Dieser Tage scheint es leicht, den Mut zu verlieren: Die AfD ist zweitstärkste Fraktion im Bundestag, geopolitische Krisen und Konflikte schweben drohend am Horizont und die Klimakrise klopft immer lauter an unsere Tür. Viele junge Menschen sind eingeschüchtert, frustriert, hoffnungslos. Wie schafft man es, diese Ohnmacht zu überwinden und die eigene politische Handlungsmacht zu entdecken?
Ins politische Handeln kommen – dazu wollen die Radikalen Töchter anregen. Seit 2019 geht die Gruppe in Schulen, Jugendzentren, Ausbildungsbetriebe oder kulturelle Einrichtungen und gibt Workshops für Jugendliche, um sie spielerisch zu mehr politischer Teilhabe zu motivieren. Ihre Ansätze stammen aus der Aktionskunst und dem künstlerischen Aktivismus, immer mit einer guten Prise Humor. Ihr Motto: Macht kommt von Machen.
Cesy Leonard ist Aktionskünstlerin, dreifache Mutter, künstlerische Leiterin und eine der Gründerinnen von Radikale Töchter. Bevor sie sich der Aufgabe verschrieben hat, Jugendlichen ihre Möglichkeiten zum politischen Aktivismus aufzuzeigen, war sie unter anderem Graffiti-Künstlerin und Rapperin, drehte Filme und war lange Jahre Teil des „Zentrums für Politische Schönheit“. Ein Gespräch über die Schönheit politischer Aktionskunst, den Wandel des gesellschaftlichen Klimas und die politische Haltung, die schon in kleinen Dingen steckt.
Liebe Cesy, was hat euch zur Gründung der Radikalen Töchter bewegt? Cesy Leonard: Mich hat schon immer interessiert, Dinge nicht als gegeben hinzunehmen und den Status quo in Frage zu stellen – vor allem durch Kunst und Kultur. Mich inspirierte der Theatermacher Christoph Schlingensief, der das Theater anders denken wollte: Warum muss Theater eigentlich auf einer Bühne stattfinden und nicht draußen vor dem Haus? Lange Zeit habe ich mein Zuhause beim „Zentrum für Politische Schönheit“ gefunden, wo wir mit unseren Kunstaktionen politische Themen in Frage gestellt haben. Warum empfinden wir gewisse Sachen als normal – zum Beispiel, dass Menschen auf der Suche nach Asyl im Mittelmeer sterben? 2019 haben wir die Radikalen Töchter gegründet, weil wir gemerkt haben, dass unsere Aktionskunst ganz viele Menschen dazu inspiriert hat, ins politische Handeln zu kommen. Also wollten wir noch mehr Menschen und junge Leute begeistern, politisch aktiv zu werden und aktionskünstlerisch unterwegs zu sein. Und dabei wollten wir eben nicht nur die Jugendlichen erreichen, die eh schon politisiert sind, sondern in die Mitte der Gesellschaft gehen.
„Sich gegenseitig zuzuhören, ist der erste politische Akt“, sagt Cesy Leonard. (c) Meike Kenn
Was bedeutet für dich politische Aktionskunst und warum kann sie einen Unterschied machen? Das Tolle an politischer Aktionskunst ist, dass sie sehr ernste Themen behandelt und es gleichzeitig schafft, diese Themen mit einer Geschichte zu verbinden, die uns emotionalisiert und berührt – ganz anders, als uns eine reine Nachrichtenmeldung erreichen könnte. Sie animiert zum Mitmachen und zeigt einem auf: Hey, du kannst Teil davon sein. Du kannst mit auf die Straße gehen und uns unterstützen, indem du vielleicht Sticker klebst oder ein Plakat entwirfst. Politische Aktionskunst hat etwas Niedrigschwelliges, Humorvolles und enorm Empowerndes. Sie ist außerdem sehr inklusiv, denn es braucht kein Vorwissen, weder über Kunst noch Politik. Wir vermitteln den jungen Menschen: Politisch sein beginnt schon bei einem Gerechtigkeitsgefühl.
Wie laufen eure Workshops ab? In den Workshops bringen wir zur Inspiration viele Aktionskunst-Beispiele aus aller Welt mit. Was haben Menschen schon alles gemacht, um auf politische Themen aufmerksam zu machen? Das eröffnet ein weites Feld. Normalerweise denken die meisten Menschen nur an Parteien oder Demonstrationen, wenn es darum geht, politisch aktiv zu sein. Dann geht es im zweiten Schritt darum, zu fragen: Was macht dich wütend? Was möchtest du ändern? Daraus erarbeiten wir ein Thema und anschließend entstehen eigene politische Aktionen. Wenn man sich nur ein paar Stunden trifft, erarbeiten wir Ideen. Wenn man über zwei Tage zusammenkommt, gehen wir in den öffentlichen Raum und testen erste Aktionen.
Ist dir eine besonders spektakuläre Aktion im Gedächtnis geblieben? Bei einer Aktion haben die Teilnehmer:innen eines Workshops über Nacht eine Bäckerei umbenannt, die einen rassistischen Namen hatte. Sie haben ein neues Schild angebracht und das Ganze mit einem kleinen Film über die Kleinstadt verbunden. Sie haben ganze viele Menschen zur Umbenennung der Bäckerei interviewt und einfach so getan, als hätte die Bäckerei das selbst gemacht. Bei einer anderen Aktion wurde eine Kürbisausstellung gekapert und alle Kürbisse wurden mit Demoschildern gegen die AfD versehen. So etwas ist natürlich spektakulär, darüber schreibt dann gerne auch die Presse. Mir ist aber sehr wichtig, zu betonen, dass politische Arbeit schon im Kleinen anfängt. Wir wollen gerade auch als feministische Gruppe davon wegkommen, dass es unbedingt eine spektakuläre Aktion sein muss, die eine Pressemeldung provoziert. Eine Geschichte ist mir im Kopf geblieben, als ein junger Mann seine Eltern zu einem Workshop mitgebracht hat. Hinterher war er so dankbar und sagte, dass er sich immer genau solche Gespräche mit seinen Eltern gewünscht habe. Das ist diese unsichtbare politische Arbeit, der wir mehr Aufmerksamkeit schenken wollen. Sich gegenseitig zuzuhören, ist der erste politische Akt, der sehr wichtig ist.
Abgesehen von Berichten in der Presse kann ich mir vorstellen, dass euch bei solchen Aktionen viele spontane Reaktionen erreichen. Wie geht ihr damit um? Grundsätzlich sind die Reaktionen sehr von der Aktion abhängig: Zielt sie nur darauf ab, dass die Menschen kurz stehenbleiben und schmunzeln – oder sollen sie beispielsweise ihr Wahlverhalten ändern? Was politische Aktionskunst von politischem Aktivismus unterscheidet, ist in meinen Augen, dass Aktionskunst auch einfach nur aufmerksam machen darf. Aufrütteln, Innehalten, zum Nachdenken anregen. Aktionskunst funktioniert nicht ohne ein Publikum, das reagiert. Uns ist aber auch bewusst, dass es viel mehr Mut bedarf, überhaupt in die Öffentlichkeit zu treten, wenn man etwa in einer ostdeutschen Kleinstadt lebt, wo viel AfD gewählt wird. Da können durchaus sehr gefährliche Reaktionen kommen. Oder alle Sticker sind am nächsten Tag schon abgekratzt. Einerseits können wir dann durch die Erfahrungen Hilfestellung leisten, die wir selbst als Aktionskünstler:innen gemacht haben. Andererseits sind die Personen, mit denen wir vor Ort arbeiten, meist selbst die Expert:innen und wissen, wie weit sie gehen können. Es muss aber auch nicht gleich eine Riesenaktion sein. Wir wollen dazu inspirieren, ins Machen zu kommen. Lieber fünf Postkarten im Dorf verteilen oder etwas mit Kreide auf die Straße schreiben, als nichts getan zu haben. Das zeigt, dass man trotz des Gefühls von politischer Ohnmacht standhaft bleiben kann.
Cesy Leonard (li.) und Josephin Haardt (re.) bei einem Vortrag. (c) Radikale Töchter
Hast du das Gefühl, dass deine Arbeit junge Menschen nachhaltig beeinflusst, sie beispielsweise öfter aktiv werden? Wir hoffen natürlich, dass unsere Arbeit langfristig ist. Nach unseren Workshops führen wir immer eine Evaluation durch: Wie politisch fühlst du dich jetzt im Gegensatz zu vorher? Fühlst du dich energetisiert, hast du Lust, zu handeln? In vielen Fällen melden wir uns nach einem halben Jahr noch einmal telefonisch und fragen nach. Es ist uns wichtig, in Kontakt zu bleiben, beispielsweise über Instagram oder über unsere Telegram-Gruppe. Wir bauen auch gerade ein Beratungsnetzwerk auf, damit sich Menschen kostenfrei an uns richten und sich Beratung holen können, wenn sie eine Idee für eine Aktion haben. Und wir haben ein Stipendiat:innen-Programm, wo wir mit jungen Leuten über anderthalb Jahre gemeinsam Aktionen ausarbeiten.
Ihr seid viel in Ostdeutschland aktiv, wo die AfD in den letzten Jahren besonders starken Zuspruch erfahren hat, auch unter jungen Menschen. Du hast schon angesprochen, dass sich das in eurer Arbeit bemerkbar macht. Inwiefern hat sich das Klima verändert? Es hat sich sehr verändert. Mit migrantisch gelesenen Workshop-Trainer:innen überlegen wir uns zum Beispiel vorher genau, in welchen Ort sie fahren möchten und wo sie sich sicher fühlen. Das sind Kleinigkeiten wie „Lauf nicht abends allein zum Bahnhof“, die aber für viele Menschen, die nicht als deutsch gelesen werden, die Realität sind. Vor ein paar Jahren haben wir uns nicht so viele Gedanken gemacht. Mittlerweile kommt es auch vor, dass wir explizit an eine Schule gerufen werden, weil dort viele Jugendliche rechtsextremen Quatsch nachplappern. Das wird noch eine Riesenaufgabe sein, für die es starke Lehrkräfte und Verbände braucht. Da wird leider immer noch viel gekuscht. Grundsätzlich erlebe ich bei den Schüler:innen aber viel Hinterhergequatsche und wenig ideologisch-fundierte Nazis. Daher braucht es umso mehr Erwachsene, die mit gutem Beispiel vorangehen und ganz klar sagen: Keine Toleranz gegenüber den Intoleranten.
Als ihr die Radikalen Töchter gegründet habt, war auch „Fridays for Future“ noch ein großes Thema. Man hatte das Gefühl, dass jungen Menschen sehr politisch sind und sich für wichtige Dinge einsetzen. Ein paar Jahre später ist davon kaum etwas übrig, dafür gibt es eine Bewegung an neuen, TikTok-radikalisierten jungen Rechten. Kannst du dir erklären, wie dieser Shift vonstatten gegangen ist? Zum einen glaube ich, dass es zu der Zeit von „Fridays for Future“ auch ein Trend war, politisch zu sein. Es gab viele Überzeugte, aber auch viele Freund:innen von Überzeugten. Das ist natürlich großartig, denn so entstehen politische Bewegungen. Aber ich glaube, dass auch viel Ohnmacht daraus entstanden ist, weil sich einfach nicht viel verändert hat und wir nur immer tiefer in die Klimakrise rutschen. Und dann gibt es dieses Backlash-Thema, diese Gegenreaktion, die sich gebildet hat. Gerade bei den männlichen Jugendlichen, wo es auf feministischer Ebene plötzlich heißt „Frauen zurück an den Herd“ – natürlich immer in Verbindung mit der AfD. Aber auch da würde ich sagen, dass die meisten nicht überzeugt rechtsextrem sind, sie wählen aber trotzdem eine Partei, die gesichert rechtsextrem ist. Das ist einfach verrückt.
Mir scheint, es gibt auch eine Lagerbildung unter jungen Menschen. Nach dem Motto: Ich bin nicht dafür, also bin ich dagegen. Genau. Auch das versuchen wir mit unserer Arbeit zu adressieren und diesem Lagerdenken etwas entgegenzuhalten. Wenn wir als „links-grün-versifft“ gelesene Feminist:innen – das sage ich natürlich mit einem Augenzwinkern – in Schulklassen im ländlichen Raum in Sachsen gehen, dann erklären wir bewusst, warum wir beispielsweise gendern. Wir hören uns aber auch bewusst an: Was sind eure Themen? Was geht euch auf die Nerven? Nicht von oben herab, sondern mit wirklichem Interesse. Wenn ich dich nach deiner idealen Vorstellung von Demokratie frage, dann ist diese genauso wichtig und wertvoll wie meine Vorstellung von Demokratie. Dafür müssen wir aber erst einmal ins Gespräch kommen. Das ist ein sehr wichtiger Teil unserer Arbeit.
Wie schafft man es, angesichts der aktuellen politischen Lage die eigene Schockstarre zu überwinden und den Mut zu fassen, politisch aktiv zu werden? Als erstes würde ich sagen: Es ist vollkommen okay, auch mal in Schockstarre zu verfallen oder sich ohnmächtig zu fühlen. Denn je schneller man akzeptiert, dass man sich down oder hoffnungslos fühlt, desto schneller kommt man da wieder heraus. Suche dir aktiv Räume, in denen du dich gut fühlen und diese Hoffnungslosigkeit überwinden kannst. Das heißt: Verbinde dich mit Freund:innen, die etwas Cooles gemacht haben. Schreibe jemanden an, den du toll findest. Stichwort Banden bilden. Und dann würde ich sagen: Einfach mal machen. Das kann etwas ganz Kleines sein, wie mit den eigenen Eltern über Politik oder über Gefühle zu sprechen. Auch das bedeutet, sich selbst als politisches Subjekt wahrzunehmen, das auf andere einwirken und eine politische Haltung in die Welt bringen kann. Das ist ebenso wichtig und gut, wie im Netz zu argumentieren. Mein letzter Tipp wäre, nicht vom Ende her zu denken. Man muss nicht gleich eine Aktion wie das „Zentrum für Politische Schönheit“ auf die Beine stellen, damit es wertig ist. Man kann auch ein paar Sticker drucken lassen und die im Jugendclub auf der Toilette verteilen. Das kann eine Person, die das liest, dazu bringen, mal anders zu denken. Glaube daran, dass du die Kraft hast, etwas zu bewirken.
Für alle, die jetzt Interesse bekommen haben: Wo finden eure Workshops statt und wie kann man daran teilnehmen? Am besten folgt man uns auf Instagram bei @radikaletoechter, da erfährt man eigentlich alles Wichtige. Außerdem haben wir unsere Telegram-Gruppe, da posten wir beispielsweise auch digitale Workshops. Ansonsten: Meldet euch einfach direkt bei uns.
Dieser Tage scheint es leicht, den Mut zu verlieren: Die AfD ist zweitstärkste Fraktion im Bundestag, geopolitische Krisen und Konflikte schweben drohend am Horizont und die Klimakrise klopft immer lauter an unsere Tür. Viele junge Menschen sind eingeschüchtert, frustriert, hoffnungslos. Wie schafft man es, diese Ohnmacht zu überwinden und die eigene politische Handlungsmacht zu entdecken?
Ins politische Handeln kommen – dazu wollen die Radikalen Töchter anregen. Seit 2019 geht die Gruppe in Schulen, Jugendzentren, Ausbildungsbetriebe oder kulturelle Einrichtungen und gibt Workshops für Jugendliche, um sie spielerisch zu mehr politischer Teilhabe zu motivieren. Ihre Ansätze stammen aus der Aktionskunst und dem künstlerischen Aktivismus, immer mit einer guten Prise Humor. Ihr Motto: Macht kommt von Machen.
Cesy Leonard ist Aktionskünstlerin, dreifache Mutter, künstlerische Leiterin und eine der Gründerinnen von Radikale Töchter. Bevor sie sich der Aufgabe verschrieben hat, Jugendlichen ihre Möglichkeiten zum politischen Aktivismus aufzuzeigen, war sie unter anderem Graffiti-Künstlerin und Rapperin, drehte Filme und war lange Jahre Teil des „Zentrums für Politische Schönheit“. Ein Gespräch über die Schönheit politischer Aktionskunst, den Wandel des gesellschaftlichen Klimas und die politische Haltung, die schon in kleinen Dingen steckt.
Liebe Cesy, was hat euch zur Gründung der Radikalen Töchter bewegt?
Cesy Leonard: Mich hat schon immer interessiert, Dinge nicht als gegeben hinzunehmen und den Status quo in Frage zu stellen – vor allem durch Kunst und Kultur. Mich inspirierte der Theatermacher Christoph Schlingensief, der das Theater anders denken wollte: Warum muss Theater eigentlich auf einer Bühne stattfinden und nicht draußen vor dem Haus? Lange Zeit habe ich mein Zuhause beim „Zentrum für Politische Schönheit“ gefunden, wo wir mit unseren Kunstaktionen politische Themen in Frage gestellt haben. Warum empfinden wir gewisse Sachen als normal – zum Beispiel, dass Menschen auf der Suche nach Asyl im Mittelmeer sterben? 2019 haben wir die Radikalen Töchter gegründet, weil wir gemerkt haben, dass unsere Aktionskunst ganz viele Menschen dazu inspiriert hat, ins politische Handeln zu kommen. Also wollten wir noch mehr Menschen und junge Leute begeistern, politisch aktiv zu werden und aktionskünstlerisch unterwegs zu sein. Und dabei wollten wir eben nicht nur die Jugendlichen erreichen, die eh schon politisiert sind, sondern in die Mitte der Gesellschaft gehen.
Was bedeutet für dich politische Aktionskunst und warum kann sie einen Unterschied machen?
Das Tolle an politischer Aktionskunst ist, dass sie sehr ernste Themen behandelt und es gleichzeitig schafft, diese Themen mit einer Geschichte zu verbinden, die uns emotionalisiert und berührt – ganz anders, als uns eine reine Nachrichtenmeldung erreichen könnte. Sie animiert zum Mitmachen und zeigt einem auf: Hey, du kannst Teil davon sein. Du kannst mit auf die Straße gehen und uns unterstützen, indem du vielleicht Sticker klebst oder ein Plakat entwirfst. Politische Aktionskunst hat etwas Niedrigschwelliges, Humorvolles und enorm Empowerndes. Sie ist außerdem sehr inklusiv, denn es braucht kein Vorwissen, weder über Kunst noch Politik. Wir vermitteln den jungen Menschen: Politisch sein beginnt schon bei einem Gerechtigkeitsgefühl.
Wie laufen eure Workshops ab?
In den Workshops bringen wir zur Inspiration viele Aktionskunst-Beispiele aus aller Welt mit. Was haben Menschen schon alles gemacht, um auf politische Themen aufmerksam zu machen? Das eröffnet ein weites Feld. Normalerweise denken die meisten Menschen nur an Parteien oder Demonstrationen, wenn es darum geht, politisch aktiv zu sein. Dann geht es im zweiten Schritt darum, zu fragen: Was macht dich wütend? Was möchtest du ändern? Daraus erarbeiten wir ein Thema und anschließend entstehen eigene politische Aktionen. Wenn man sich nur ein paar Stunden trifft, erarbeiten wir Ideen. Wenn man über zwei Tage zusammenkommt, gehen wir in den öffentlichen Raum und testen erste Aktionen.
Ist dir eine besonders spektakuläre Aktion im Gedächtnis geblieben?
Bei einer Aktion haben die Teilnehmer:innen eines Workshops über Nacht eine Bäckerei umbenannt, die einen rassistischen Namen hatte. Sie haben ein neues Schild angebracht und das Ganze mit einem kleinen Film über die Kleinstadt verbunden. Sie haben ganze viele Menschen zur Umbenennung der Bäckerei interviewt und einfach so getan, als hätte die Bäckerei das selbst gemacht. Bei einer anderen Aktion wurde eine Kürbisausstellung gekapert und alle Kürbisse wurden mit Demoschildern gegen die AfD versehen. So etwas ist natürlich spektakulär, darüber schreibt dann gerne auch die Presse. Mir ist aber sehr wichtig, zu betonen, dass politische Arbeit schon im Kleinen anfängt. Wir wollen gerade auch als feministische Gruppe davon wegkommen, dass es unbedingt eine spektakuläre Aktion sein muss, die eine Pressemeldung provoziert. Eine Geschichte ist mir im Kopf geblieben, als ein junger Mann seine Eltern zu einem Workshop mitgebracht hat. Hinterher war er so dankbar und sagte, dass er sich immer genau solche Gespräche mit seinen Eltern gewünscht habe. Das ist diese unsichtbare politische Arbeit, der wir mehr Aufmerksamkeit schenken wollen. Sich gegenseitig zuzuhören, ist der erste politische Akt, der sehr wichtig ist.
Abgesehen von Berichten in der Presse kann ich mir vorstellen, dass euch bei solchen Aktionen viele spontane Reaktionen erreichen. Wie geht ihr damit um?
Grundsätzlich sind die Reaktionen sehr von der Aktion abhängig: Zielt sie nur darauf ab, dass die Menschen kurz stehenbleiben und schmunzeln – oder sollen sie beispielsweise ihr Wahlverhalten ändern? Was politische Aktionskunst von politischem Aktivismus unterscheidet, ist in meinen Augen, dass Aktionskunst auch einfach nur aufmerksam machen darf. Aufrütteln, Innehalten, zum Nachdenken anregen. Aktionskunst funktioniert nicht ohne ein Publikum, das reagiert. Uns ist aber auch bewusst, dass es viel mehr Mut bedarf, überhaupt in die Öffentlichkeit zu treten, wenn man etwa in einer ostdeutschen Kleinstadt lebt, wo viel AfD gewählt wird. Da können durchaus sehr gefährliche Reaktionen kommen. Oder alle Sticker sind am nächsten Tag schon abgekratzt. Einerseits können wir dann durch die Erfahrungen Hilfestellung leisten, die wir selbst als Aktionskünstler:innen gemacht haben. Andererseits sind die Personen, mit denen wir vor Ort arbeiten, meist selbst die Expert:innen und wissen, wie weit sie gehen können. Es muss aber auch nicht gleich eine Riesenaktion sein. Wir wollen dazu inspirieren, ins Machen zu kommen. Lieber fünf Postkarten im Dorf verteilen oder etwas mit Kreide auf die Straße schreiben, als nichts getan zu haben. Das zeigt, dass man trotz des Gefühls von politischer Ohnmacht standhaft bleiben kann.
Hast du das Gefühl, dass deine Arbeit junge Menschen nachhaltig beeinflusst, sie beispielsweise öfter aktiv werden?
Wir hoffen natürlich, dass unsere Arbeit langfristig ist. Nach unseren Workshops führen wir immer eine Evaluation durch: Wie politisch fühlst du dich jetzt im Gegensatz zu vorher? Fühlst du dich energetisiert, hast du Lust, zu handeln? In vielen Fällen melden wir uns nach einem halben Jahr noch einmal telefonisch und fragen nach. Es ist uns wichtig, in Kontakt zu bleiben, beispielsweise über Instagram oder über unsere Telegram-Gruppe. Wir bauen auch gerade ein Beratungsnetzwerk auf, damit sich Menschen kostenfrei an uns richten und sich Beratung holen können, wenn sie eine Idee für eine Aktion haben. Und wir haben ein Stipendiat:innen-Programm, wo wir mit jungen Leuten über anderthalb Jahre gemeinsam Aktionen ausarbeiten.
Ihr seid viel in Ostdeutschland aktiv, wo die AfD in den letzten Jahren besonders starken Zuspruch erfahren hat, auch unter jungen Menschen. Du hast schon angesprochen, dass sich das in eurer Arbeit bemerkbar macht. Inwiefern hat sich das Klima verändert?
Es hat sich sehr verändert. Mit migrantisch gelesenen Workshop-Trainer:innen überlegen wir uns zum Beispiel vorher genau, in welchen Ort sie fahren möchten und wo sie sich sicher fühlen. Das sind Kleinigkeiten wie „Lauf nicht abends allein zum Bahnhof“, die aber für viele Menschen, die nicht als deutsch gelesen werden, die Realität sind. Vor ein paar Jahren haben wir uns nicht so viele Gedanken gemacht. Mittlerweile kommt es auch vor, dass wir explizit an eine Schule gerufen werden, weil dort viele Jugendliche rechtsextremen Quatsch nachplappern. Das wird noch eine Riesenaufgabe sein, für die es starke Lehrkräfte und Verbände braucht. Da wird leider immer noch viel gekuscht. Grundsätzlich erlebe ich bei den Schüler:innen aber viel Hinterhergequatsche und wenig ideologisch-fundierte Nazis. Daher braucht es umso mehr Erwachsene, die mit gutem Beispiel vorangehen und ganz klar sagen: Keine Toleranz gegenüber den Intoleranten.
Als ihr die Radikalen Töchter gegründet habt, war auch „Fridays for Future“ noch ein großes Thema. Man hatte das Gefühl, dass jungen Menschen sehr politisch sind und sich für wichtige Dinge einsetzen. Ein paar Jahre später ist davon kaum etwas übrig, dafür gibt es eine Bewegung an neuen, TikTok-radikalisierten jungen Rechten. Kannst du dir erklären, wie dieser Shift vonstatten gegangen ist?
Zum einen glaube ich, dass es zu der Zeit von „Fridays for Future“ auch ein Trend war, politisch zu sein. Es gab viele Überzeugte, aber auch viele Freund:innen von Überzeugten. Das ist natürlich großartig, denn so entstehen politische Bewegungen. Aber ich glaube, dass auch viel Ohnmacht daraus entstanden ist, weil sich einfach nicht viel verändert hat und wir nur immer tiefer in die Klimakrise rutschen. Und dann gibt es dieses Backlash-Thema, diese Gegenreaktion, die sich gebildet hat. Gerade bei den männlichen Jugendlichen, wo es auf feministischer Ebene plötzlich heißt „Frauen zurück an den Herd“ – natürlich immer in Verbindung mit der AfD. Aber auch da würde ich sagen, dass die meisten nicht überzeugt rechtsextrem sind, sie wählen aber trotzdem eine Partei, die gesichert rechtsextrem ist. Das ist einfach verrückt.
Mir scheint, es gibt auch eine Lagerbildung unter jungen Menschen. Nach dem Motto: Ich bin nicht dafür, also bin ich dagegen.
Genau. Auch das versuchen wir mit unserer Arbeit zu adressieren und diesem Lagerdenken etwas entgegenzuhalten. Wenn wir als „links-grün-versifft“ gelesene Feminist:innen – das sage ich natürlich mit einem Augenzwinkern – in Schulklassen im ländlichen Raum in Sachsen gehen, dann erklären wir bewusst, warum wir beispielsweise gendern. Wir hören uns aber auch bewusst an: Was sind eure Themen? Was geht euch auf die Nerven? Nicht von oben herab, sondern mit wirklichem Interesse. Wenn ich dich nach deiner idealen Vorstellung von Demokratie frage, dann ist diese genauso wichtig und wertvoll wie meine Vorstellung von Demokratie. Dafür müssen wir aber erst einmal ins Gespräch kommen. Das ist ein sehr wichtiger Teil unserer Arbeit.
Wie schafft man es, angesichts der aktuellen politischen Lage die eigene Schockstarre zu überwinden und den Mut zu fassen, politisch aktiv zu werden?
Als erstes würde ich sagen: Es ist vollkommen okay, auch mal in Schockstarre zu verfallen oder sich ohnmächtig zu fühlen. Denn je schneller man akzeptiert, dass man sich down oder hoffnungslos fühlt, desto schneller kommt man da wieder heraus. Suche dir aktiv Räume, in denen du dich gut fühlen und diese Hoffnungslosigkeit überwinden kannst. Das heißt: Verbinde dich mit Freund:innen, die etwas Cooles gemacht haben. Schreibe jemanden an, den du toll findest. Stichwort Banden bilden. Und dann würde ich sagen: Einfach mal machen. Das kann etwas ganz Kleines sein, wie mit den eigenen Eltern über Politik oder über Gefühle zu sprechen. Auch das bedeutet, sich selbst als politisches Subjekt wahrzunehmen, das auf andere einwirken und eine politische Haltung in die Welt bringen kann. Das ist ebenso wichtig und gut, wie im Netz zu argumentieren. Mein letzter Tipp wäre, nicht vom Ende her zu denken. Man muss nicht gleich eine Aktion wie das „Zentrum für Politische Schönheit“ auf die Beine stellen, damit es wertig ist. Man kann auch ein paar Sticker drucken lassen und die im Jugendclub auf der Toilette verteilen. Das kann eine Person, die das liest, dazu bringen, mal anders zu denken. Glaube daran, dass du die Kraft hast, etwas zu bewirken.
Für alle, die jetzt Interesse bekommen haben: Wo finden eure Workshops statt und wie kann man daran teilnehmen?
Am besten folgt man uns auf Instagram bei @radikaletoechter, da erfährt man eigentlich alles Wichtige. Außerdem haben wir unsere Telegram-Gruppe, da posten wir beispielsweise auch digitale Workshops. Ansonsten: Meldet euch einfach direkt bei uns.
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