Meine Woche ohne Spiegel

Eine Frau putzt Zähne.
Beim Zähneputzen schaut man oft automatisch in den Spiegel.

Eine Woche lang ehrlich sein, keinen Plastikmüll produzieren oder auf Instagram verzichten? In dieser Rubrik versucht sich die Jugendredaktion an spannenden Selbstexperimenten. 

Shirin Tarami, funky-Jugendreporterin

Sei es vor dem Spiegel, an einer Fensterreflexion oder in der Handykamera: Man schaut sich selbst sehr oft am Tag an. Doch welchen Einfluss hat es, sich selbst so oft zu sehen? Und was passiert, wenn ich darauf bewusst verzichte? Ich habe den Selbstversuch gewagt, eine Woche lang ohne Spiegel zu leben.

Ich schaue normalerweise sehr gerne in den Spiegel, um mich zu vergewissern, wie ich gerade aussehe. Meistens möchte ich wissen, wie meine Haare und mein Makeup sitzen, ob ich etwas zwischen den Zähnen habe oder einfach, weil ich es mir angewöhnt habe, mich bei Gelegenheit zu betrachten.

Ich habe für den Selbstversuch ein paar Anläufe gebraucht, denn es ist ziemlich schwer, nicht in den Spiegel zu schauen. Vor allem als eine Person, die es im Alltag sehr oft tut. Ich bereitete meine Outfits schon vor der Challenge vor, damit ich mir keine Sorgen machen musste, ob die Kombinationen auch passen. Problem eins ohne Spiegel.

Es fängt schon schwer an. Beim Zähneputzen schlendere ich durch die Wohnung, um den Badezimmerspiegel zu vermeiden. Außerdem habe nicht bedacht, wie ich mich nun schminken soll. Also versuchte ich am ersten Tag, mich blind zu schminken, was im Nachhinein betrachtet keine gute Entscheidung war. Ich vergaß, wo ich etwas aufgetragen habe, und wusste somit nicht, was verblendet ist und was nicht. Meine Schwester half mir netterweise am Ende, indem sie mir sagte, was schiefgelaufen war. Da ich morgens nicht genug Zeit für diese kuriose Makeup-Routine habe, entschied ich mich dazu, die kommende Woche ganz auf Makeup zu verzichten.

Am ersten Tag fühlte ich mich unwohl, da ich es ungewohnt fand, nicht zu wissen, wie ich aussehe. Es nervte mich regelrecht, mein Äußeres nicht kontrollieren zu können. Mir schien es, als würden mich mehr Menschen anschauen als sonst – was natürlich nicht stimmte.

Ich löschte Snapchat für eine Woche, um gar nicht ers in Versuchung zu kommen, die App zu nutzen.

Shirin Tarami

In der Schule wurde es einfacher, da ich dort selten die Chance habe, in einen Spiegel zu schauen. Im Unterricht wurde gelernt und die Pausen verbrachte ich draußen und spielte Volleyball. Mein Handy blieb in der Tasche und mein digitaler Spiegel somit auch. Da wir an der Schule sowieso ein Handyverbot haben, musste ich nur auf der Schultoilette darauf achten, nach unten zu schauen, wenn ich mir die Hände wusch. Nach der Mittagspause fragte ich dann meine Freundinnen, ob ich etwas zwischen den Zähnen habe, denn nichtsdestotrotz wollte ich weiterhin gepflegt unterwegs sein.

Nach der Schule bin ich normalerweise gerne auf den sozialen Medien unterwegs. Ein Medium fiel nun weg: Snapchat. Meine Freundinnen und ich nutzen die App gerne im Alltag und schicken uns gegenseitig lustige Selfies. Da meine Frontkamera auch ein Spiegel ist, versuchte ich, gar nicht erst in Versuchung zu kommen und entschied mich dazu, die App für eine Woche zu löschen.

Zudem tanze ich normalerweise gerne abends für mich und vor dem Spiegel. Doch der Spiegelpart fiel nun weg. Da ich nicht wusste, wie ich nun aussehe, war es zu Beginn beklemmend, einfach so zu tanzen. Doch mit der Zeit wurde es immer witziger. Ich stellte mir vor, wie gut beziehungsweise schlecht ich tanze, was vor allem mit meinen Geschwistern zusammen viel Spaß macht.

Die Sehnsucht, einen Spiegel oder eine Reflektion von mir zu erhaschen, stieg an den darauffolgenden Tagen enorm. Am dritten Tag passierte es dann auch. Schuldig ertappte ich mich dabei, wie ich mich in einem Autofensters ansah. Keine zwei Sekunden später merkte ich es jedoch und senkte den Blick. Danach bereute ich es:  Ich sah aus wie immer. Doch auch nach dem dritten Tag fiel es noch schwer, den Spiegel zu meiden und mich nicht zu anzusehen.

Noch am selben Abend schrieb ich meine bisherigen Gedanken zum Experiment auf. „Es macht weniger Spaß, als erhofft“ stand ganz oben auf meinem Zettel. Zu dem Zeitpunkt empfand ich den Selbstversuch als zwecklos und lästig. Es war anstrengend, dauerhaft das Bedürfnis nach einem Spiegel zu haben.

Mir fiel auf: Man wird im Alltag dauernd mit dem eigenen Spiegelbild konfrontiert. Am vierten Tag ging ich mit meinen Freundinnen shoppen und es wurde schon in der Bahn brenzlig. Bloß nicht zum Fenster schauen, dachte ich, was wieder einmal schwieriger als gedacht war. Ich lenkte mich ab, indem ich viel mit meiner Freundin redete und die mitfahrenden Menschen betrachtete. Kamen wir an Schaufenstern vorbei, musste ich stets wegschauen und die anprobierte Kleidung im Geschäft konnte ich auch nicht im Umkleidespiegel betrachten. Stattdessen verließ ich mich auf die Meinung meiner Freundinnen, die mir bei der Challenge stets treu geblieben sind und mich sehr unterstützt haben.

Trotz der kleinen Hürden wurde ich immer gelassener. Am fünften Tag stellte ich fest, dass ich das Gefühl hatte, von der Bestätigung anderer abhängig zu sein. Ebenfalls am fünften Tag schrieb ich meine neuen Eindrücke auf. „Ich denke, dass ich ein sehr eitler Mensch bin“, stand dieses Mal auf dem Zettel. Eitelkeit ist nicht unbedingt etwas Schlechtes, aber ich bin einfach viel zu eitel. Ich lernte mit diesem Selbstversuch Selbstreflexion zu praktizieren – ganz ohne Spiegel. Ich lernte, wie viel wichtiger meine inneren Werte sind.  Es fiel mir etwas leichter, nicht nach der Bestätigung anderer zu fragen, sondern mich darauf zu fokussieren, was ich machte und nicht, wie ich dabei aussah.

Die letzten zwei Tage waren dann einfacher. Mittlerweile hatte ich mich an diese neue Routine gewöhnt, den Spiegel zu vermeiden. Zwei Freundinnen kamen vorbei und wir wollten Selfies machen. Da sie mittlerweile wussten, dass ich nicht in den Spiegel schauen durfte, drehten sie automatisch das Handy zu der Rückkamera um und wir machten trotzdem Fotos. Normalerweise bin ich pingelig bei Selfies und vergewissere mich, ob diese auch gut geworden sind. Doch dieses Mal war es mir egal, da ich selbstbewusster aufgetreten bin. Ich war in diesem Moment voll guter Laune und machte mir auch keinen großen Kopf darum, wie ich aussah, da mir bewusst war, dass ich gute Energie ausstrahlte.

Am letzten Tag der Challenge stellte ich fest: Ich würde mich zwar nie komplett daran gewöhnen, nicht in den Spiegel zu schauen, aber es war definitiv einfacher als zu Beginn. Morgens freute ich mich, dass dieser Versuch ein Ende hat, da ich mich selbst ein wenig vermisst habe. 

Ich erledigte meine Hausaufgaben und ging spazieren. Dabei hatte ich nun nicht mehr das Gefühl, von vielen Menschen angestarrt zu werden. Zudem realisierte ich, dass jeder und jede mit sich selbst beschäftigt ist. Aus diesem Grund schlenderte ich mit mehr Gelassenheit durch den Park.

Obwohl das der letzte Tag war, gab es trotzdem noch ein Hindernis: Meine Oma rief mich via Videocall an. Ich konnte den Anruf nicht annehmen, sonst hätte ich mich sehen können. Meine Schwester gab ihr Bescheid und ich rief sie normal an.

Ich habe festgestellt, dass Selbstbewusstsein nicht darauf basieren sollte, wie ich aussehe, sondern darauf, wer ich bin und wie ich mich fühle.

Shirin Tarami

Nach dem Telefonat machte ich mir viele Gedanken über die Auswirkung dieses Selbstversuches. Ich dachte, dass es nicht schwer sein würde, doch ich merkte schnell, wie sehr ich auf einen Spiegel angewiesen bin. In den ersten vier Tagen war ich aufgebracht und nicht immer in bester Laune, was daran lag, dass ich manchmal ziemlich unsicher bin. Ich möchte immer wissen, wie ich aussehe, bevor andere mich sehen.

Es gefiel mir nicht, dass ich mich nicht sah. Obwohl meine Freundinnen und meine Familie mir stets sagten, dass ich wie immer aussah, vertraute ich nicht darauf. Nicht kontrollieren zu können, ob es auch wirklich stimmte, machte mich sauer.

In den letzten zwei Tagen änderte sich einiges. Ich hatte nicht mehr so oft das Bedürfnis, zu checken, wie ich aussehe, weil ich mich daran gewöhnt hatte, ohne Spiegel auszukommen. Auch wenn diese Woche anstrengend war und ich mich darauf freute, wieder in den Spiegel zu schauen, war es eine gute Erfahrung, die ich jedem und jeder empfehlen kann. Zu lernen, dass es wichtiger ist, sich mehr mit seinen inneren Werten zu befassen, half mir persönlich sehr.

Als ein Mensch, der sich oft auf sein Äußeres konzentriert hat, habe ich in dieser Woche viel über mich selbst gelernt. Ich habe erkannt, dass die ständige Selbstbetrachtung nicht unbedingt zu mehr Selbstbewusstsein führt, sondern oft zu Unsicherheit und Abhängigkeit von der Meinung anderer.

Am Ende dieser Woche kann ich sagen, dass es zwar eine Herausforderung war, ohne Spiegel auszukommen, aber es hat mir geholfen, meine Prioritäten neu zu setzen. Ich habe festgestellt, dass Selbstbewusstsein nicht darauf basieren sollte, wie ich aussehe, sondern darauf, wer ich bin und wie ich mich fühle. Auch wenn ich in dieser Woche kein neuer Mensch ohne Unsicherheiten geworden bin, kann ich sagen, dass es ein guter Anfang war. Die Erfahrung hat mich auch daran erinnert, wie wichtig es ist, mich selbst zu akzeptieren und mich nicht ständig mit anderen zu vergleichen. Ich werde weiterhin auf mein Äußeres achten, aber ich werde es nicht mehr zur obersten Priorität machen.

Insgesamt war dieser Selbstversuch eine wertvolle Erfahrung, die mir geholfen hat, mich selbst besser zu verstehen und meine Einstellung zu meinem eigenen Aussehen zu überdenken.

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