In Deutschland werden jährlich rund 11 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen. Die App „Too Good To Go“ will gegen diese immense Verschwendung von Ressourcen vorgehen: Sie bringt Nutzer*innen mit Betrieben zusammen, die ihr übriggebliebenes Essen zu kleineren Preisen verkaufen. Zwei Wochen lang habe ich „Too Good To Go“ getestet und mir vorgenommen, jeden Tag mindestens eine auf diese Weise gerettete Mahlzeit zu essen.
Lisa Rethmeier, funky-Jugendreporterin
Ich stehe in einer Bäckerei in Berlin und bekomme eine riesige Tüte in die Hände gedrückt. „Danke“, murmle ich überfordert von der Menge und sehe drei weitere volle Tüten auf der Ladentheke stehen. Schnell zeige ich meinen Kaufbeleg auf der App und entwerte die Bestellung mit einem Swipe. Es ist mein erstes Mal „Too Good To Go“. Für die zehn Brötchen und zwei Brote habe ich gerade mal 3,90 Euro bezahlt. Gewappnet mit Backwaren für eine Großfamilie stapfe ich nach Hause und weiß schon jetzt, was es in den nächsten Tagen zu essen geben wird.
Essen mit Überraschungseffekt
Cafés, Restaurants, Supermärkte oder Hotels – sie alle bieten auf der App „Too Good To Go“ ihr überschüssiges Essen günstiger an, damit es Menschen wie ich vor dem Abfall retten können. Über meinen Handystandort bekomme ich Angebote angezeigt, sogenannte „Magic Bags“, die sich in meiner Nähe befinden und ihrem Namen alle Ehre machen. In ihrer Beschreibung gibt es lediglich Hinweise, was diese Boxen enthalten könnten. Was genau man letztendlich aus der Tüte ziehen wird, weiß man allerdings nie, da es für die Betriebe schwer zu planen ist, was exakt an Essen übrigbleiben wird. Nachdem ich meine „Magic Bag“ gebucht habe, kann ich sie per PayPal oder Kreditkarte bezahlen und in dem angegebenen Zeitfenster abholen. Bis zu drei Stunden vor Abholzeit hat man die Möglichkeit, die Bestellung noch zu stornieren.
Für „Too Good To Go“ wäre es von Vorteil, mit mehr Menschen zusammenzuleben, beispielsweise in einer größeren WG.
Lisa Rethmeier
Leider bleibt auch nach einem sehr ausgiebigen Abendbrot mit meinem Freund viel zu viel von meinen geretteten und sehr leckeren Backwaren übrig. Ich versuche, so viele Brötchen wie möglich in unser viel zu kleines Gefrierfach zu stopfen. Schon am ersten Tag merke ich, dass es für „Too Good To Go“ von Vorteil wäre, mit mehr Menschen zusammenzuleben, beispielsweise in einer größeren WG.
Die nächsten zwei Tage scrolle ich in der Bahn oder zu Hause immer wieder durch die App – auf der Suche nach veganem Essen. Außer ein paar Käse-Ausnahmen ernähre ich mich in der Regel vegan. In Berlin ist das eigentlich auch kein Problem, in der App sieht die Sache aber anders aus. Vielleicht sind die anderen Veganer*innen aber auch einfach schneller als ich. So oder so: Ich entscheide mich dazu, meine Suche auf vegetarische Mahlzeiten zu erweitern. Und da das Essen normalerweise ohnehin in der Tonne landen würde, habe ich damit auch weniger ein Problem.
Essen retten kann anstrengend sein
Nach einer gefühlten Wagenladung verdrückter Backwaren soll es am vierten Tag meines Versuches endlich eine warme Mahlzeit geben. Wenig motiviert mache ich mich nach einem langen Arbeitstag auf den Weg nach Neukölln, wo ein übriggebliebenes Mittagessen auf mich wartet. Für 3,90 Euro bekomme ich Couscous, Salat und frittierten Blumenkohl mit Kräuterquark vorgesetzt. Das Essen ist okay, aber nichts Besonderes.
Aufregender als den Blumenkohl finde ich die Gegend. Durch die App lerne ich immer wieder neue Bezirke von Berlin kennen, in denen ich sonst wohl nicht gelandet wäre. Auf dem Heimweg mache ich einen langen Umweg in ein Café, um wieder einmal übriggebliebene Backwaren abzuholen – diesmal aber vegan. Mich erwarten leckere Schokocroissants, Brötchen, ein Gemüse-Wrap und ein frisch-gepresster Grapefruit-Saft für 4 Euro. Statt 40 Minuten brauche ich durch die zwei Zwischenstopps aber ganze zwei Stunden nach Hause. Essen retten kann wirklich zeitaufwendig sein.
Die nächsten Tage muss ich leider feststellen, dass es in meiner direkten Umgebung nicht viel Aufregendes zu holen gibt. Oft habe ich das Gefühl, die guten Sachen zu verpassen. Worauf aber immer Verlass ist, sind die guten, alten Backwaren. Sie lassen mich nie im Stich und begleiten mich jeden Tag durch meinen Selbstversuch. Es kommt vor, dass ich den Tag mit einem Stück Zitronenkuchen beginne und vor dem Schlafengehen noch schnell ein fettiges Schokocroissant verdrücke. Nein, gesünder ernähre ich mich durch „Too Good To Go“ sicherlich nicht.
Ich verpasse das Zeitfenster einer Abholung und muss nun inständig hoffen, dass das Essen nicht meinetwegen im Müll gelandet ist.
Lisa Rethmeier
Am achten Tag schaffe ich es aber endlich, meinen Backwaren-Alltag zu durchbrechen: Für 3,50 Euro bekomme ich krumme Karotten, schrumpelige Äpfel sowie Bananen, Sellerie und Paprika. Aus den Äpfeln mache ich einen Apfelkuchen. Leider schaffe ich es aber nicht, alles zu verwerten und die Karotten landen – vergessen in den Tiefen meines Kühlschrankes – eine Woche später im Müll. Und ich leiste mir noch einen anderen Fauxpas: Kurz vor Ende meines Selbstversuches verpasse ich das Zeitfenster einer Abholung und muss nun inständig hoffen, dass das Essen nicht meinetwegen im Müll gelandet ist.
Fazit: Backwaren über Backwaren
Nach zwei Wochen endet mein Selbstversuch. Von Backwaren habe ich erstmal genug. Die App ist sicherlich eine gute Möglichkeit, um sich bewusst zu machen, wie viele Lebensmittel eigentlich weggeworfen werden. Ich jedenfalls habe meineneigenen Konsum hinterfragt und werde nun in Zukunft bewusster einkaufen. „Too Good To Go“ werde ich bestimmt noch weiterhin nutzen, wenn auch nicht mehr so exzessiv. Lange Wege, zu große Portionen und knappe Zeitfenster können eben wirklich anstrengend sein. Gleichzeitig finde ich es schade, wie wenig Zeit heutzutage in die Essensbeschaffung gesteckt wird, da überall ein Supermarkt um die Ecke wartet, der von allem viel zu viel zu bieten hat. Nach all den Backwaren bleibt nun vor allem eine Frage in meinem Kopf hängen: Warum bloß leben wir in einer Gesellschaft, in der alle erwarten, auch kurz vor Ladenschluss noch das volle Brot- und Brötchensortiment vorzufinden?
In Deutschland werden jährlich rund 11 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen. Die App „Too Good To Go“ will gegen diese immense Verschwendung von Ressourcen vorgehen: Sie bringt Nutzer*innen mit Betrieben zusammen, die ihr übriggebliebenes Essen zu kleineren Preisen verkaufen. Zwei Wochen lang habe ich „Too Good To Go“ getestet und mir vorgenommen, jeden Tag mindestens eine auf diese Weise gerettete Mahlzeit zu essen.
Ich stehe in einer Bäckerei in Berlin und bekomme eine riesige Tüte in die Hände gedrückt. „Danke“, murmle ich überfordert von der Menge und sehe drei weitere volle Tüten auf der Ladentheke stehen. Schnell zeige ich meinen Kaufbeleg auf der App und entwerte die Bestellung mit einem Swipe. Es ist mein erstes Mal „Too Good To Go“. Für die zehn Brötchen und zwei Brote habe ich gerade mal 3,90 Euro bezahlt. Gewappnet mit Backwaren für eine Großfamilie stapfe ich nach Hause und weiß schon jetzt, was es in den nächsten Tagen zu essen geben wird.
Essen mit Überraschungseffekt
Cafés, Restaurants, Supermärkte oder Hotels – sie alle bieten auf der App „Too Good To Go“ ihr überschüssiges Essen günstiger an, damit es Menschen wie ich vor dem Abfall retten können. Über meinen Handystandort bekomme ich Angebote angezeigt, sogenannte „Magic Bags“, die sich in meiner Nähe befinden und ihrem Namen alle Ehre machen. In ihrer Beschreibung gibt es lediglich Hinweise, was diese Boxen enthalten könnten. Was genau man letztendlich aus der Tüte ziehen wird, weiß man allerdings nie, da es für die Betriebe schwer zu planen ist, was exakt an Essen übrigbleiben wird. Nachdem ich meine „Magic Bag“ gebucht habe, kann ich sie per PayPal oder Kreditkarte bezahlen und in dem angegebenen Zeitfenster abholen. Bis zu drei Stunden vor Abholzeit hat man die Möglichkeit, die Bestellung noch zu stornieren.
Leider bleibt auch nach einem sehr ausgiebigen Abendbrot mit meinem Freund viel zu viel von meinen geretteten und sehr leckeren Backwaren übrig. Ich versuche, so viele Brötchen wie möglich in unser viel zu kleines Gefrierfach zu stopfen. Schon am ersten Tag merke ich, dass es für „Too Good To Go“ von Vorteil wäre, mit mehr Menschen zusammenzuleben, beispielsweise in einer größeren WG.
Die nächsten zwei Tage scrolle ich in der Bahn oder zu Hause immer wieder durch die App – auf der Suche nach veganem Essen. Außer ein paar Käse-Ausnahmen ernähre ich mich in der Regel vegan. In Berlin ist das eigentlich auch kein Problem, in der App sieht die Sache aber anders aus. Vielleicht sind die anderen Veganer*innen aber auch einfach schneller als ich. So oder so: Ich entscheide mich dazu, meine Suche auf vegetarische Mahlzeiten zu erweitern. Und da das Essen normalerweise ohnehin in der Tonne landen würde, habe ich damit auch weniger ein Problem.
Essen retten kann anstrengend sein
Nach einer gefühlten Wagenladung verdrückter Backwaren soll es am vierten Tag meines Versuches endlich eine warme Mahlzeit geben. Wenig motiviert mache ich mich nach einem langen Arbeitstag auf den Weg nach Neukölln, wo ein übriggebliebenes Mittagessen auf mich wartet. Für 3,90 Euro bekomme ich Couscous, Salat und frittierten Blumenkohl mit Kräuterquark vorgesetzt. Das Essen ist okay, aber nichts Besonderes.
Aufregender als den Blumenkohl finde ich die Gegend. Durch die App lerne ich immer wieder neue Bezirke von Berlin kennen, in denen ich sonst wohl nicht gelandet wäre. Auf dem Heimweg mache ich einen langen Umweg in ein Café, um wieder einmal übriggebliebene Backwaren abzuholen – diesmal aber vegan. Mich erwarten leckere Schokocroissants, Brötchen, ein Gemüse-Wrap und ein frisch-gepresster Grapefruit-Saft für 4 Euro. Statt 40 Minuten brauche ich durch die zwei Zwischenstopps aber ganze zwei Stunden nach Hause. Essen retten kann wirklich zeitaufwendig sein.
Die nächsten Tage muss ich leider feststellen, dass es in meiner direkten Umgebung nicht viel Aufregendes zu holen gibt. Oft habe ich das Gefühl, die guten Sachen zu verpassen. Worauf aber immer Verlass ist, sind die guten, alten Backwaren. Sie lassen mich nie im Stich und begleiten mich jeden Tag durch meinen Selbstversuch. Es kommt vor, dass ich den Tag mit einem Stück Zitronenkuchen beginne und vor dem Schlafengehen noch schnell ein fettiges Schokocroissant verdrücke. Nein, gesünder ernähre ich mich durch „Too Good To Go“ sicherlich nicht.
Am achten Tag schaffe ich es aber endlich, meinen Backwaren-Alltag zu durchbrechen: Für 3,50 Euro bekomme ich krumme Karotten, schrumpelige Äpfel sowie Bananen, Sellerie und Paprika. Aus den Äpfeln mache ich einen Apfelkuchen. Leider schaffe ich es aber nicht, alles zu verwerten und die Karotten landen – vergessen in den Tiefen meines Kühlschrankes – eine Woche später im Müll. Und ich leiste mir noch einen anderen Fauxpas: Kurz vor Ende meines Selbstversuches verpasse ich das Zeitfenster einer Abholung und muss nun inständig hoffen, dass das Essen nicht meinetwegen im Müll gelandet ist.
Fazit: Backwaren über Backwaren
Nach zwei Wochen endet mein Selbstversuch. Von Backwaren habe ich erstmal genug. Die App ist sicherlich eine gute Möglichkeit, um sich bewusst zu machen, wie viele Lebensmittel eigentlich weggeworfen werden. Ich jedenfalls habe meinen eigenen Konsum hinterfragt und werde nun in Zukunft bewusster einkaufen. „Too Good To Go“ werde ich bestimmt noch weiterhin nutzen, wenn auch nicht mehr so exzessiv. Lange Wege, zu große Portionen und knappe Zeitfenster können eben wirklich anstrengend sein. Gleichzeitig finde ich es schade, wie wenig Zeit heutzutage in die Essensbeschaffung gesteckt wird, da überall ein Supermarkt um die Ecke wartet, der von allem viel zu viel zu bieten hat. Nach all den Backwaren bleibt nun vor allem eine Frage in meinem Kopf hängen: Warum bloß leben wir in einer Gesellschaft, in der alle erwarten, auch kurz vor Ladenschluss noch das volle Brot- und Brötchensortiment vorzufinden?
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