Interview

Selbstversorgung als Traum: „Wenn ich an die Obst- und Gemüseselbstversorgung denke, fängt es an zu kribbeln“

Selina Strohmann auf einer Bank in einem Garten. Auf einem Tisch neben ihr und auf einer Bank vor ihr liegen verschiedene Kürbisse, Zucchinis, Kartoffeln und Einmachgläser.
Selina Strohmann versucht sich so gut es geht mit Obst und Gemüse selbst zu versorgen.

Emely Hofmann, funky-Jugendreporterin

Für Selina Strohmann gehört es zu ihrem Beruf, in der Erde zu wühlen. Die 30-Jährige betreibt zwei Schrebergärten, in denen sie Gemüse und Obst zur Selbstversorgung anbaut. Ihren Weg dorthin dokumentiert sie in den sozialen Medien. Seit sechs Jahren ist sie selbstständig, anfangs noch mit selbstgenähten, nachhaltigen Produkten. Inzwischen konzentriert sie sich in ihrem Onlineshop ganz auf das Thema Selbstversorgung und bietet Sauerteigkurse an. Im Interview erzählt Selina, wie sie zur Gemüse- und Obstselbstversorgung gekommen ist, wie der Garten ihren Alltag bestimmt und warum sie eine Zeit lang in einer Jurte gelebt hat.

Liebe Selina, du hast dich für einen etwas anderen Lebensweg entschieden. Angefangen hat alles damit, dass du dein Studium abgebrochen hast. Wie kam es dazu?
Selina Strohmann: Ich habe Wirtschaftswissenschaften in Hannover studiert. In meinem fünften Semester habe ich ein Auslandssemester in Griechenland gemacht. Dort habe ich eine ganz andere Lebensart kennengelernt. In Deutschland gibt es sehr viel Druck – auch im Studium. In Griechenland waren alle viel entspannter und ich hatte dadurch Zeit, über mein Leben nachzudenken. So habe ich gemerkt, dass ich eigentlich gar nicht weiß, was ich im Leben will. Einen Bürojob, der mit meinem Studium wahrscheinlich gewesen wäre, konnte ich mir nicht vorstellen. Zurück in Deutschland habe ich erst einmal weiterstudiert. Nach einer Weile habe ich gemerkt: Das ist nicht der richtige Weg. Ich bin wieder auf Reisen gegangen. Dadurch habe ich ganz unterschiedliche Menschen kennengelernt, die alternative Projekte aufbauen und habe mich letztendlich dazu entschieden, mein Studium abzubrechen.

Wie ging es danach weiter?
Zunächst habe ich kaum etwas verdient und auch nur sehr wenig ausgegeben. Ich hatte nur meinen Rucksack und bin damit gereist. Ich habe Lebensmittel gerettet, bin getrampt und habe bei unterschiedlichen Projekten mitgemacht. Im Gegenzug durfte ich dort dann kostenlos wohnen. Auf dieser Reise habe ich ganz viel darüber nachgedacht, wo ich im Leben hinmöchte. Das wurde mir mit der Zeit dann immer klarer.

Inzwischen zeigst du in den sozialen Medien deinen Weg zur Selbstversorgung. Was bedeutet das überhaupt?
100 Prozent Selbstversorgung in allen Lebensbereichen ist für mich nicht machbar, deswegen steht bei mir die Gemüseselbstversorgung im Vordergrund. Das heißt, ich versuche meinen Bedarf an Gemüse selbst zu decken. Dafür baue ich seit inzwischen vier Jahren Gemüse an. Selbstversorgung bedeutet für mich, sich einen Bereich zu suchen, den man so gut es geht selbst abdeckt und möglichst wenig dazukauft.

Wie bist du zur Gemüseselbstversorgung gekommen?
Durch meine Arbeit bei verschiedenen Projekten durfte ich oft beim Gemüseanbau helfen. Das hat mich sehr inspiriert. Ich hatte als Kind schon ein Faible für das Gärtnern und habe selbst Sachen ausgesät. Das hat damals aber noch nicht so gut geklappt. Mein Opa, der selbst Obst und Gemüse anbaut, ist ein großes Vorbild für mich. Nach meiner Reise habe ich eine Zeit lang bei meinen Eltern gewohnt. In ihrem Garten habe angefangen, mein eigenes Gemüse anzubauen. Das hat mir gut gefallen und ich habe gemerkt, dass ich gerne einen eigenen Garten hätte. Ich habe nach einem Grundstück gesucht, auf dem ich mich voll ausleben kann. Mein Traum war es immer, einfach eine Wiese zu finden, auf der alles noch naturbelassen ist und von Null zu starten. Ich wollte den ganzen Prozess mitbekommen. Durch meine Schwester bin ich in die Gemeinschaft gekommen, in der ich dann für drei Jahre gelebt habe. Dort habe ich dann ein Wiesenstück zugewiesen bekommen, auf dem ich mich austoben durfte. Ich habe es manchmal als „Spielplatz für Erwachsene” bezeichnet.

Warum hast du dich für ein Leben in der Gemeinschaft entschieden und wie läuft das überhaupt ab?
Die Gemeinschaft war keine klassische Gemeinschaft, wo alle immer alles zusammenmachen. Es waren vier Familien und alle hatten ihren eigenen Bereich. Wir hatten alle paar Wochen ein Meeting, wo wir Dinge besprochen haben. Ein paarmal im Jahr gab es dann größere Gemeinschaftsaktionen. Ansonsten hat jeder sein eigenes Leben geführt. Meine Schwester mit ihren zwei kleinen Kindern hat auch in der Gemeinschaft gewohnt. So konnte ich in ihrer der Nähe sein und meinen Traum vom eigenen Garten erfüllen.

Du hast dort mit deinem Partner in einem Bauwagen auf ziemlich engem Raum gewohnt. Wie war das für dich?
Mein Partner und ich waren damals extreme Minimalisten. Wir haben in unserer Wohnung sehr wenig besessen und dachten uns: Das schaffen wir auch auf acht Quadratmetern im Bauwagen. Es hat alles reingepasst, aber es war sehr wenig Platz. Vor allem im Winter, wenn ich dann auch noch die Pflanzenaufzucht im Bauwagen gemacht habe, war es sehr eng. Das hat uns als Paar aber auch weitergebracht, wir haben viel geredet und sind gewachsen. Mit der Zeit habe ich gemerkt, dass ich mehr Raum brauche und habe mir eine Jurte gekauft. Plötzlich hatte ich 20 Quadratmeter nur für mich und hatte Platz, mich auszuleben. Dass jeder seinen eigenen Bereich hat, haben wir auch in unserer jetzigen Wohnung beibehalten. Jeder hat einen Raum, der nur ihm gehört. Das weiß ich seitdem sehr zu schätzen.

Wie war das Leben in der Jurte für dich?
Das war sehr besonders, allein dadurch, dass der Raum komplett rund ist. Die Jurte bestand vollständig aus natürlichen Materialien. Aber im Winter war es wirklich sehr kalt. Wenn draußen Minusgrade waren, war es auch bei uns in der Jurte nachts manchmal nur knapp über null Grad. Ein Jahr lang haben wir das durchgezogen, aber ich konnte mir nicht noch einen weiteren Winter vorstellen. Außerdem ist im Winter ein Baum auf meine Jurte gefallen, seitdem hatte ich bei Gewitter oder Stürmen große Angst. Mir wurde klar, dass ich lieber wieder in eine Wohnung ziehen möchte. Ich bin sehr dankbar, jetzt ein sicheres Zuhause zu haben. Wir haben heißes Wasser und eine normale Toilette, das weiß ich sehr zu schätzen. In der Jurte hatten wir nur Kaltwasser und eine Komposttoilette draußen.

Inzwischen lebst du also in einer Wohnung. Dazu hast du zwei Schrebergärten, in denen du Gemüse anbaust.
Ich habe insgesamt drei Jahre lang die Wiese der Gemeinschaft in einen 120 Quadratmeter großen Gemüsegarten verwandelt. Seit vergangenem Oktober wohnen mein Partner und ich in einer Wohnung und ich habe zwei Schrebergärten mit einer Fläche von insgesamt knapp 600 Quadratmetern angemietet. Davon lege ich aber nur auf 85 bis 100 Quadratmetern Gemüsebeete an. Auf der restlichen Fläche ist viel Obstbestand, an den ich mich auch langsam heranwage.

Wie hast du dir das nötige Wissen zum Gemüseanbau angeeignet?
Die ersten zwei Jahren waren nur learning by doing. Ich wollte gar nichts lesen und nur ausprobieren. Viele der Samen habe ich jahrelang im Alltag und aus der Natur gesammelt. Mein erstes Learning war allerdings, dass Saatgut gar nicht so lange hält, weswegen am Anfang noch nicht viel gewachsen ist. Irgendwann habe ich dann angefangen, sehr viele Bücher zu lesen und im Internet zu recherchieren. Dadurch habe ich mir sehr viel Wissen angeeignet.

Wie sieht dein Arbeitsalltag aus?
Der richtet sich vor allem nach dem Wetter. Durch meine Selbstständigkeit kann ich mir das zum Glück sehr flexibel einteilen. Ich dokumentiere aktuell immer, wie viel Zeit ich im Garten für den Gemüse- und Obstanbau investiere. Im Februar habe ich zum Beispiel im Schnitt vier Stunden die Woche damit verbracht. Im März waren es schon 5,2 Stunden pro Woche. Nicht mit gerechnet ist die Pflege von Blumen, Sträuchern und Rasen.

Nimmt der Gemüse- und Obstanbau im Frühling und Sommer mehr Zeit in Anspruch als im Herbst oder Winter?
Die intensivste Zeit ist März, April, und Mai, weil da alles ausgesät und großgezogen wird. Ich musste viele Beete neu machen und das Gewächshaus aufbauen, das hat alles sehr viel Zeit gekostet. Wenn die Infrastruktur einmal da ist, wird es tendenziell eher weniger. Ab Juni kann man eigentlich wieder gut durchatmen und die ganzen Beete sind bestückt. Von Juni bis September geht das Haltbarmachen los, also das Gemüse und Obst verarbeiten, einlegen und lagern. Das ist auch ein ziemlicher Aufwand. Zum Herbst wird es dann wieder ruhiger.

Würdest du dich als „Aussteigerin” bezeichnen?
Nein, überhaupt nicht. Ich glaube, das wirkt nach außen manchmal ein bisschen so und man bekommt schnell diesen Stempel aufgedrückt. Aber ich bin ganz normal im System: Ich zahle wie jeder andere auch meine Steuern und habe eine Krankenkasse. Auch viele meiner sozialen Kontakte haben nichts mit meiner Lebensweise zu tun.

Gibt es Dinge, auf die du in deinem Leben verzichtest, weil du dich für diese Lebensweise entschieden hast?
Ich gebe ein Stück Freiheit und Unabhängigkeit her. Die Pflanzen brauchen sehr viel Zeit und Pflege, was mich natürlich an den Ort bindet. Ich besuche meine Familie weniger und reise auch seltener, weil ich den Garten nicht so lange unbetreut lassen kann. Drei bis fünf Tage sind von Frühjahr bis Herbst das Maximum, dann muss ich mich wieder um die Pflanzen kümmern. Ich will auch nichts in ihrer Entwicklung verpassen. Ansonsten sind wir aktuell noch nicht so weit, nur von den Lebensmitteln auf dem Garten zu leben. Wir kaufen einiges noch dazu, deswegen kann man nicht von Verzicht sprechen. Generell erlebe ich, seit ich Gemüse selber anbaue, dass Gemüse im Supermarkt als Verzicht. Denn Selbstangebautes schmeckt besser, ist frischer und es erfüllt einen zusätzlich, wenn man weiß, woher das Obst und Gemüse kommen.

Ist es dein Ziel, dich eines Tages vollkommen selbst zu versorgen?
Ich würde es gerne für ein Jahr probieren, zumindest was Obst und Gemüse angeht. Dinge, die ich nicht selbst anbaue, wie Getreide zum Backen, würde ich trotzdem kaufen.

Ist Minimalismus etwas, dass dir noch immer wichtig ist?
Es kommt immer darauf an, wie man Minimalismus definiert. Für mich bedeutet es, dass zu haben, was ich brauche und was mich glücklich macht. Der Definition nach lebe ich also immer noch minimalistisch. Im Gegensatz zu meiner Zeit als extreme Minimalistin habe ich jetzt einfach ein paar mehr Gegenstände, weil ich auch Hobbys dazugewonnen habe.

Gibt es noch größere Ziele und Träume, die du dir erfüllen möchtest?
Ich möchte dieses Jahr Trockenmais anbauen, um daraus Mehl zu machen und Brot zu backen. Dann wäre ich bei der Herstellung von Gebäck noch unabhängiger. Der größte Wunsch ist aber eigentlich, ein Grundstück zu kaufen, wo wir auf längere Sicht einen Gemüse- und Obstgarten anbauen können. Die Wohnung und die Schrebergärten sind eher eine Übergangslösung. In einem normalen Haus zu wohnen, können wir uns aber auch nicht vorstellen, da suchen wir aktuell noch nach einer passenden Lösung. Eine Jurte wird es auf jeden Fall nicht nochmal.

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