Interview

Schule von morgen: Lea Schulz über das Konzept der Diklusion

Inklusion und Digitalisierung müssen zusammen gedacht werden.
Inklusion und Digitalisierung müssen zusammen gedacht werden.
Jan-Malte Wortmann, funky-Jugendreporter

Flensburg. Dass das Bildungssystem vor immensen Herausforderungen und Transformationen steht, ist kein Geheimnis. Ganz weit oben auf der Liste stehen dabei die Themen Digitalisierung und Inklusion. Allerdings dürfen diese Felder keinesfalls getrennt voneinander betrachtet werden, meint die Bildungsexpertin Lea Schulz. Sie hat für diese Kombination den Begriff der „Diklusion“ entwickelt und forscht an der Europa-Universität in Flensburg zu den Schwerpunkten Künstliche Intelligenz (KI) sowie Sprache und Lernen. Im Interview spricht Lea Schulz über ihr Fünf-Ebenen-Modell der Diklusion und über ihre Vision der Schule als offenem Lernort.

Lea Schulz hat den Begriff der Diklusion geprägt.

Liebe Lea, was verbirgt sich hinter dem Begriff der Diklusion?
Lea Schulz: Der Begriff ist eine Kombination aus „Digitale Medien“ und „Inklusion“. Wir können das eine nicht ohne das andere denken. Inklusionsexpertinnen und -experten müssen mit den Fachkräften der Medienentwicklungsplanung zusammenarbeiten und diese Bereiche konzeptuell miteinander verzahnen – auch in der Unterrichtsgestaltung. Es gilt herauszufinden: Wie kann in einer diklusiven Lernumgebung Unterricht so umgesetzt werden, dass alle Schülerinnen und Schüler ihr Potenzial entfalten können?

Warum sind digitale Medien und Inklusion die zentralen Herausforderungen für das Bildungssystem?
Digitalisierung und Inklusion sind gesamtgesellschaftliche Herausforderungen, deshalb müssen sie unbedingt schon in der Schule angegangen werden. Aus meiner Perspektive ist dabei die digitale Kluft die größte Herausforderung. Wir sehen, dass Kinder aus bildungsfernen Haushalten deutlich mehr Schwierigkeiten haben, Medienkompetenzen aufzubauen. Und sie erlernen sie leider auch nicht in der Schule. Das Schulsystem und die Pädagogik entwickelten sich über einen langen Zeitraum – und dann kam plötzlich ChatGPT. Über den Zeitraum von zehn Jahren etwas zu implementieren, funktioniert nicht mehr. Wir müssen lernen, dass wir in einer Transformation leben und dass es nie ein „Fertig“ geben wird: Wir sind nicht irgendwann fertig mit der Inklusion oder haben die Schule fertig digitalisiert. Es werden immer neue Herausforderungen kommen, weshalb das System flexibel gestaltet werden muss.

Wo stehen wir im deutschen Bildungssystem im Bereich der Inklusion? Wo im Bereich der Digitalität?
Wenn ich das Thema wissenschaftlich oder politisch betrachte, ist die Inklusion in Deutschland mangelhaft– beispielsweise bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, der wir uns eigentlich verpflichtet haben. Die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler mit offiziell anerkanntem Förderbedarf wird an Förderschulen immer noch exkludiert unterrichtet und die Bundesländer bringen nur einen zögerlichen Willen zur Transformation mit. Wir sehen immer wieder, dass die Mehrheit dieser Schülerinnen und Schüler keinen Schulabschluss macht. Das ist hochproblematisch. Im Bereich der Digitalität sehe ich im Moment eher eine andere Entwicklung. Mit der Pandemie gab es einen großen Schub. Es wurde viel Geld in die digitale Ausstattung investiert. Langfristig müssen wir möglichst zu einer Eins-zu-eins-Ausstattung kommen, ansonsten haben wir immer noch eine digitale Kluft, bei der einige Schülerinnen und Schüler ausgestattet sind und andere nicht.

Wie sieht ein digital-inklusiver Unterricht in der Praxis aus?
Dafür habe ich ein Fünf-Ebenen-Modell entwickelt, dass die Chancen von diklusivem Unterricht aufzeigt. Eingebettet sind diese fünf Ebenen zunächst in eine diklusive Lernumgebung. Diese Umgebung ist die Grundvoraussetzung, um mit den fünf Ebenen hantieren zu können. Die erste Ebene beschreibt Möglichkeiten zum Lernen durch Medien. Wenn jemand zum Beispiel Schwierigkeiten mit dem Lesen hat, kann man sich mit einem Tablet den Text vorlesen lassen. Die zweite und dritte Ebene umfassen das Lernen mit Medien, einmal auf der individuellen und einmal auf der kooperativen Ebene. Die Ebenen gehören zusammen, denn inklusiver Unterricht darf nicht nur individualisieren oder nur kooperativ sein. Digitale Medien unterstützen die Individualisierung zum Beispiel durch anpassungsfähige Lernsysteme, Visualisierung oder motivierende Aspekte, beispielsweise mithilfe von Gamification, dem Einbauen spielerischer Elemente in den Lernstoff. Für die kooperative und kollaborative Ebene eignet sich eine Medienproduktion sehr gut, etwa das Erstellen eines Podcasts, eines Films oder Plakates. Dann gibt es die vierte Ebene des Organisatorischen, was bedeutet, dass die Lehrkraft personalisiert unterstützt wird. KI schafft Möglichkeiten zur digitalen Diagnostik und Lernstandserfassung in einem Maße, das sonst bei einer Klasse von 30 Schülerinnen und Schülern kaum zu schaffen wäre. Über digitale Medien können sich Lehrkräfte auch mit Therapeutinnen und Therapeuten, dem Jugendamt oder den Eltern austauschen oder ihren inklusiven Unterricht effizient vorbereiten. Und die fünfte Ebene ist das Lernen über Medien, damit wir gezielt Medienkompetenzen aller Schülerinnen und Schüler erweitern und die digitale Kluft verringern können.

Wie sieht für dich die Schule von morgen idealerweise aus?
Die Schule von morgen braucht ein Schulleitungsteam, das die Schule gemeinsam führt und das unterschiedliche Kompetenzen vereint. Außerdem müssen bürokratische Hürden gesenkt werden. Ich würde mir wünschen, dass Schulen selbstständig auf Ressourcen zugreifen und Entscheidungen treffen können. Darüber hinaus wünsche ich mir mehr offene, fächerübergreifende Lernkonzepte und dass sich Schulen mehr nach außen öffnen. Ich kann zum Beispiel aus meinem sonderpädagogischen Blickwinkel heraus nicht nachvollziehen, warum Ergotherapie, Logopädie oder Physiotherapie nur an wenige Schulen angegliedert sind. Wir brauchen flexiblere Systeme, sodass die Schule Menschen von außen reinholen kann, zum Beispiel auch Medienpädagoginnen oder Schulpsychologen. In meiner Vision ist die Schule ein offener Lernort, der die Gemeinschaft stärkt und verschiedene Kulturen feiert.

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Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.