leistungsniveau vergleichbar mit einem Gymnasium, steht nicht, wie es bei uns der Fall ist, in jedem größeren Ort. 

Das Ministère de l‘éducation nationale et de la jeunesse (Ministerium für Nationale Bildung und Jugend) wirbt auf seiner Website für das Internatswesen, es sei mehr als nur eine Unterbringungslösung. Vielmehr sichere es den Schulerfolg und die Bildung für alle Schüler*innen ab.

Das Lycée, das ich besuche, bietet zahlreiche interessante Optionen: Mode und Design, die Druckerei, eine Optikerlehre, Theater, Musik oder einen besonderen Fokus auf Deutsch oder Englisch. Für dieses reichhaltige Angebot nehmen viele die weite Entfernung und das damit verbundene Internatsleben in Kauf.

Bis 07:30 Uhr muss das Internatsgebäude jeden Morgen verlassen werden, Frühstück gibt es in der Kantine. Typisch Französisch: Das Baguette isst man ohne Teller und Kaffee oder Tee schlürft man aus einer Schüssel. Der Untericht beginnt eine Stunde nach dem Frühstück, man muss diese Zeit aber in Aufenhaltsräumen der Schule oder der Bibliothek totschlagen, da das Internat seine Türen erst um 18:00 Uhr wieder öffnet. Erschöpft von einem langen Schultag muss das Zimmer aber bereits eine halbe Stunde später wieder zum Abendessen verlassen werden. Nachtruhe ist ab 22:00 Uhr einzuhalten.

Auf jedem Stockwerk lebt eine „Surveillante“, also eine Aufseherin, die jeden Abend die Anwesenheiten kontrolliert und als Ansprechpartnerin zur Verfügung steht. Dabei handelt es sich meist um Studierende, die sich auf diese Weise etwas dazuverdienen. Nach einiger Zeit fiel mir auf, dass diese Surveillants sich ebenso um das Sekretariat kümmerten. Das Personal der Kantine übernahmen der Hausmeister- und der Putzservice. Wie ich erfuhr herrscht momentan ein großer Arbeitskräftemangel, der auch durch Corona verstärkt wurde. Das hatte die reduzierten Öffnungszeiten des Internates zur Folge. 

Ich musste kein geheimes Aufnahmeritual durchlaufen und es wurden mir auch keine Streiche gespielt. Wenn alle abends endlich in ihre Zimmer zurückkehren, das man sich in der Regel mit zwei anderen Mädchen teilt – und die Dusche wiederum zu sechst –, wird entweder für die Schule gelernt oder man unterhält sich ein bisschen. Viel Zeit bleibt allerdings selten. 

Es ist für französische Kinder und Jugendliche eine Selbstverständlichkeit, fast den ganzen Tag in der Schule zu verbringen. Aber jahrelang die Familie nur am Wochenende sehen zu können ist und bleibt für viele trotzdem schwierig. Obwohl sich besondere Freundschaften entwickeln und man eine gewisse Selbstständigkeit entwickelt, hat man doch kaum die Möglichkeit, Hobbies und Freizeit auszuleben. Ich war ziemlich froh, nach drei Monaten Austausch wieder zum deutschen Schulsystem zurückkehren zu können.  

Einige Erinnerungen bleiben dennoch. Der eine Abend, als alle Mädchen fröhlich ihre Matratzen in den Gang schleppten, um damit Menschendomino zu spielen und wir lachend aufeinanderfielen. Das fühlte sich dann doch an wie im Film.

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