Dervis Hızarcı ist Vorsitzender der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, kurz KIgA. Seit über 20 Jahren kämpft der Verein gegen Antisemitismus, Rassismus sowie jegliche Form von Diskriminierung – für eine starke, vielfältige Gesellschaft. Erst kürzlich musste der KIgA durch die Kürzungen des Berliner Senats mit einem großen Rückschlag umgehen. Die Präventionsarbeit an den Schulen, die der Verein seit vielen Jahren leistet, steht auf der Kippe. Im Interview erklärt Derviş Hızarcı, wieso die Antisemitismusprävention an den Schulen gerade jetzt unverzichtbar ist und was Antidiskriminierungsarbeit mit der Demokratie zu tun.
Herr Hızarcı, welche Bedeutung hat die Antisemitismus-Prävention an Schulen? Dervis Hızarcı: Es ist einfach wichtig, das Thema im Blick zu behalten und zu bekämpfen. In Deutschland gibt es Judenhass und Judenfeindlichkeit, dagegen müssen wir etwas unternehmen. Jüdinnen und Juden, die hier leben, sind davon unmittelbar betroffen und fühlen sich schutzlos. Diskriminierung und Hass kommen außerdem nicht allein. Mal ist es Misogynie, mal Antisemitismus, mal Rassismus – die einzelnen Phänomene führen letzten Endes dazu, dass sich ein Menschenbild verbreitet, das Menschen zu „Anderen“ erklärt. Diese „Anderen“ werden abgewertet und ausgegrenzt, erleiden zum Teil Hass und Gewalt. Deshalb ist es wichtig, Antisemitismusprävention zu leisten. Natürlich haben wir auch eine historische Verantwortung: Im letzten Jahrhundert haben wir mit der Shoa einen absoluten Tiefpunkt der Menschheitsgeschichte erlebt. Antisemitismus beginnt jedoch nicht mit der Shoa. Sie ist ein Endpunkt, eine tödliche Sackgasse des Antisemitismus. In unseren Workshops betten wir Antisemitismus in die politische Bildung ein. Antisemitismusbekämpfung ist immer auch eine Form von Demokratieförderung. Im Kontext des Nah-Ost-Konflikts haben wir es mit einem grassierenden Antisemitismus zu tun. Es ist heute wichtiger denn je, Antisemitismus zu bekämpfen.
Warum sind die Schulen dafür ein wichtiger Ort? Die Schule ist ein zentraler Ort des Lernens, aber auch ein Ort der Begegnung. Sie ist ein Abbild der Gesellschaft, wo man die Herausforderungen in konzentrierter Form nachvollziehen kann. Sie ist gleichzeitig auch eine Art Bildungslabor, wo man versucht, durch Bildung einen Unterschied zu machen. Die schulische Bildung ist so wichtig, dass die Kinder und Jugendlichen nicht gefragt werden, ob sie dort hinkommen möchten, sondern man verpflichtet sie zum Schulbesuch. In der Schulzeit muss dringend auch das Problem Antisemitismus behandelt und vermittelt werden, was man dagegen unternehmen kann. Wir tragen unseren Teil durch die Workshops für Schülerinnen und Schüler und die Fortbildungen für Lehrkräfte dazu bei.
Wie sensibilisieren Sie Schülerinnen und Schüler für das Thema, die bisher wenig Kontakt mit Antisemitismus hatten? In unseren Workshops werden immer Verbindungen hergestellt. Man kommt ins Gespräch, lernt sich kennen und hört sich die Belange der Kinder und Jugendlichen an. Wir suchen nach Berührungspunkten mit den Themen. Wenn es keine gibt, versuchen wir, gemeinsam zu ergründen: Wie kann es sein, dass man mit diesen Themen noch nie etwas zu tun hatte? Manchmal fallen Kommentare wie: Hier gibt es keine Jüdinnen und Juden. Dann vermitteln wir auch, dass Antisemitismus auch ohne Jüdinnen und Juden funktioniert. Oder wir erörtern, warum es hier keine Jüdinnen und Juden gibt, was in der Vergangenheit passiert ist. Wir disqualifizieren Schülerinnen und Schüler nicht, wenn sie Fragen stellen. Auch wenn es eine Provokation ist, nehmen wir diesen Ball auf.
Gibt es festes Lehrmaterial für die Workshops? Unsere Kolleginnen und Kollegen haben Methoden-Koffer zur Hand und können auf die in der Situation passende Methode zurückgreifen. In dem Koffer sind zum Beispiel Stifte, Karten und Sticker, aber auch laminiertes Lehrmaterial. Wir haben in den letzten Jahren unter dem Titel „Widerspruchstoleranz“ viele Handreichungen entwickelt. Darin vermitteln wir, dass Unterschiedlichkeit nicht zur Ablehnung führen muss, sondern wie man flexibel mit diesen Irritationen umgeht – sie zunächst aushält und einordnet, um dann einen möglichst guten Umgang damit zu finden. Wenn man konkret mit Beispielen arbeiten möchte, empfehle ich unsere Seite stopantisemitismus.de. Mit dem Wissen eignet man sich dortgleichzeitig Handlungsmöglichkeiten an. Trotzdem: Das Wichtigste ist das Begegnen auf Augenhöhe und Interesse an den Schülerinnen und Schülern. Das gilt nicht nur für unsere Workshops, sondern für Pädagogik im Allgemeinen.
Wie reagieren Sie, wenn Sie innerhalb eines Workshops auf Ablehnung oder Vorurteile stoßen? Ablehnung tritt immer wieder auf, beispielsweise, wenn die Weltreligionen vermittelt werden und Schülerinnen und Schüler nicht die Synagoge besuchen wollen. In pädagogischen Settings muss man das Gespräch suchen und fragen: Warum? Ist es falsches Wissen der Grund, dann muss man dieses Wissen korrigieren. Fehlt Wissen, dann muss man Wissen vermitteln. Trotzdem darf man das Interesse am Jugendlichen oder Kind nicht verlieren. Mir fällt kein einziges Beispiel ein, wo jemand so fest in seiner Vorstellung war, dass man diese Person nicht einfangen konnte. Die Idee, Kinder und Jugendliche hätten schon geschlossene Weltbilder, ist einfach falsch. Man kann mit ihnen arbeiten, man kann sie formen. Man muss ihnen nur mit Neugierde, Respekt und Liebe begegnen.
Auch die KIgA ist von den Kürzungen des Berliner Bildungssenats betroffen. Wie beeinflusst das die Arbeit? Das, was die Bildungsverwaltung macht, ist ein Skandal. In Zeiten von steigendem Antisemitismus ist es fatal die einzige zentrale Anlaufstelle Schulen zu streichen. Der Senat für Soziales, SenASGIVA, hat mit einem Hilfspaket vorerst das Schlimmste für dieses Jahr verhindert. Dennoch bedeuten die Kürzungen und Streichungen: weniger Workshops und Angebote für Schulen, Jugendliche und Hilfskräfte. Die Zivilgesellschaft wird geschwächt! Und dort, wo die Zivilgesellschaft schwach ist, stellt man eine Erkrankung der Demokratie fest. In einer solchen Situation sind wir gerade. Wir sehen dabei zu, wie man die Demokratie abbaut.
Wie kann man unterstützen? Die Menschen müssen dem Senat mitteilen, wie wichtig unsere Arbeit ist und fordern, dass man verantwortungsvoller mit den Steuergeldern umgeht. Man kann Solidarität bekunden, spenden und den Verantwortlichen vermitteln, dass man ihre falsche Politik im Blick hat.
Wie sieht die Schule von morgen aus? Was gut und böse ist und warum es wichtig ist, auf andere acht zu geben und sich für Schwache einzusetzen, kann man nicht durch YouTube-Videos lernen. Dafür braucht es den physischen und pädagogischen Raum Schule. Das gelingt nur durch Begegnung, Berührung und Austausch. Deshalb muss man in Zeiten von Polarisierung hierauf einen Fokus in der Schule legen. Man muss schon in den Schulen damit anfangen, zivilgesellschaftsstärkend zu agieren. Kinder haben einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Darauf müssen wir aufbauen. Bildung hat für mich oberste Priorität! Aber das System Schule, wie ich es als Schüler, Lehrer und Vater erlebe und erlebt habe, steckt in einer großen Krise. Ob der Umgang miteinander oder der Umgang mit Technologie sprich auch Social Media: wir hängen der Zeit hinterher. Wir werden der Digitalisierung und Diversität unserer Gegenwart nicht gerecht. Um das zu ändern, müssten mutige Menschen zusammenkommen und sich gemeinsam Gedanken machen. Eine umfangreiche Bildungsreform ist ohne wenn und aber und auch ohne eine Minute Verzögerung notwendig. Es braucht eine mutige Politik, die das dringend umsetzt. Aktuell stecken wir in einer großen Bildungsmisere. Ich sehe das Potenzial der Kinder und Jugendlichen und die Macht der Bildung. Da steckt unsere große Chance!
Dervis Hızarcı ist Vorsitzender der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, kurz KIgA. Seit über 20 Jahren kämpft der Verein gegen Antisemitismus, Rassismus sowie jegliche Form von Diskriminierung – für eine starke, vielfältige Gesellschaft. Erst kürzlich musste der KIgA durch die Kürzungen des Berliner Senats mit einem großen Rückschlag umgehen. Die Präventionsarbeit an den Schulen, die der Verein seit vielen Jahren leistet, steht auf der Kippe. Im Interview erklärt Derviş Hızarcı, wieso die Antisemitismusprävention an den Schulen gerade jetzt unverzichtbar ist und was Antidiskriminierungsarbeit mit der Demokratie zu tun.
Herr Hızarcı, welche Bedeutung hat die Antisemitismus-Prävention an Schulen?
Dervis Hızarcı: Es ist einfach wichtig, das Thema im Blick zu behalten und zu bekämpfen. In Deutschland gibt es Judenhass und Judenfeindlichkeit, dagegen müssen wir etwas unternehmen. Jüdinnen und Juden, die hier leben, sind davon unmittelbar betroffen und fühlen sich schutzlos. Diskriminierung und Hass kommen außerdem nicht allein. Mal ist es Misogynie, mal Antisemitismus, mal Rassismus – die einzelnen Phänomene führen letzten Endes dazu, dass sich ein Menschenbild verbreitet, das Menschen zu „Anderen“ erklärt. Diese „Anderen“ werden abgewertet und ausgegrenzt, erleiden zum Teil Hass und Gewalt. Deshalb ist es wichtig, Antisemitismusprävention zu leisten. Natürlich haben wir auch eine historische Verantwortung: Im letzten Jahrhundert haben wir mit der Shoa einen absoluten Tiefpunkt der Menschheitsgeschichte erlebt. Antisemitismus beginnt jedoch nicht mit der Shoa. Sie ist ein Endpunkt, eine tödliche Sackgasse des Antisemitismus. In unseren Workshops betten wir Antisemitismus in die politische Bildung ein. Antisemitismusbekämpfung ist immer auch eine Form von Demokratieförderung. Im Kontext des Nah-Ost-Konflikts haben wir es mit einem grassierenden Antisemitismus zu tun. Es ist heute wichtiger denn je, Antisemitismus zu bekämpfen.
Warum sind die Schulen dafür ein wichtiger Ort?
Die Schule ist ein zentraler Ort des Lernens, aber auch ein Ort der Begegnung. Sie ist ein Abbild der Gesellschaft, wo man die Herausforderungen in konzentrierter Form nachvollziehen kann. Sie ist gleichzeitig auch eine Art Bildungslabor, wo man versucht, durch Bildung einen Unterschied zu machen. Die schulische Bildung ist so wichtig, dass die Kinder und Jugendlichen nicht gefragt werden, ob sie dort hinkommen möchten, sondern man verpflichtet sie zum Schulbesuch. In der Schulzeit muss dringend auch das Problem Antisemitismus behandelt und vermittelt werden, was man dagegen unternehmen kann. Wir tragen unseren Teil durch die Workshops für Schülerinnen und Schüler und die Fortbildungen für Lehrkräfte dazu bei.
Wie sensibilisieren Sie Schülerinnen und Schüler für das Thema, die bisher wenig Kontakt mit Antisemitismus hatten?
In unseren Workshops werden immer Verbindungen hergestellt. Man kommt ins Gespräch, lernt sich kennen und hört sich die Belange der Kinder und Jugendlichen an. Wir suchen nach Berührungspunkten mit den Themen. Wenn es keine gibt, versuchen wir, gemeinsam zu ergründen: Wie kann es sein, dass man mit diesen Themen noch nie etwas zu tun hatte? Manchmal fallen Kommentare wie: Hier gibt es keine Jüdinnen und Juden. Dann vermitteln wir auch, dass Antisemitismus auch ohne Jüdinnen und Juden funktioniert. Oder wir erörtern, warum es hier keine Jüdinnen und Juden gibt, was in der Vergangenheit passiert ist. Wir disqualifizieren Schülerinnen und Schüler nicht, wenn sie Fragen stellen. Auch wenn es eine Provokation ist, nehmen wir diesen Ball auf.
Gibt es festes Lehrmaterial für die Workshops?
Unsere Kolleginnen und Kollegen haben Methoden-Koffer zur Hand und können auf die in der Situation passende Methode zurückgreifen. In dem Koffer sind zum Beispiel Stifte, Karten und Sticker, aber auch laminiertes Lehrmaterial. Wir haben in den letzten Jahren unter dem Titel „Widerspruchstoleranz“ viele Handreichungen entwickelt. Darin vermitteln wir, dass Unterschiedlichkeit nicht zur Ablehnung führen muss, sondern wie man flexibel mit diesen Irritationen umgeht – sie zunächst aushält und einordnet, um dann einen möglichst guten Umgang damit zu finden. Wenn man konkret mit Beispielen arbeiten möchte, empfehle ich unsere Seite stopantisemitismus.de. Mit dem Wissen eignet man sich dortgleichzeitig Handlungsmöglichkeiten an. Trotzdem: Das Wichtigste ist das Begegnen auf Augenhöhe und Interesse an den Schülerinnen und Schülern. Das gilt nicht nur für unsere Workshops, sondern für Pädagogik im Allgemeinen.
Wie reagieren Sie, wenn Sie innerhalb eines Workshops auf Ablehnung oder Vorurteile stoßen?
Ablehnung tritt immer wieder auf, beispielsweise, wenn die Weltreligionen vermittelt werden und Schülerinnen und Schüler nicht die Synagoge besuchen wollen. In pädagogischen Settings muss man das Gespräch suchen und fragen: Warum? Ist es falsches Wissen der Grund, dann muss man dieses Wissen korrigieren. Fehlt Wissen, dann muss man Wissen vermitteln. Trotzdem darf man das Interesse am Jugendlichen oder Kind nicht verlieren. Mir fällt kein einziges Beispiel ein, wo jemand so fest in seiner Vorstellung war, dass man diese Person nicht einfangen konnte. Die Idee, Kinder und Jugendliche hätten schon geschlossene Weltbilder, ist einfach falsch. Man kann mit ihnen arbeiten, man kann sie formen. Man muss ihnen nur mit Neugierde, Respekt und Liebe begegnen.
Auch die KIgA ist von den Kürzungen des Berliner Bildungssenats betroffen. Wie beeinflusst das die Arbeit?
Das, was die Bildungsverwaltung macht, ist ein Skandal. In Zeiten von steigendem Antisemitismus ist es fatal die einzige zentrale Anlaufstelle Schulen zu streichen. Der Senat für Soziales, SenASGIVA, hat mit einem Hilfspaket vorerst das Schlimmste für dieses Jahr verhindert. Dennoch bedeuten die Kürzungen und Streichungen: weniger Workshops und Angebote für Schulen, Jugendliche und Hilfskräfte. Die Zivilgesellschaft wird geschwächt! Und dort, wo die Zivilgesellschaft schwach ist, stellt man eine Erkrankung der Demokratie fest. In einer solchen Situation sind wir gerade. Wir sehen dabei zu, wie man die Demokratie abbaut.
Wie kann man unterstützen?
Die Menschen müssen dem Senat mitteilen, wie wichtig unsere Arbeit ist und fordern, dass man verantwortungsvoller mit den Steuergeldern umgeht. Man kann Solidarität bekunden, spenden und den Verantwortlichen vermitteln, dass man ihre falsche Politik im Blick hat.
Wie sieht die Schule von morgen aus?
Was gut und böse ist und warum es wichtig ist, auf andere acht zu geben und sich für Schwache einzusetzen, kann man nicht durch YouTube-Videos lernen. Dafür braucht es den physischen und pädagogischen Raum Schule. Das gelingt nur durch Begegnung, Berührung und Austausch. Deshalb muss man in Zeiten von Polarisierung hierauf einen Fokus in der Schule legen. Man muss schon in den Schulen damit anfangen, zivilgesellschaftsstärkend zu agieren. Kinder haben einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Darauf müssen wir aufbauen. Bildung hat für mich oberste Priorität! Aber das System Schule, wie ich es als Schüler, Lehrer und Vater erlebe und erlebt habe, steckt in einer großen Krise.
Ob der Umgang miteinander oder der Umgang mit Technologie sprich auch Social Media: wir hängen der Zeit hinterher. Wir werden der Digitalisierung und Diversität unserer Gegenwart nicht gerecht. Um das zu ändern, müssten mutige Menschen zusammenkommen und sich gemeinsam Gedanken machen. Eine umfangreiche Bildungsreform ist ohne wenn und aber und auch ohne eine Minute Verzögerung notwendig. Es braucht eine mutige Politik, die das dringend umsetzt. Aktuell stecken wir in einer großen Bildungsmisere. Ich sehe das Potenzial der Kinder und Jugendlichen und die Macht der Bildung. Da steckt unsere große Chance!
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