Interview

Aussteigerleben auf La Gomera: „Ich möchte frei sein und die Liebe leben“

Sonnenuntergagn auf den Kanaren.
Was es bedeutet, Liebe und Freiheit im Leben zu priorisieren, erfahren wir von Tonique Scholz.
Sophie Ostermann, funky-Jugendreporterin
© Tonique Scholz

La Gomera. Jeden Tag im Paradies verbringen, mitten in der Natur, ohne den ständigen Druck, arbeiten gehen zu müssen. Jeden Tag nur das tun, was man möchte. Ein solches Leben klingt für viele Menschen nach einem Traum. Die 36-jährige Tonique Scholz hat den Schritt gewagt und führt ein solches Aussteigerdasein. Seit sechs Jahren lebt sie hauptsächlich auf den Kanaren, führt Feuershows auf und bietet Mindset-Coachings an. Zuvor bereiste sie einige andere Länder, unter anderem Australien. Ihre Eindrücke teilt sie auf Instagram unter dem Namen  @toniquemaitri. Warum sie diesen Lebensweg gewählt hat und welche Herausforderungen ein Leben als Aussteigerin mit sich bringt, verrät sie im Interview.

Liebe Tonique, was hat dich dazu bewogen, auszusteigen? Und warum grade die Kanaren?
Tonique Scholz: Bewogen hat mich die Suche nach Freiheit. Ich wollte immer frei sein und habe gedacht, dass ich sie finde, wenn ich woanders hingehe. Ich habe am anderen Ende der Welt im Paradies gelebt und ich war nicht frei. Auf den Kanaren hatte ich das erste Mal das Gefühl, anzukommen. Aber es war nicht nur der Ort, es war auch das erste Mal, dass ich bei mir angekommen bin. Deshalb sind es die Kanaren dann auch geworden, auch für einen längeren Zeitraum. Ich war die meiste Zeit jetzt auf La Gomera, im letzten Jahr auch viel auf Teneriffa und auf La Palma.

Was gefällt dir am Aussteigerleben und wie lebst du auf den Kanaren?
Mir gefällt es vor allem jeden Tag aufs Neue meine eigenen Entscheidungen treffen zu können. Ich bin nicht an etwas gebunden, wie zum Beispiel eine feste Struktur. Klar, ich habe auch Termine zum Feuertanzen oder für ein Coaching. Trotzdem habe ich immer das Gefühl, jeden Tag neu entscheiden zu können, was ich grade machen möchte. Im Sommer wird mein Zeitplan mit den Festivals immer ein bisschen planbarer, da ich vorher zusagen muss, ob ich eine Feuershow mache. Aber auf den Kanaren hat alles eine andere Leichtigkeit. Man lebt mehr im Moment.

Wie sieht ein normaler Tag bei dir aus?
Das ist sehr unterschiedlich. Eine richtige Routine gibt es nicht. Die Menschen, mit denen ich grade Coachings mache, rufen mich einfach an, wenn eine Situation entsteht. Dann kann ich darauf reagieren und kann spontan ein Treffen vorschlagen. Bei den Coachings geht es oft um die Themen, die die Menschen in mir sehen: Wie kann ich auch frei sein? Oder: Wie kann ich Liebe leben? Meistens gestalte ich meinen Tag so, dass ich glücklich bin. Wenn ich woanders gebraucht werde, breche ich auf. Dann geht es weiter.

Was gefällt dir nicht am Ausstiegerleben?
Ich würde nicht sagen, dass mir grundlegend etwas nicht gefällt. Was aber immer herausfordernd ist: Dass man sich immer mit allem auseinandersetzen muss, weil einfach der Raum dafür da ist. Immer wenn ich gerade vorhabe, einfach mal drei Tage die Sonne und das Leben genießen, kommt irgendetwas, was mich mental beschäftigt. Wenn man in einer Höhle lebt, ist das wie eine dauerhafte Meditation. Dann ist man offen und empfänglich für alles, was auf einen zukommt. Und natürlich kommen da anstrengende Themen auf. Aber mich bringt auch so vieles weiter. Deshalb würde ich nicht sagen, dass es mir nicht gefällt, es ist einfach nur eine Dauerchallenge, die immer irgendwie läuft. Die aber auch zunehmend leichter wird. Die größte Herausforderung war es, meine eigenen Themen Freiheit und Liebe anzugehen. Mich wirklich auch mit diesen Themen wie freie Liebe und Polyamorie auseinanderzusetzen, war so anstrengend und hat mich auf einer tiefen Ebene beschäftigt. Aber jetzt fühlt es sich auch unglaublich gut an und ich bin glücklich, das gemacht zu haben.

Was bedeutet für dich Freiheit und Liebe?
Freiheit bedeutet für mich, mich von dem zu befreien, was mir nicht dient und meinen Weg selbst zu definieren. Wenn ich das mache, bin ich in mir frei. Liebe versuche ich auf die Bedingungslosigkeit zu beziehen, also wirklich die allumfassende Liebe. Die Liebe für mich, für Menschen, für Tiere und für den Planeten. Also einfach die Liebe als Grundlage und Essenz. Wenn man immer mit Liebe handelt, kreiert man ein liebevolles Umfeld. Meine Grundeinstellung, mit der ich morgens aufstehe, ist Liebe. Das kann so aussehen, dass ich versuche, das in Form von Dankbarkeit zu leben und zu überlegen, für was ich grade dankbar bin. Oder ich singe etwas. Das alles sind für mich Formen von Liebe. Ich versuche einfach, nett zu Menschen zu sein, offen auf sie zuzugehen und mit Liebe zu reagieren. Das ist für mich Liebe. Es ist eine Entscheidung.

Was sind die Größen Vorteile von dem Leben auf den Kanaren im Vergleich zu einem Leben in Deutschland?
Ich habe meine Zufriedenheit früher immer an Ländern festgemacht. Ich habe immer gedacht, dass die Kanaren für mich das Paradies sind und ich dort leben möchte, weil es warm und unkompliziert ist. Letztendlich ist es jedoch ein Gefühl, das ich in mir gefunden habe. Gerade fragen mich alle Menschen, warum ich noch hier in Berlin bin. Aber mir geht es wirklich gut hier. Natürlich freue ich mich, wieder auf den Kanaren zu sein. Aber es eilt nicht so wie früher. Das Paradies an dem Ort zu sehen, wo man grade ist, konnte ich mehr und mehr lernen. Auch wenn es hier oft regnet und kalt ist, fühle ich mich immer noch wie im Paradies.

Wie gehst du mit Heimweh um?
Ich bin viel in Kontakt mit meinen Freundinnen, Freunden und meiner Familie. Manche kommen mich auch besuchen. Und wenn ich im Sommer in Deutschland bin, besuche ich hier alle. Also grundlegend habe ich mit allen Menschen, mit denen ich eine tiefe Verbindung habe, eine zeitlose und eine bedingungslose Art von Beziehung. Wir wissen einfach, dass wir verbunden sind können nur nicht ganz so oft sehen, weil wir unterschiedliche Wege gehen. Aber wir sind immer füreinander da.

Wie hat das Leben auf den Kanaren dich und deine Perspektive auf das Leben insgesamt verändert?
Ich habe gelernt, zu vertrauen. Der Weg durch alle Herausforderungen führt zum Ziel. Ich habe gelernt, an diesem Weg Spaß zu haben. Liebe und Freiheit sind die Hauptthemen, mit denen ich mich auseinandersetze. Ich weiß, dass ich frei sein möchte und Liebe leben möchte. Und ich weiß, dass ich dafür immer Möglichkeiten finden werde. Wenn ich mich daran erinnere, meinen eigenen Weg zu gehen, dann klappt das. Dann bin ich frei.

Gibt es Dinge, die du anderes gemacht hättest?
Eigentlich nicht. Es gab zu bestimmten Zeitpunkten viele Dinge, die ich hinterfragt habe. Gerade als die Herausforderungen so unglaublich groß waren, dass ich nicht wusste, wie ich weitermachen sollte. In diesen Momenten habe ich mich immer wieder gefragt: Ist dass der richtige Weg? Soll ich wieder zurückgehen? Eigentlich wusste ich immer die Antwort. Ich wusste, dass ich gar nicht zurück konnte. Ich habe das Leben hier aus einem Grund kennengelernt. Wenn ich mich zusammenreiße und durch die Herausforderungen durchgehe, werde ich das bekommen, wofür ich kämpfe. Natürlich gibt es Dinge, die mir nicht gefallen. Aber ich weiß, wofür ich es mache. Ich weiß das jeden Tag.

Hat jeder Mensch eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft?
Ich würde sagen, dass jeder eine Verantwortung sich selbst gegenüber hat. Eine Verantwortung, achtsam mit sich selbst zu sein und dabei bestenfalls auf andere und den Planeten zu achten. Achtsam mit allen Lebewesen umzugehen, das würde ich als eine Art Verantwortung betrachten. Wir haben eine Verantwortung, unseren eigenen Weg zu gehen, aber den so zu wählen, dass er niemanden verletzt. Wenn das funktioniert, ist das Leben ein Austausch. Das heißt, wenn jeder auf seinem eigenen, achtsamen Weg ist, ist das ein Geben und Nehmen.

Was sind deine Zukunftspläne?
Diese definieren sich auch immer wieder neu, weil auch immer wieder neue Träume hinzukommen. Auch Dinge, von denen ich vorher gar nicht wusste, dass sie meine Träume waren. Ich habe wirklich absoluten Frieden mit meinem Weg gefunden. Mein Traum ist es, in der Liebe und in der Freiheit zu bleiben und das mit Menschen teilen zu können.

Kann eine Welt voller Liebe und Frieden irgendwann Realität werden?
Ich denke, dass wenn die Menschen aufhören würden sich zu bekämpfen, sondern sich als eine Einheit sehen, als eine Menschheitsfamilie, und liebevoll und wohlwollend mit einander leben, sich so akzeptieren wie sie sind, dann wäre das längst geschafft. Einfach als eine Seelenfamilie agieren, die sagt, wir gehen diesen Weg zusammen. Es gibt zum Beispiel diese Friedensmediationen. Wenn sich in diesen einen Moment, so viele Menschen für Frieden entscheiden, dann ist grade in diesem Moment viel mehr Frieden auf dieser Welt als vorher. Wenn immer mehr Menschen sagen: Wir gehen diesen Weg zusammen und ihre Waffen ablegen, anstatt zu kämpfen, kann es immer weiter in diese Richtung gehen. Es ist die Entscheidung von jedem Einzelnen und jeder Einzelnen.

Was war dein schönster Moment auf den Kanaren?
Da habe so viele Momente im Kopf. Einer sticht besonders hervor: als ich mit einem Wal geschwommen bin. Das war unglaublich schön und ich werde es nie vergessen. Der war genau vor mir beim Schnorcheln. Ich liebe Meerestiere.

Du willst mehr? Du bekommst mehr!

Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.