Interview

Tierärztin im Interview: „Die Lernpause ist echt unterschätzt“

Hund bekommt eine Spritze auf dem Behandlungstisch
Julia Arnoldi liebt ihren Beruf mit den Tieren. Doch der Weg dahin war nicht leicht.
Anna Abraham, funky-Jugendreporterin

Julia Arnoldi ist Tierärztin und seit einem Jahr in Freiburg tätig, davor hat sie in Berlin studiert. Sie arbeitet in einer großen Klinik, hauptsächlich zählen Hunde und Katzen, aber auch Kleinsäuger zu ihren Patienten. Auf ihrem Instagramkanal @jollie_the_vet zeigt sie nicht nur Ausschnitte aus ihrem Arbeitsalltag, sondern behandelt auch Themen wie Work-Life-Balance oder Psychische Gesundheit

© Mikhail Nilov

Veterinärmedizin gilt als einer der stressigsten Studiengänge. Was war deine Motivation, Tierärztin zu werden?
Ich war früher ein richtiges „Wendy“-Girl und zuhause hatten wir schon immer viele Tiere. Direkt nach dem Abitur habe ich Chemie studiert, später bin ich dann zu Biologie gewechselt. Irgendwann hatte ich dann die Erkenntnis, dass ich für meinen Biologie-Abschluss promovieren und im Labor stehen müsste. Also habe ich die Ausbildung zur Tiermedizinischen Fachangestellten gemacht und gemerkt, Tiermedizin ist voll mein Ding.  Als ich als Tierarzthelferin gearbeitet habe, war ich immer interessiert und habe immer mit allen Beteiligten über die komplexen Zusammenhänge der Tiererkrankungen gesprochen. Dementsprechend habe ich beschlossen, nach der Ausbildung Tiermedizin zu studieren. Wenn ich mich mit meinen Freundinnen darüber unterhalte, ob wir das, was wir tun, gerne tun, kann ich nur sagen: Ich liebe, was ich tue. Auch den Klinikalltag mit den unterschiedlichen Leuten liebe ich. 

Was genau macht den Studiengang so stressig?
Das Veterinärmedizinstudium ist sehr verschult, Studierende müssen einem genauen Stundenplan folgen. Morgens um acht Uhr geht es los und um 16 Uhr, manchmal auch noch später, endet der Tag. Fast alle Kurse sind Pflichtveranstaltungen. Es fängt im ersten Semester mit Anatomie an, da ist das Lernpensum enorm hoch. Man muss eigentlich von Tag eins dranbleiben, sonst verliert man den Anschluss. Zu den Fächern gehören Chemie, Physik und Biochemie. Zwischendurch müssen Testate geschrieben werden und wenn du die nicht bestehst, wirst du gar nicht zur Abschlussprüfung zugelassen. Es wird viel gelehrt, was für den Beruf im Endeffekt nicht so wichtig ist. Wofür muss ich den Citratzyklus zeichnen können? Das kostet unglaublich viel Zeit, die uns dann fehlt, um anderen Stoff zu verinnerlichen. Das ist sehr frustrierend. Am Anfang habe ich in den reinen Lernphasen, also in den Semesterferien, sicherlich zehn bis zwölf Stunden am Tag gelernt und mir viel Stress gemacht. Wenn man eine Prüfung nicht besteht, muss man ein ganzes Studienjahr wiederholen. Der Druck ist groß.

Gab es einen Moment, in dem du gemerkt hast: Das ist jetzt schon echt viel und ich muss auf mich aufpassen?
Ja, vor den Physikumsprüfungen nach vier Semestern. Da habe ich kurz gedacht: Ich weiß nicht, ob ich das schaffe. Zusätzlich zum Lernen musste ich nebenher noch in der Uniklinik als studentische Hilfskraft arbeiten. Später hat mir die praktische Erfahrung geholfen, aber neben einem sehr lernintensiven Studium noch zu arbeiten ist natürlich belastend. Irgendwann habe ich gemerkt: Die Leute, die das lockerer angehen, kommen besser zurecht. 

Was waren deine Strategien, um mit dem Stress zurechtzukommen?
Die Lernpause ist echt unterschätzt. Ein einstündiger Spaziergang bringt unglaublich viel. Meine Strategien waren Meditation und Bewegung. Dann hatte ich auch wieder die Ruhe, um mich hinzusetzen und Inhalte aufzunehmen. Die zwölf Stunden, die ich in den Jahren vorher gelernt habe, waren nie netto. Davon ging eine Stunde für Instagram und eine Stunde für einen mentalen Breakdown drauf. Nachher habe ich mir das dann besser eingeteilt: Ich habe erst eine halbe Stunde gelernt, dann wurde ich von einer App daran erinnert, ob ich schon eine Pause gemacht habe. So bin ich wesentlich entspannter in das dritte Staatsexamen gegangen, obwohl das das härteste ist: Es werden sechs Monate am Stück Prüfungen geschrieben.

Wenn man eine Prüfung nicht besteht, muss man ein ganzes Studienjahr wiederholen. 

Hat die Uni euch irgendwie unterstützt?
Der Stress der Studierenden ist ins Dekanat zu den Professorinnen und Professoren durchgesickert. Sie haben verstanden, dass man auch im Veterinärmedizin-Studium Kurse integrieren muss, die über Dos and Don’ts während des Praktikums informieren oder über Stressabbau während des Studiums aufklären. Auch das Angebot für Yogakurse kann einigen dabei schon helfen. Außerdem wird diskutiert, ob man das Curriculum ändern sollte. Eine Kommilitonin von mir hat in ihrer Doktorarbeit untersucht, welches Wissen später wirklich bei der Arbeit benötigt wird. So könnte man den Stundenplan möglicherweise anpassen und das Stresslevel für die Studierenden reduzieren. 

Wie steht es heute im Arbeitsleben um deine Work-Life-Balance?
Ich habe eine gute Balance gefunden, weil ich meinen Arbeitgeber danach ausgesucht habe. Im letzten Semester absolviert man ein Praktisches Jahr. Normalerweise ist es so, dass man im Praktikum nicht bezahlt wird. Ich habe gezielt danach gesucht, ob es ein Zimmer oder eine Aufwandsentschädigung gibt, irgendeine Art von Anerkennung. Bei meinem jetzigen Arbeitgeber muss ich zwar Überstunden machen, aber sie werden immerhin ausgezahlt. Ich fahre mit dem Fahrrad nach Hause, dabei komme ich direkt runter. Außerdem verbringe ich gerne Zeit im Garten. Aber ich muss auch ehrlich sagen: Ich kann Stress gut aushalten.

Ich finde die Community unserer Tiermedizin-Bubble toll. 

Wie bist du auf Instagram gekommen und was versuchst du mit deinem Kanal zu erreichen?
Die Tochter meiner besten Freundin hat mich auf die Idee gebracht, als sie ungefähr elf war. Sie meinte, ich müsse das unbedingt machen. Mein erster Gedanke war: „Bin ich da nicht zu alt für?“  Ich versuche neben süßen Tieren und dem Klinikalltag auch andere Dinge aus dem Leben einer Veterinärmedizinerin vorzustellen, die mich interessieren, wie Gartenarbeit oder Berufspolitik. Ich war lange in der Fachschaft aktiv, um in unserem Beruf etwas zu verändern. Leider habe ich jetzt weniger Zeit, das intensiv neben dem Job weiterzuverfolgen.

Ich betreibe auch den Instagram-Kanal unserer Klinik, deswegen bin ich ohnehin viel auf der Plattform unterwegs. Ich finde die Community unserer Tiermedizin-Bubble toll. Wir machen gemeinsam auf Themen wie Hitze und Tiere aufmerksam, aber auch auf Mental Health. Dafür nutzen wir das Hashtag #notonemorevet. Wegen dem Leistungsdruck müssen wir besser auf uns aufpassen und andererseits würde ich mir auch mehr Empathie von Tierbesitzerinnen und -besitzern wünschen. Wir müssen schwierige Entscheidungen treffen, welches Tier als erstes behandelt wird. Einige Haustierbesitzerinnen und -besitzer haben kein Geld und dann wollen sie komplexe Erkrankungen von uns behandelt lassen und weisen uns die Verantwortung zu. Das kann sehr belastend sein. Ich versuche, die Leute auch ein bisschen in ihrer Angst abzuholen, die sie um ihr Tier haben – umsonst können wir es aber nicht machen. 

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