Am regionalen Hungerhaken

Nick Käseberg ist bei seinem Selbstversuch zu sehen. Er greift auf eine ausschlieplich regionale Ernährung zurück. Sein Kopf ist in der Nahaufnahme zu sehen. Er trägt eine große goldene, runde Brille. Er hat einen drei-Tage-Bart und lange Haare zu einem Zopf gebunden. Von links kommt eine Hand mit einem Paprikastück ins Bild, von dem er abbeißt.
Regionale Ernährung ist zwar gut für die Umwelt, kostet aber eine Menge Zeit, Geld und kreative Kochfähigkeiten.
Nick Käseberg, funky-Jugendreporter

Ein Avocado-Toast mit Ei, darauf ein paar Microgreens, Salz, Pfeffer und vielleicht ein wenig Paprikapulver für die Farbe. Ein Frühstück, das guttut, für mich jedoch tabu ist. Denn eine Woche lang beschränke ich mich auf eine ausschließlich saisonale und regionale Ernährung. Und das nehme ich ernst: In Berlin und Brandenburg wird kein Salz abgebaut, Zucker ebenso wenig.

Ich kann auch nicht sicher sein, dass die Paprika für das Pulver regional angebaut wurde. Und schon wird aus meinem Frühstück einfach nur ein Ei.

Was es heißt, sich ausschließlich regional zu ernähren, verdeutlicht sich an folgender Situation: Es ist Tag zwei und ich sitze beim Schreiben dieser Einleitung in der Küche meines Büros, während mein Team Falafel am Flussufer isst. Vor mir steht ein frisch gekochter Topf Kartoffeln, ungesalzen, und lächelt mir herausfordernd ins Gesicht. Ich weiß, dass es anderen Menschen auf der Welt weitaus schlechter geht. Aber ich hätte gerade einfach gern einen Falafel.

Tag 1

Ich startete das Experiment in meinem Heimatdorf in Brandenburg. Die Quelle regionalen Gemüses und Obstes. So dachte ich. Nach 20 Minuten im Supermarkt verließ ich ihn mit leeren Händen. Kartoffeln aus Ägypten, Gurken aus den Niederlanden – Äpfel immerhin aus Sachsen. Knapp daneben. Ich habe die Mitarbeitenden gefragt, was denn aus Brandenburg kommt: „Unser Warenlager ist in Sachsen, also nichts.“ Ich hatte schon befürchtet, dass die Liefersysteme großer Supermarktketten meiner Nahrungssuche im Weg stehen.

In meinem Elternhaus fand ich einen halben Sack Beelitzer Kartoffeln. Passend dazu nahm ich Leinöl aus dem Schrank, fand aber nur, wie auf so vielen Produkten, das Hersteller-Unternehmen auf dem Etikett. Ich rief bei der Firma an und fragte, ob all ihre Zutaten aus Brandenburg stammen. Der mies gelaunte Mann am Telefon sagte: „Die Anbauflächen hier sind zu klein. Unsere Leinsamen kommen aus Kasachstan.“ Mit deprimierter Miene schaute ich meine Kartoffeln an und stellte mich an den Herd, um meine zwei Frühstückseier aus dem Dorf nebenan zu kochen. Dazu gab es eine Lauchzwiebel aus dem Garten.

Mein spärliches Frühstück befriedigte mich nicht wirklich. Ich wollte etwas Frisches. Also nahm ich mir die rumliegenden Erdbeeren und Äpfel zur Hand und rief die Servicenummern der Abpackunternehmen an. Nach 45 Minuten rief mich eine Frau aus Wiesental zurück. Ich hielt wirklich und wahrhaftig Brandenburger Äpfel in der Hand. Meine Freude war riesig, als ich endlich reinbeißen durfte. Regionale Ernährung ist süß dachte ich, aber stellte zugleich fest, dass es schwieriger werden würde, an regionale Produkte zu kommen, als ich gedacht hätte.

Den Apfel knabberte ich daher bis zum innersten Strunk ab und fragte mich, ob ich durch meine limitierte regionale Kost die allzeitverfügbare Lebensmittelvielfalt stärker wertschätzen lerne. Die Zutaten für mein Abendessen besorgte ich in einem Hofladen in Vetschau. Die Tour dorthin und zurück dauerte eine gute Stunde und ich kaufte Gemüse für satte 15 Euro. Frisches Gemüse mit viel Geschmack, aber trotzdem fad, so ohne Salz und Pfeffer.

Tag 2

Am zweiten Tag suchte ich einen Bio-Supermarkt auf, der immerhin mit „regional“ wirbt. Der Obst- und Gemüse-Beauftragte vor Ort enttäuschte mich jedoch schnell: „Regional heißt bei uns deutschlandweit.“ Würde ich Fleisch essen, wäre der Versuch wohl etwas einfacher. Aber ich bin Pescetarier, ernähre mich also vegetarisch und esse auch Fisch. Also gibt es das einzige zum Mittag, wo der Erzeuger draufsteht: Kartoffeln aus Brodowin.

Beim Essen erntete ich einige geschockte Blicke von meinen Kolleginnen und Kollegen. Ich fragte mich also: Sind wir so verwöhnt von den Gewürzen des Orients und Früchten der Tropen, dass die rein regionale Kost nicht mehr denkbar ist? Natürlich müsste ich nicht unbedingt auf Salz verzichten. Immerhin gibt es deutschlandweit noch eine Handvoll Salinen. Aber dieses Experiment soll das Ausmaß dieses Lebensstils verdeutlichen. Und das tut es: Ich bin hungrig und schockiert, wie schwer es ist, Gemüse aus der Region zu finden.

Der Abend brachte Erleichterung: Ein großer Supermarkt nahe meiner Wohnung schildert regionale Produkte extra aus. Rapsöl, Kürbiskerne und Honig waren die Ausbeute. Der Rest des Einkaufs bestand wieder aus Obst und Gemüse und langsam machte sich der Gedanke breit, dass eine regionale Ernährung im Winter fatale Folgen für mich hätte haben können.

Tag 3

An Tag drei aß ich also meinen Brandenburger Chicorée mit Kürbiskernen, Honig aus Berlin, Salat und Kräuter vom Balkon, Rapsöl und Eier und briet dazu Spargel in kleinen Stückchen als Topping an. Die begrenzte Auswahl der Lebensmittel ließ mich kreativ werden, und noch viel besser – langsam freute ich mich wieder auf meine Mahlzeiten.

In meiner Mittagspause fuhr ich zur StadtFarm in Lichtenberg. Dort wird solidarische Landwirtschaft betrieben und entsprechende Produkte werden vor Ort in einer Markthalle verkauft – sogar Fisch. Der Afrikanische Wels wird in einer AquaTerraPonik-Anlage mitten in Berlin großgezogen. Nachhaltig, natürlich und ein echtes Abendessenhighlight! Wer Abwechslung in eine regionale Ernährung bringen möchte, muss sich also Zeit zum Recherchieren nehmen.

Tag 4

Am Donnerstag fuhr ich in die Brandenburgerie am Kollwitzplatz. Ein Lokal mit fast ausschließlich brandenburgischen Lebensmitteln. Der Besitzer des Ladens erklärte mir, dass ich nicht auf große Produzenten zurückgreifen sollte, da sie die gebrauchten Mengen regional nicht produzieren könnten. Dennoch verlasse ich die Brandenburgerie glücklich mit einem Packen Weizenmehl und Kuhmilch unter dem Arm.

Tag 5

An Tag fünf machen sich das erste Mal Folgen meiner regionalen Ernährung bemerkbar. Eine gewisse Leere machte sich im Magen breit, ich war leicht reizbar und hatte keine Lust, mich zu bewegen. Mein Blutzucker war im Keller und kein Essen, das zur Auswahl stand, machte mich glücklich. Alles war fad. Als ich abends in einer dunklen, lauten und stickigen Bar saß, habe ich also entgegen meiner guten Vorsätze eine Cola getrunken. Mir war einfach zu schwindelig, der Zucker musste her. Und tatsächlich: Die Cola in meinem Mund war eine echte Geschmacksexplosion! Und vor allem: 30 Minuten später war ich gesprächiger und weniger gereizt. Trotzdem fühlte ich mich schlecht. Es fühlte sich ein wenig wie das Scheitern meines Experiments an. Aber die Erkenntnis, dass regionale Ernährung nicht ausreicht, den Alltag energiegeladen zu bestreiten, ist durchaus auch ein wissenswertes Ergebnis. Ich entschied mich also dazu, den Selbstversuch weiter zu verfolgen.

Tag 6 und 7

Am Wochenende fuhr ich nach Mecklenburg-Vorpommern und besorgte mir mein Gemüse bei einem lokalen Bauern. Im Supermarkt probierte ich es erst gar nicht. Denn hier musste ich nicht Etiketten studieren.

Spannend wurde es dann wieder am Sonntag, als ich in meiner Wohnung darauf wartete, dass es 0 Uhr wurde. Ich habe mir dann direkt ein Stück Pizza genehmigt, das ich vor drei Tagen vorsorglich eingefroren habe. Der Geschmack war so intensiv und überwältigend, dass ich mich zurückhalten musste, keine Luftsprünge zu machen. Meine Laune war am nächsten Tag deutlich besser.

Gesund, kostspielig, lehrreich

Meine Ernährung in diesen sieben Tagen war sehr gesund, keine Frage. Aber mir fehlten einige Dinge, die mich sonst antreiben. Mal ein Stück Schokolade zur Belohnung oder ein Bier mit meinen Kolleginnen und Kollegen. Ich war so sehr mit dem Suchen nach Nahrung und dem Zubereiten der spärlichen Zutaten beschäftigt, dass ich sogar nach der Arbeit kaum etwas mit Freundinnen und Freunden unternehmen konnte. Auch aus dem Grund, dass ich schlecht gelaunt war. Leider ist auch der Beitrag zum Umweltschutz, den ich mit der regionalen Kost geleistet habe, nicht direkt spürbar. Gut ist es natürlich dennoch. Das muss man sich selbst immer wieder sagen. Insgesamt war das Experiment ein größerer Schritt aus meiner Komfortzone, als ich gedacht hatte – aber ließ mich Lebensmittel auch anders wertschätzen.

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