Besserwisserwissen: Der Bystander-Effekt

Eine Obdachlose Person auf der Straße
Je mehr Menschen eine kritische Situation mitbekommen, desto niedriger ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand hilft.

Es gibt wieder eine neue Portion Wissen zum Mitnehmen und Angeben. Dieses Mal geht es um die Zivilcourage. Weißt du, was der Bystander-Effekt ist?

Judith Abrahams, funky-Jugendreporterin

Der Begriff des Bystander-Effekts, zu Deutsch Zuschauereffekt oder auch Genovese-Syndrom, beschreibt das Phänomen, dass Augenzeugen einer Notsituation, beispielsweise eines Unfalls oder eines kriminellen Übergriffs, Betroffenen seltener helfen, wenn weitere Zuschauerinnen und Zuschauer (engl. bystander) anwesend sind. Mit anderen Worten: Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person in einer Notsituation eingreift und der betroffenen Person hilft, ist größer, je weniger Personen sich am Ort des Geschehens befinden. 

Der synonym verwendete Begriff „Genovese-Syndrom“ bezieht sich auf die US-Amerikanerin Kitty Genovese, die 1964 auf dem Weg zu ihrer Wohnung in New York City Opfer eines Mordes wurde, der sich über eine halbe Stunde zog und an verschiedenen Orten stattfand. Das Verbrechen wurde angeblich von 38 Personen aus der Nachbarschaft bemerkt und beobachtet, doch niemand kam der jungen Frau zu Hilfe. An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass diese Annahme nicht korrekt sein kann, da durch den Grundriss des Gebäudes und der verschiedenen Tatorte keinem Zeugen möglich war, den gesamten Angriff zu verfolgen.

Dennoch war dieser Vorfall für die Psychologen John M. Darley von der New York University und Bibb Latané von der Columbia University Anlass genug, das Nichteingreifen von Zeugen wissenschaftlich zu untersuchen. Als Hauptursachen identifizierten sie Verantwortungsteilung und „pluralistische Ignoranz“.  Jede der anwesenden Personen wartet darauf, dass eine andere Person vor Ort eingreift oder den ersten Schritt macht und die anderen anleitet.

Die zweite Theorie besagt, dass mit der Anzahl der Umstehenden die Bereitschaft steigt, die Situation nicht als Notfall einzustufen, da man davon ausgeht, dass auch die anderen die Situation nicht als Notfall einstufen. Weiter vermutet man, dass Personen nicht helfen, weil sie befürchten, sich zu blamieren, wenn sie in eine Situation eingreifen, die von der betroffenen Person möglicherweise nicht als bedrohlich empfunden wird.

In bestimmten Fällen kann der Bystander-Effekt auch justiziabel geahndet werden. Sowohl die unterlassene Hilfeleistung als auch die „Behinderung von Helfern“ sind in Deutschland strafbar. Dabei müssen Bystander mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder einer hohen Geldstrafe rechnen. Ausgenommen von der Nothilfe sind nur Personen, die dadurch eine erhebliche Gefahr für sich selbst befürchten müssen.

Was aber ist zu tun, wenn man helfen will, der Situation aber nicht gewachsen ist? Laut Soziologieprofessor Frank Oberzaucher von der Universität Konstanz ist es eine gute Idee, bei den Betroffenen selbst oder bei Umstehenden nachzufragen, ob Hilfe benötigt wird.

Eine Möglichkeit sei auch, die Situation aufzubrechen: Ähnlich wie Clowns, die eine Situation stören, irritieren. Das sei hilfreich, um die Situation unter Einbeziehung der anderen neu zu definieren. Zudem könne man ein Courage-Training absolvieren. Dort lerne man, in schwierigen Situationen die Initiative zu ergreifen.

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