Interview

Fünf Jahre Hanau – ein Interview mit Serpil Unvar

Ein Porträt von Serpil Unvar vor einem Wangemälde ihres Sohnes Ferhat.
Serpil Unvars Sohn Ferhat wurde beim Attentat von Hanau getötet. Sie ist die Gründerin der Bildungsinitiative Ferhat Unvar.
Rita Rjabow, funky-Jugendreporterin

Im Februar 2020 starben neun Menschen mit Migrationsgeschichte bei einem rassistischen Attentat in Hanau. Serpil Unvar, die Mutter des dabei getöteten Ferhat Unvar, blickt fünf Jahre später zurück. Sie ist gleichzeitig die Gründerin der Bildungsinitiative Ferhat Unvar und spricht über die Erinnerungsarbeit der letzten Jahre, die anstehende Bundestagswahl und die Zukunft der Bildungsinitiative Ferhat Unvar. 

Liebe Serpil, wie blickst du heute, fünf Jahre nach dem rassistischen Anschlag, auf die Ereignisse zurück? 
Serpil Unvar: Fünf Jahre sind vergangen, aber der Schmerz, meinen Sohn Ferhat zu verlieren, bleibt. Jeden Tag. Es ist schwer, die richtigen Worte zu finden, um zu beschreiben, wie sehr dieser Verlust immer noch schmerzt. Dieser Schmerz lebt weiter. Das ist auch der Grund, warum ich mich weiterhin engagiere. Ich versuche, mit der Erinnerung an meinen Sohn etwas Positives zu bewirken – für eine Gesellschaft, in der Menschen nicht aufgrund ihrer Herkunft, Hautfarbe oder Religion getötet werden. Was mir nach wie vor fehlt, ist die politische Reaktion, die diesem Verbrechen gerecht wird. Die Gesellschaft muss mehr tun, um rassistischen Attentaten vorzubeugen. 

Welche Veränderungen hast du in den vergangenen fünf Jahren in Hanau wahrgenommen? 
Ich nehme eine größere Auseinandersetzung mit den Themen Rassismus und Diskriminierung wahr. Doch die Gesellschaft ist immer noch gespalten. In den letzten Jahren gab es viele Gespräche und viele Versprechen von politischer Seite. Was jedoch fehlt, sind konkrete Taten. Die Erinnerung an Hanau und die Opfer darf nicht nur zum Jahrestag aufgegriffen werden, sie muss das ganze Jahr über präsent sein. Was sich verändert hat, ist eine stärkere Vernetzung von betroffenen Gruppen und Initiativen, die weiterhin laut sind und deutlich machen, dass wir Rassismus nicht akzeptieren werden. 

Was wünschst du dir für die Zukunft in Gedenken an Ferhat und die anderen Opfer? 
Mein größter Wunsch ist, dass künftige Generationen in einer Welt aufwachsen, in der solche Taten nicht mehr möglich sind, in der Rassismus keinen Platz mehr hat. In der keine Mutter ihren Sohn wegen Rassismus beerdigen muss.  

Ein Workshop der Bildungsinitiative Ferhat Unvar. (c) Bildungsinitiative Ferhat Unvar

Die Bundestagswahl steht bevor – welche Bedeutung hat sie für dich persönlich? 
Diese Wahl sehe ich als letzte Chance. Es ist unsere letzte Chance, gesellschaftliche Spaltung und Extremismus abzuwenden. Wir müssen uns besser organisieren. Es ist wichtig, dass jeder Einzelne Verantwortung für die Zukunft übernimmt und zur Wahl geht, um die Demokratie zu stärken. Rassismus ist ein Problem in Deutschland. Dieses Problem geht uns alle etwas an, egal, ob Migrant:in oder weiß. Es betrifft die Gesellschaft als Ganzes. Rassismus ist gefährlich für die Demokratie. Zu sehen, wie über den Fünf-Punkte-Plan (der Antrag der CDU/CSU) Ende Januar abgestimmt wurde, lässt mich besorgt auf die Bundestagswahl schauen.  

Welche politischen Maßnahmen wären aus deiner Sicht notwendig, um rassistische Gewalt zu verhindern? 
Es braucht eine starke Gesetzgebung gegen Rassismus. Rassismus ist vor allem ein gesellschaftliches Problem, kein individuelles Verhalten. Er muss strukturell bekämpft werden. Schulen und Universitäten müssen Orte der Aufklärung über Rassismus sein. Zudem muss sichergestellt werden, dass Opfer von rassistischer Gewalt rechtzeitig und umfassend Unterstützung erhalten – sowohl rechtlich als auch sozial. Nur so lässt sich langfristig verhindern, dass so etwas wie der Anschlag in Hanau wieder passiert. 

Wie sieht die Zukunft der Bildungsinitiative Ferhat Unvar aus?  
Wir wollen weiterhin aktiv dazu beitragen, dass die Taten von Hanau und anderen rassistischen Gewalttaten nicht in Vergessenheit geraten. Im Jahr 2025 werden wir unsere Arbeit weiter ausbauen, vor allem in den Schulen, um junge Menschen zu sensibilisieren und ihnen zu zeigen, wie sie aktiv gegen Rassismus vorgehen können. Wir möchten die nächste Generation in die Verantwortung nehmen und sie stärken, damit sie sich für ein respektvolles Miteinander einsetzen.

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Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.