Fast jede*r hat ihn, nicht jede*r mag ihn: Religionsunterricht. In einer diversen Gesellschaft ist es wichtig, den Religions-, Philosophie- und Ethikunterricht weltoffen und inklusiv zu gestalten, denn er schafft Verständnis und Toleranz zwischen allen Glaubensgruppen.
Amelie Bahlert, funky-Jugendreporterin
Wenn es doch immer so einfach wäre. Aus eigener Erfahrung kann ich berichten, dass es nicht immer so gut klappt mit der Inklusion. Ich ging auf eine katholische Grundschule. Da es die einzige Schule im Dorf war, zählten natürlich nicht ausschließlich Katholik*innen zu den Schulpflichtigen. Mich eingeschlossen waren drei Kinder protestantisch und drei weitere muslimisch – bei einer Klassenstärke von 25 Kindern. Anstatt nun verschiedene Religionen und ihre Bräuche zu lehren, sprach unsere Lehrerin nur über den Katholizismus. Ausflüge in die Dorfkirche waren regelmäßig Bestandteil des Unterrichts.
Dabei beobachtete ich aus der Distanz neidisch die katholischen Kinder, die irgendwann aufstanden, um Hostien zu probieren oder an Aschermittwoch ein Aschekreuz auf die Stirn gezeichnet bekamen. Ich fühlte mich ausgeschlossen, weil ich an den katholischen Riten nicht teilhaben durfte. Nicht etwa, weil ich so religiös war, sondern weil jedes Kind den Wunsch hat, dazuzugehören. Während Protestant*innen im Religionsunterricht zumindest geduldet wurden, erlebten meine muslimischen Mitschüler*innen den Unterricht anders – nämlich gar nicht. „Soweit ich mich erinnere, war ich immer vor der Tür“, berichtet mir mein Grundschulfreund Muhammed Kurt, der mit den anderen muslimischen Kindern vor der Klassentür oder im Computerraum die Zeit totschlug. Die drei wurden vom Religionsunterricht ausgeschlossen, ohne Alternative.
Was sich anhört wie ein Verstoß gegen die Schulpflicht und Diskriminierung aufgrund der Religion, war – und ist teilweise immer noch – die tolerierte Realität in vielen deutschen Schulen. Auch am Gymnasium war der Religionsunterricht nach wie vor ein „exklusiver Christ*innen-Club“. Während es für beide christlichen Konfessionen eigenes Lehrpersonal gab, verbrachten die anderen Kinder drei Stunden pro Woche im Aufenthaltsraum, um Hausaufgaben zu machen. Erst ab der siebten Klasse wurde bei uns in Nordrhein-Westfahlen Philosophie als verpflichtende Alternative zum Religionsunterricht angeboten. „Ich finde, es hat keinen pädagogischen Mehrwert, Kinder aus dem Religionsunterricht auszuschließen. Im Gegenteil, es hat meine Neugier auf die Religion eingeschränkt, selbst in der weiterführenden Schule“, so Muhammed.
Fegefeuer statt Inklusion
Inwiefern ist der Ausschluss von Kindern anderer Glaubensgruppen überhaupt kompatibel mit dem deutschen Konzept von Bildungsgerechtigkeit? Und wo soll das in einem modernen Deutschland hinführen, in dem die muslimische Bevölkerungsgruppe ein fester Bestandteil der Gemeinschaft ist?
Abgesehen vom Ausschluss einiger Kinder waren auch einige Lehrinhalte problematisch. So lernte ich in der Grundschule, dass man seine Pflicht als Gläubige*r erst erfülle, wenn man den Glauben nicht nur predige, sondern auch verbreite. Mit sieben versteht man noch nicht, dass man mit Missionierungsversuchen niemandem hilft.
Aus irgendeinem Grund empfand meine Lehrerin es außerdem als angemessen, uns über Himmel und Hölle zu unterrichten, über das Fegefeuer und auch den Limbus, auch Vorhölle genannt. Stell dir vor, du kommst aus einer atheistischen Familie – getauft wurde ich nur für die Party – und du lernst in der Schule, dass nur Gläubige in den Himmel kommen. Bei mir löste das Panik aus. Und bevor ich wusste, was Religion bedeutet, hatte ich im zarten Alter von acht Jahren schon jedes mögliche Szenario durchgespielt, in dem meine Familie plötzlich stirbt, sie endlose Qualen erlebt und ich nie wieder mit ihnen sprechen kann. Ich betete jede Nacht, in der Hoffnung, dass für meine Familie, wenn ich nur gläubig genug werde, vielleicht eine Ausnahme gemacht wird. Ich wurde gläubig aus Angst.
Damals wirkte der Glaube selbst und die Vorstellung von einem Leben nach dem Tod nicht wie eine Möglichkeit, sondern wie eine Tatsache. Ich hatte zuvor kaum Berührungspunkte mit der Kirche, also nahm ich alles sehr wörtlich, was mit erklärt wurde. Warum auch sollte mir meine Lehrerin auch die Unwahrheit sagen? Kein Grundschulkind kann zwischen einer mathematisch bewiesenen Gleichung und den Lehren der Kirche einen qualitativen Unterschied machen. Man lernt, was Erwachsene einem sagen und imitiert ihr Verhalten.
Im Endeffekt ist es kein Wunder, dass ich ab er Mittelstufe gegen jeden religiösen Einfluss rebellierte. Mit 14 schmiss ich eine Party, weil ich endlich den Konfirmationsunterricht abbrechen durfte und feierte mit 16 meinen Ausstieg aus der Kirche. Es hat lange gedauert – inzwischen bin ich 20 Jahre alt – bis ich gelernt habe, dass Glauben etwas Schönes sein kann, auch wenn ich mich in Kirchen weder zugehörig noch wohl fühle. Rückblickend war mein Religionsunterricht nichts weiter als ein pädagogischer Albtraum. Nicht der Glaube selbst hat meinen Weg zur Religion verschlossen, sondern fanatisch konfessionsbezogener Religionsunterricht, der in dieser Form nichts in Schulen verloren hat.
Wie war dein Religionsunterricht? Und wie soll moderner Religionsunterricht in Deutschland aussehen? Teile es mit uns auf Instagram!
Fast jede*r hat ihn, nicht jede*r mag ihn: Religionsunterricht. In einer diversen Gesellschaft ist es wichtig, den Religions-, Philosophie- und Ethikunterricht weltoffen und inklusiv zu gestalten, denn er schafft Verständnis und Toleranz zwischen allen Glaubensgruppen.
Wenn es doch immer so einfach wäre. Aus eigener Erfahrung kann ich berichten, dass es nicht immer so gut klappt mit der Inklusion. Ich ging auf eine katholische Grundschule. Da es die einzige Schule im Dorf war, zählten natürlich nicht ausschließlich Katholik*innen zu den Schulpflichtigen. Mich eingeschlossen waren drei Kinder protestantisch und drei weitere muslimisch – bei einer Klassenstärke von 25 Kindern. Anstatt nun verschiedene Religionen und ihre Bräuche zu lehren, sprach unsere Lehrerin nur über den Katholizismus. Ausflüge in die Dorfkirche waren regelmäßig Bestandteil des Unterrichts.
Dabei beobachtete ich aus der Distanz neidisch die katholischen Kinder, die irgendwann aufstanden, um Hostien zu probieren oder an Aschermittwoch ein Aschekreuz auf die Stirn gezeichnet bekamen. Ich fühlte mich ausgeschlossen, weil ich an den katholischen Riten nicht teilhaben durfte. Nicht etwa, weil ich so religiös war, sondern weil jedes Kind den Wunsch hat, dazuzugehören. Während Protestant*innen im Religionsunterricht zumindest geduldet wurden, erlebten meine muslimischen Mitschüler*innen den Unterricht anders – nämlich gar nicht. „Soweit ich mich erinnere, war ich immer vor der Tür“, berichtet mir mein Grundschulfreund Muhammed Kurt, der mit den anderen muslimischen Kindern vor der Klassentür oder im Computerraum die Zeit totschlug. Die drei wurden vom Religionsunterricht ausgeschlossen, ohne Alternative.
Was sich anhört wie ein Verstoß gegen die Schulpflicht und Diskriminierung aufgrund der Religion, war – und ist teilweise immer noch – die tolerierte Realität in vielen deutschen Schulen. Auch am Gymnasium war der Religionsunterricht nach wie vor ein „exklusiver Christ*innen-Club“. Während es für beide christlichen Konfessionen eigenes Lehrpersonal gab, verbrachten die anderen Kinder drei Stunden pro Woche im Aufenthaltsraum, um Hausaufgaben zu machen. Erst ab der siebten Klasse wurde bei uns in Nordrhein-Westfahlen Philosophie als verpflichtende Alternative zum Religionsunterricht angeboten. „Ich finde, es hat keinen pädagogischen Mehrwert, Kinder aus dem Religionsunterricht auszuschließen. Im Gegenteil, es hat meine Neugier auf die Religion eingeschränkt, selbst in der weiterführenden Schule“, so Muhammed.
Fegefeuer statt Inklusion
Inwiefern ist der Ausschluss von Kindern anderer Glaubensgruppen überhaupt kompatibel mit dem deutschen Konzept von Bildungsgerechtigkeit? Und wo soll das in einem modernen Deutschland hinführen, in dem die muslimische Bevölkerungsgruppe ein fester Bestandteil der Gemeinschaft ist?
Abgesehen vom Ausschluss einiger Kinder waren auch einige Lehrinhalte problematisch. So lernte ich in der Grundschule, dass man seine Pflicht als Gläubige*r erst erfülle, wenn man den Glauben nicht nur predige, sondern auch verbreite. Mit sieben versteht man noch nicht, dass man mit Missionierungsversuchen niemandem hilft.
Aus irgendeinem Grund empfand meine Lehrerin es außerdem als angemessen, uns über Himmel und Hölle zu unterrichten, über das Fegefeuer und auch den Limbus, auch Vorhölle genannt. Stell dir vor, du kommst aus einer atheistischen Familie – getauft wurde ich nur für die Party – und du lernst in der Schule, dass nur Gläubige in den Himmel kommen. Bei mir löste das Panik aus. Und bevor ich wusste, was Religion bedeutet, hatte ich im zarten Alter von acht Jahren schon jedes mögliche Szenario durchgespielt, in dem meine Familie plötzlich stirbt, sie endlose Qualen erlebt und ich nie wieder mit ihnen sprechen kann. Ich betete jede Nacht, in der Hoffnung, dass für meine Familie, wenn ich nur gläubig genug werde, vielleicht eine Ausnahme gemacht wird. Ich wurde gläubig aus Angst.
Damals wirkte der Glaube selbst und die Vorstellung von einem Leben nach dem Tod nicht wie eine Möglichkeit, sondern wie eine Tatsache. Ich hatte zuvor kaum Berührungspunkte mit der Kirche, also nahm ich alles sehr wörtlich, was mit erklärt wurde. Warum auch sollte mir meine Lehrerin auch die Unwahrheit sagen? Kein Grundschulkind kann zwischen einer mathematisch bewiesenen Gleichung und den Lehren der Kirche einen qualitativen Unterschied machen. Man lernt, was Erwachsene einem sagen und imitiert ihr Verhalten.
Im Endeffekt ist es kein Wunder, dass ich ab er Mittelstufe gegen jeden religiösen Einfluss rebellierte. Mit 14 schmiss ich eine Party, weil ich endlich den Konfirmationsunterricht abbrechen durfte und feierte mit 16 meinen Ausstieg aus der Kirche. Es hat lange gedauert – inzwischen bin ich 20 Jahre alt – bis ich gelernt habe, dass Glauben etwas Schönes sein kann, auch wenn ich mich in Kirchen weder zugehörig noch wohl fühle. Rückblickend war mein Religionsunterricht nichts weiter als ein pädagogischer Albtraum. Nicht der Glaube selbst hat meinen Weg zur Religion verschlossen, sondern fanatisch konfessionsbezogener Religionsunterricht, der in dieser Form nichts in Schulen verloren hat.
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