Interview

Schule von morgen: „Kreativität kann nicht genug gefördert werden“ – Joris im Interview

Ein Porträt des deutschen Musikers Joris Buchholz.
Immer wieder positioniert sich der Musiker Joris gegen Rechtsextremismus und jede Form von Diskriminierung.
Jan-Malte Wortmann, funky-Jugendreporter

Der Sänger und Songwriter Joris ist nicht nur erfolgreicher Musiker, sondern auch eine wichtige Stimme für Vielfalt und Toleranz. Im Interview spricht er über kreatives Denken, den kindlichen Blick auf Herausforderungen und seine Dickköpfigkeit, an das Gute zu glauben.

Ganz gleich, wie düster die Zeiten auch scheinen mögen, Joris kann und will die Hoffnung nicht aufgeben. „In meiner Musik herrscht nie die komplette Dunkelheit, bei aller Schwierigkeit gibt es immer irgendwo ein Licht“, erklärt der 35-Jährige. Seit vor knapp zehn Jahren seine Debütsingle „Herz über Kopf“ erschien, ist der Sänger und Liedermacher einer der bekanntesten Popmusiker Deutschlands. In seinen Songs will er ungefiltert den Facettenreichtum des Menschseins abdecken und singt deshalb nicht nur von Melancholie und Schwermut, sondern immer auch vom Optimismus – so auch auf seinem vierten Album „zu viel retro“, das im Februar erschienen ist.

Und weil Joris Buchholz, so sein bürgerlicher Name, der Überzeugung ist, dass das Leben schön ist, setzt er sich mit großem Engagement für den Schutz der demokratischen Gesellschaft ein. Unermüdlich spricht er sich öffentlichkeitswirksam gegen Rechtsextremismus und jede Form von Diskriminierung aus und steht für Weltoffenheit, Vielfalt, Demokratie und Klimaschutz ein. Im „Schule von Morgen“-Interview spricht er über seine eigene Schulzeit, über kreatives Denken, die Macht der Kunst und darüber, warum man den kindlichen Blick auf Probleme nie verlieren sollte.

Lieber Joris, wie erinnerst du dich an deine eigene Schulzeit?
Joris Buchholz: Die Schulzeit war für mich – wie wahrscheinlich für alle Menschen – in jeglicher Hinsicht eine extrem prägende Zeit. Denn Schule ist wie eine kleine Welt in sich, in der die große Welt komprimiert stattfindet. Wo das soziale Miteinander in seinen Grundzügen geprägt wird, wo es aber auch viele Ungerechtigkeiten und Machstrukturen gibt – zumindest damals bei mir in der Schule. Die Lehrkräfte hatten das Sagen und wenn diese fanden, dass Joris, der häufig mit dem Kopf woanders war, eine schlechte Note verdient hatte, dann bekam er eben eine schlechte Note. Eine sehr schöne Zeit war für mich mein Auslandsaufenthalt in der elften Klasse, den ich in den USA verbracht habe. Dort hatte ich das Gefühl, dass ich einfach die Person sein durfte, die ich in dem Moment war, und nicht der Joris, der ich von der fünften bis zu zehnten Klasse vermeintlich gewesen bin. Das war eine wichtige Erkenntnis. Außerdem hatte ich das große Glück, dass ich eine Deutschlehrerin und einen Pädagogiklehrer hatte, die sehr engagiert waren und eine Musical-AG angeboten haben. Es gab auch einen Schulchor und Musikunterricht in der Oberstufe, den uns genau diese Lehrerin, obwohl wir nur zu zehnt waren, weiter ermöglicht hat. Insofern habe ich auch sehr gute Erinnerungen an äußerst engagierte Lehrkräfte.

Auch auf deinem neuen Album klingt immer wieder das Gefühl durch, wie überfordernd unsere Gegenwart für die Einzelnen oft ist. Was denkst du: Was sind die größten Herausforderungen, denen sich das Bildungssystem derzeit stellen muss?
Ich muss vorwegnehmen: Ich bin Musiker und absolut kein Experte für das Bildungssystem. Ich sehe zunächst einmal den demographischen Wandel als eine Herausforderung an. Viele Lehrerinnen und Lehrer gehen in Rente und schon jetzt gibt es einen Lehrkräftemangel. Wie bekommen wir es also hin, viele Menschen dazu zu motivieren, Lehrerin oder Lehrer zu werden – nicht nur, weil sie dann verbeamtet werden und einen guten Job haben, sondern weil sie mit Begeisterung jungen Menschen Inhalte näherbringen wollen? Parallel sind wir, das ist glaube ich kein Geheimnis, im Bildungssystem noch absolut nicht in der digitalen Welt angekommen. Dabei leben wir längst in dieser digitalen Welt und können beispielsweise immer mehr im Home Office arbeiten. Wieso sollte man Kindern und Jugendlichen nicht auch von Zuhause aus alles vermitteln können? Eine weitere Herausforderung sind die populistischen Themen, die eine große Plattform bekommen. Auf der anderen Seite höre ich wenig darüber, wie Geld in das Bildungssystem investiert werden soll – da könnte sich Deutschland mal an seinen skandinavischen Nachbarländern orientieren. Denn auch, wenn die wirtschaftlichen Aussichten gerade vielleicht nicht die rosigsten sind, sind wir nach wie vor ein sehr reiches Land, das es sich leisten muss, in Bildung zu investieren.

Du bist ein Künstler, der offen gesellschaftliche Themen anspricht und Haltung zeigt. Wie kann die Schule junge Menschen besser dazu motivieren, gesellschaftlich aktiv zu werden?
In der Schule findet, wie zu Beginn schon angesprochen, die große Welt im Kleinen statt. Dort sollten Dinge wie Konfliktlösungsstrategien und ein respektvoller Umgang miteinander unterrichtet werden. Es sollte aber auch der Blick dafür geschärft werden, dass nicht jedes Problem immer sichtbar ist, beispielsweise, dass viele Menschen mit einer schweren Erkrankung durchs Leben gehen. Auf solche sensiblen Themen muss mehr Aufmerksamkeit gelenkt werden. Gleichzeitig ist durch das Thema „Fridays for Future“ offensichtlich geworden, dass die junge Generation sich sehr wohl organisieren und für gesellschaftlich kritische Themen einstehen kann und dass sie zumindest Gehör bekommt. Wie viel damit erreicht wurde, sei mal dahingestellt – auf jeden Fall nicht genug. Dafür ist das Thema jetzt wieder zu weit in den Hintergrund gerutscht. Ich kenne das auch selbst: Die Frage „Papa, warum ist denn die Erde krank?“ zu beantworten, ist verdammt schwer. Es ist schwer zu vermitteln, dass man als erwachsener Mensch gewisse Routinen hat, obwohl man um die Herausforderungen weiß, die man eigentlich besser lösen könnte. Ich glaube, dass dieser kindliche Blick auf Probleme total wichtig ist und dementsprechend auch ernst genommen und gefördert werden muss.

Wie können Kunst und Kultur zur Stärkung demokratischer Ideale beitragen?
Musik ist eine universelle Möglichkeit, auf der ganzen Welt zu kommunizieren, egal, ob man dieselbe Sprache spricht, welche Hautfarbe man hat oder an welchen Gott oder welche Göttinnen man glaubt. Ich glaube, das ist eine riesengroße Chance – gerade in einer Zeit, in der es so viele Herausforderungen gibt, dass es einen überwältigen kann. Da kann das Gefühl entstehen, es gebe nur noch Meinungen, mit denen man entweder konform geht oder nicht. Auf Konzerten und Festivals merke ich, dass es etwas gibt, das nicht greifbar ist wie der Kommentar einer Person XY, aber das einem doch zeigt, dass wir alle zusammengehören. Wir können alle gemeinsam etwas abfeiern, drei Tage lang im Matsch zelten und eine verdammt gute Zeit haben, egal woran wir glauben. Und das ist die Kraft, die Kunst und Kultur, aber natürlich auch der Sport haben. Bei diesen Themen kommen wir alle zusammen. Das wird viel zu selten gespürt, gerade weil sich viele Dinge immer mehr in den digitalen Raum verlagern.

Joris glaubt daran, dass Gesellschaften Dinge bewegen können. (c) Luis Jantsch

Du als Musiker drückst deine Haltung über die Kunst aus. Denkst du, dass das aktuelle Schulsystem Kreativität ausreichend fördert?
Auch wenn ich dazu wenig sagen kann, da ich aktuell weder Schüler noch Lehrer bin, glaube ich, dass Kreativität nicht genug gefördert werden kann. Kreativität bedeutet ja nicht nur, einen Song zu schreiben, sondern ist auch immer eine Form der Problembewältigung, bei der es gilt, kreative Lösungen zu finden. Ich bin zum Beispiel leidenschaftlicher Holzhandwerker und wenn da etwas schief geht, muss ich mir in dem Moment eine Lösung überlegen. Kreative Arbeit und kreatives Denken in jeglicher Hinsicht zu fördern, sowohl handwerklich als auch geistig oder künstlerisch, ist meiner Meinung nach extrem wichtig.

Was hat dich dazu bewegt, Pate für „Schule ohne Rassismus“ zu werden?
Ich engagiere mich sowohl für gesellschaftliche Vielfalt und Demokratieschutz, als auch gegen Störfaktoren und Bedrohungen von außen. Ich habe viele Konzerte unterstützt, die sich gegen Rechts oder für Vielfalt in der Musik einsetzen. Daraufhin kam die Anfrage der „Schule ohne Rassismus“, sogar von meiner Heimatschule und von genau dieser Lehrerin, die mich immer unterstützt hat. Das waren so viele Symbiosen, dass ich direkt Ja gesagt habe. „Schule ohne Rassismus“ ist ein Label, das mit bestimmten Anforderungen verbunden ist, die eine Schule erreichen muss. Ich finde, das ist ein wichtiges Signal und ein stetiges Bewusstmachen dessen, dass man für Vielfalt einsteht.

Welche Botschaft würdest du den Schülerinnen, Schülern und Lehrkräften mitgeben wollen?
Ich würde gerne allen mitgeben, was ich in meiner Musik auch sehr häufig vermittle: dass man Dinge bewegen kann und dass es wichtig ist, den Mut und eine gewisse Dickköpfigkeit zu haben, an das Gute zu glauben. Das fällt in jungen Jahren leichter als später. So verstehen kleine Kinder zum Beispiel nicht, warum wir die Erde kaputt machen. Und je älter man wird, umso mehr wird man Teil des Problems, obwohl man ja eigentlich noch die gleichen Werte hat. Deswegen würde ich sehr gerne alle Menschen dazu motivieren, für das einzustehen, woran sie glauben.

Wie sieht für dich die Schule von morgen aus?
Die Schule von morgen vereinbart für mich idealerweise wissenschaftliche Erkenntnisse mit gelernten Strukturen. Sie bildet die aktuelle Weltlage und aktuelles Geschehen ab.  Kinder müssen morgens nicht zur nullten Stunde in der Schule sein, wenn klar ist, dass sie sich dann schneller nicht mehr konzentrieren können. Es sollte flexiblere Strukturen und mehr Platz für Mitgestaltung geben und nicht die ganze Zeit nur von oben herab gelehrt werden. Ich würde mir sehr wünschen, dass Raum für Vielfalt da ist und dass auch die, die anders sind, gesehen werden.

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Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.