Emely Hofmann, funky-Jugendreporterin
Dieter Hallervorden sagt zur Primetime in der ARD das N- und das Z-Wort, Chris Brown geht auf Welttournee und J.K. Rowling mischt auch in HBOs neuer „Harry Potter“-Serie mit: Von Cancel Culture keine Spur. Egal ob Rassismus, Gewalt gegen Frauen oder Transfeindlichkeit, um seinen Job muss niemand bangen. Obwohl immer wieder betont wird, dass „… man ja gar nichts mehr sagen darf“, ohne von einem „woken Mob“ gecancelt zu werden, zeigen diese Beispiele eine andere Realität. Cancel Culture gibt es nicht. Langfristig verschwinden nur die wenigsten Promis, die durch menschenfeindliche Äußerungen oder gewalttätiges Verhalten aufgefallen sind, von der Bildfläche. Inzwischen ist der Begriff sogar zu einem rechten Kampfinstrument geworden, mit dem wild um sich geworfen wird, sobald Konsequenzen für Fehltritte gefordert werden.
Von Mockridge bis Hallervorden: Eine kleine Geschichte der Cancel Culture
Groß geworden ist der Begriff „Cancel Culture“ zunächst in den USA im Rahmen der „MeToo“-Debatte und den „Black Lives Matter“-Protesten. Dabei wird im Internet gefordert, Promis und Influencer:innen, die durch Sexismus oder Rassismus negativ auffallen, zu canceln, also deren Präsenz in der Öffentlichkeit zu beenden. Der Begriff Culture bezieht sich dabei auf einen öffentlichen Diskurs, in dem angeblich jeder verurteilt werde, der eine abweichende Meinung hat oder sich nicht perfekt verhält. In Deutschland ist Luke Mockridge ein bekanntes Beispiel für Cancel Culture: Nachdem der Comedian von einer Ex-Partnerin wegen Gewaltvorwürfen angezeigt worden war, wurden Konsequenzen für Mockridge gefordert. So wurde etwa Druck auf den Sender Sat1 ausgeübt, die Show des Comedians abzusetzen und ihn nicht mehr im Programm zu zeigen. Nachhaltig übriggeblieben ist davon langfristig aber wenig: Das Strafverfahren wurde eingestellt und Mockridge spielt weiterhin in ausverkauften Hallen. Sogar eine neue Sendung bei Sat1 sollte der Comedian bekommen, bis er erneut „gecancelt“ wurde. Dieses Mal für behindertenfeindliche Aussagen in einem Podcast im September 2024. Seitdem ist es still um Luke Mockridge geworden – fragt sich nur, wie lange. Auf Instagram folgen ihm weiterhin über 800.000 Menschen.
Für den neuesten Eklat zum Thema Cancel Culture sorgte der Schauspieler Dieter Hallervorden. Im Rahmen der Jubiläumssendung „75 Jahre ARD“ führte der inzwischen 89-Jährige eine abgewandelte Version seines Sketches „Palim, Palim“ auf. Darin nutzte Hallervorden mit dem „N-“ und dem „Z-Wort“ bewusst zwei rassistische Begriffe. Pointe des Sketches: Er würde genau deswegen im Gefängnis sitzen, er hätte ja nicht gewusst, dass man das nicht mehr sagen dürfe. Die ARD schien sich nicht groß an den Begriffen zu stören, schließlich war es keine Live-Sendung und der Sketch hätte rausgeschnitten werden können. Aber scheinbar ist es so salonfähig geworden, die Grenzen des Sagbaren auszudehnen und sie zu überschreiten, sodass man sich hier ganz bewusst dazu entschieden hat, diese Provokation zu senden.
Justiz der Zivilgesellschaft
Hallervorden und die ARD haben mit keinen juristischen Folgen zu rechnen, schließlich ist die Nutzung der Begriffe nicht strafbar. Bei Cancel Culture ging es überhaupt nur selten um gerichtliche Folgen. Sagen darf man in Deutschland schließlich (fast) alles. Es ist vielmehr ein Mittel der Zivilgesellschaft, sich an Entscheidungen darüber zu beteiligen, wer in der Öffentlichkeit stattfinden soll und wessen Leben durch den Konsum von Filmen, Musik und Literatur unterstützt wird. Oft sind Menschen, die „gecancelt“ werden sollen, nicht in einer prekären Situation, vor der sie beschützt werden müssen. Sie sind nicht Opfer, sondern Täter mit ganz schön viel Geld, Macht und Einfluss. Der Diskurs der letzten Jahre hat sich aber so verschoben, dass Täter und Opfer inzwischen umgekehrt werden. Dabei wird die empörte Zivilgesellschaft zum aggressiven, überempfindlichen Mob, der die Meinungsfreiheit bedroht, während die rassistisch oder sexistisch pöbelnden Stars zu Opfern stilisiert werden, die vor diesem Mob geschützt werden müssen. Wie wenig die Öffentlichkeit aber wirklich bewirkt, zeigen nicht nur Beispiele wie Mockridge und Hallervorden, sondern werden auch immer wieder durch Universitäten bestätigt: Cancel Culture gibt es nicht. Der öffentliche Aufschrei ist in den allermeisten Fällen nicht effektiv genug, um Konsequenzen zu bewirken. Damit bleibt echte Verantwortungsübernahme aus.
Nicht selten kommen die Täter:innen sogar vollkommen unbescholten davon – sowohl finanziell, als auch beruflich. Wenn es für Fehlverhalten aber keine Folgen gibt, weitet sich der Bereich des Sag- und Machbaren immer weiter aus. Eine funktionierende Cancel Culture, bei der die Menschen ganz bewusst entscheiden, welche Personen und Werte sie unterstützen wollen, könnte dabei so ein kraftvolles Instrument der Öffentlichkeit sein, sich für ein respektvolleres Miteinander einzusetzen.
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Von Mockridge bis Hallervorden: Eine kleine Geschichte der Cancel Culture
Groß geworden ist der Begriff „Cancel Culture“ zunächst in den USA im Rahmen der „MeToo“-Debatte und den „Black Lives Matter“-Protesten. Dabei wird im Internet gefordert, Promis und Influencer:innen, die durch Sexismus oder Rassismus negativ auffallen, zu canceln, also deren Präsenz in der Öffentlichkeit zu beenden. Der Begriff Culture bezieht sich dabei auf einen öffentlichen Diskurs, in dem angeblich jeder verurteilt werde, der eine abweichende Meinung hat oder sich nicht perfekt verhält. In Deutschland ist Luke Mockridge ein bekanntes Beispiel für Cancel Culture: Nachdem der Comedian von einer Ex-Partnerin wegen Gewaltvorwürfen angezeigt worden war, wurden Konsequenzen für Mockridge gefordert. So wurde etwa Druck auf den Sender Sat1 ausgeübt, die Show des Comedians abzusetzen und ihn nicht mehr im Programm zu zeigen. Nachhaltig übriggeblieben ist davon langfristig aber wenig: Das Strafverfahren wurde eingestellt und Mockridge spielt weiterhin in ausverkauften Hallen. Sogar eine neue Sendung bei Sat1 sollte der Comedian bekommen, bis er erneut „gecancelt“ wurde. Dieses Mal für behindertenfeindliche Aussagen in einem Podcast im September 2024. Seitdem ist es still um Luke Mockridge geworden – fragt sich nur, wie lange. Auf Instagram folgen ihm weiterhin über 800.000 Menschen.
Für den neuesten Eklat zum Thema Cancel Culture sorgte der Schauspieler Dieter Hallervorden. Im Rahmen der Jubiläumssendung „75 Jahre ARD“ führte der inzwischen 89-Jährige eine abgewandelte Version seines Sketches „Palim, Palim“ auf. Darin nutzte Hallervorden mit dem „N-“ und dem „Z-Wort“ bewusst zwei rassistische Begriffe. Pointe des Sketches: Er würde genau deswegen im Gefängnis sitzen, er hätte ja nicht gewusst, dass man das nicht mehr sagen dürfe. Die ARD schien sich nicht groß an den Begriffen zu stören, schließlich war es keine Live-Sendung und der Sketch hätte rausgeschnitten werden können. Aber scheinbar ist es so salonfähig geworden, die Grenzen des Sagbaren auszudehnen und sie zu überschreiten, sodass man sich hier ganz bewusst dazu entschieden hat, diese Provokation zu senden.
Justiz der Zivilgesellschaft
Hallervorden und die ARD haben mit keinen juristischen Folgen zu rechnen, schließlich ist die Nutzung der Begriffe nicht strafbar. Bei Cancel Culture ging es überhaupt nur selten um gerichtliche Folgen. Sagen darf man in Deutschland schließlich (fast) alles. Es ist vielmehr ein Mittel der Zivilgesellschaft, sich an Entscheidungen darüber zu beteiligen, wer in der Öffentlichkeit stattfinden soll und wessen Leben durch den Konsum von Filmen, Musik und Literatur unterstützt wird. Oft sind Menschen, die „gecancelt“ werden sollen, nicht in einer prekären Situation, vor der sie beschützt werden müssen. Sie sind nicht Opfer, sondern Täter mit ganz schön viel Geld, Macht und Einfluss. Der Diskurs der letzten Jahre hat sich aber so verschoben, dass Täter und Opfer inzwischen umgekehrt werden. Dabei wird die empörte Zivilgesellschaft zum aggressiven, überempfindlichen Mob, der die Meinungsfreiheit bedroht, während die rassistisch oder sexistisch pöbelnden Stars zu Opfern stilisiert werden, die vor diesem Mob geschützt werden müssen. Wie wenig die Öffentlichkeit aber wirklich bewirkt, zeigen nicht nur Beispiele wie Mockridge und Hallervorden, sondern werden auch immer wieder durch Universitäten bestätigt: Cancel Culture gibt es nicht. Der öffentliche Aufschrei ist in den allermeisten Fällen nicht effektiv genug, um Konsequenzen zu bewirken. Damit bleibt echte Verantwortungsübernahme aus.
Nicht selten kommen die Täter:innen sogar vollkommen unbescholten davon – sowohl finanziell, als auch beruflich. Wenn es für Fehlverhalten aber keine Folgen gibt, weitet sich der Bereich des Sag- und Machbaren immer weiter aus. Eine funktionierende Cancel Culture, bei der die Menschen ganz bewusst entscheiden, welche Personen und Werte sie unterstützen wollen, könnte dabei so ein kraftvolles Instrument der Öffentlichkeit sein, sich für ein respektvolleres Miteinander einzusetzen.
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