„Das Auswahlverfahren ist absolute Schweinerei“

Ein Arzt im Kittel

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dass die Vergabe der Studienplätze für Humanmedizin nicht verfassungskomform ist, hat einiges aufgewühlt. Wie steht jemand dazu, der seit 5 Jahren auf einen Platz wartet?

Es ist 9.30 Uhr und wir sitzen in einem leeren Café in Berlin-Schöneberg. Er kommt von der fünften Nachtschicht in Folge. Er hat nach dem Abi ein FSJ im Krankenhaus gemacht. Danach hat er sich beim DRK zum Gesundheits- und Krankenpfleger ausbilden lassen. Jetzt arbeitet er auf der Geburtsttation eines Krankenhaus. Seinen Namen möchte er nicht veröffentlichen, weil sein Arbeitgeber nichts von den Studienwünschen weiß.

Warum willst du gern Medizin studieren?
Den Wunsch hatte ich eigentlich schon immer. Ich habe, als ich drei war und andere Kinder Cowboy oder Astronaut werden wollten, immer gesagt, ich will Arzt auf einem Seenotkreuzer werden. Das hat sich so durchgezogen.

Und woran ist der Studienplatz gescheitert?
Im Abi habe ich bestimmte Kurse abgewählt. Zum Beispiel Chemie und Physik, weil ich Bio-Leistungskurs hatte. Diese Kurse hätte ich zwar belegen können, aber sie hätten nicht in mein Abi mit reingezählt. Das hätte nur mehr Anwesenheitszeiten, mehr Klausuren, mehr Hausaufgaben bedeutet. Was ich damals nicht wusste, weil ich mich auch überhaupt nicht damit beschäftigt hatte, dass manche Unis genau diese Fächer auf die Note anrechnen und sich daraus mehr Punkte ergeben.

Warum hast du dich nicht schon in der 11. Klasse damit beschäftigt, wenn es so klar für dich war, Medizin zu machen?
Weil ich mich überhaupt nicht mit diesem ganzen Uni-Ding beschäftigt habe. Das war für mich so weit weg. Es hat auch niemand aus meiner Familie darauf geachtet. Die haben immer gesagt, der Junge wird sein Ding durchziehen, der wird schon wissen, was er tut. Nein, das wusste ich eben nicht. Deswegen lege ich echt jedem ans Herz, der schon länger weiß, was er machen will, zwei oder drei Jahre im Voraus zu planen.

Wie findest du das aktuelle Auswahlverfahren?
Absolute Schweinerei. Also ich kann es nicht anders sagen. Allerdings kann man der Uni auch schlecht einen Vorwurf machen, denn sie bekommen ja ihre Plätze mehr als voll. Warum sollten sie also was ändern? Warum sollten sie mehr Geld dafür ausgeben? Die Antwort darauf lautet aber eigentlich: Weil du als Uni verdammt noch mal den Auftrag hast, die Leute auszubilden, die am Ende Arzt werden.

Was würdest du dir für ein Verfahren wünschen?
Dass es sehr viel transparenter ist. Ich würde mir zum Beispiel wünschen, dass jede Uni die Boni gleich vergibt.

Auch die Einbeziehung des Medizinertests ist den Unis überlassen. Ist denn aus deiner Sicht dieser Test sinnvoll, der nur das Fachliche prüft?
Ja, ich glaube schon, wenn er nicht das einzige Kriterium ist. Du brauchst ja die fachliche Kompetenz und was du vor allem brauchst, ist die Fähigkeit mit dieser krassen Lernmasse umgehen zu können. Auch der Notenschnitt im Abi sagt etwas über deine Erfolgschancen im Studium aus. Wenn du in der Schule schon nicht klarkommst, wird es in der Uni nur noch schwerer. Es ist ganz einfach: Friss den Stoff oder stirb!

Was braucht es ergänzend dazu?
Was bei dem Medizinertest nicht geprüft wird, ist die soziale Komponente. Wie willst du das prüfen? Ich glaube, dass zum Beispiel eine Ausbildung schon in gewisser Weise eine Aussage darüber trifft, wie du persönlich mit bestimmten Sachen umgehst. Du wirst persönlich dabei reifer, weil du auch schlichtweg drei Jahre älter bist. Das ist etwas anderes, als wenn du mit 18 als Küken in einen Vorlesungssaal gesetzt wirst.

Was hältst du denn von dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts?
Ich finde die Begrenzung auf acht Semester Wartezeit ein wenig willkürlich. Ich finde es gut, dass es kürzer ist, als die normale Studienzeit. Aber was machst du mit denen, die da drüber sind? Dann läuft es auch wieder über den NC. Und was machst du in der Zwischenzeit? Du machst vermutlich eine Ausbildung. Aber gut, dann wird es wichtiger, wenn du eine Ausbildung gemacht hast.

Was macht für dich ein guten Arzt aus?
Das ist ein Spannungsdreieck zwischen Nähe und Distanz zum Patienten. Du musst natürlich fachlich gut sein. Das ist die Hauptprämisse. Aber wenn du das fachlich Gute den Menschen nicht rüberbringen kannst, dann bist du auch kein guter Arzt. Diese Schnittstelle zum Menschen ist für mich sehr wichtig. Du kannst mit ein paar Worten ein Leben absolut zerstören. Auch wenn du es gar nicht so gemeint hast und es fachlich richtig ist, ist eine falsche Wortwahl verletztend. Und man muss es schaffen, das Ganze nicht mit nach Hause zu nehmen. Das allerwichtigste ist aber, sich die Zeit für die Leute zu nehmen. Denn nur, wenn du Zeit hast, kannst du es den Leuten richtig erklären, kannst du richtige Diagnosen stellen und dann bist du ein guter Arzt.

Würde das nicht dann auch bedeuten, dass wir mehr Ärzte brauchen und demnach auch mehr Studienplätze?
Hmm, ich glaube, dass die Studienplätze an und für sich reichen. Aber wenn die Hälfte von denen danach etwas anderes macht, hast du ja nur noch 5.000 zielführende Plätze. Und da sind die Abbrecher ja noch nicht einmal dabei. Ein Studienplatz ist super teuer. Das heißt du musst eher gucken, ob die Leute, die Medizin studieren, am Ende auch wirklich das Ziel erreichen, was du haben willst. Da nützt die Anzahl nur bedingt. Man sollte eher schauen, wie man das Geld verteilt.

Auf dem Weg zurück zur U-Bahn erzählt er mir noch, dass er auch schon über Alternativen nachgedacht hat. In Richtung nachhaltige Landwirtschaft könnte ein Studium für ihn auch gehen. Mit Freunden hat er sich schon ausgemalt, wie er sich mit ihnen einen kleinen Gutshof auf dem Land kauft. Einer kümmert sich um die Tiere, einer um die Felder. Im Sommer soll es ein Festival geben. Er ist in diesem Traum aber der Arzt, dem die Gemeinde zu Füßen liegt, weil er mit seiner Praxis auf dem Hof die medizinische Versorgung sichert.

 

Das Urteil könnt ihr auf Bundesverfassungsgericht.de nachlesen. Keine Sorge, die Pressemitteilung ist verständlich.

Als ich mit der Schule fertig war, wollte ich nur einen Job, der mir nie langweilig wird. Die Kulturszene, dachte ich mir, ist doch eine Szene voller Wandel. Deswegen habe ich Kulturarbeit studiert. Später habe ich festgestellt, dass es im Journalismus noch mehr Abwechslung gibt, weil man stets auf der konkreten Suche nach den neuen heißen Themen ist. Doch weil über Vergangenheit und Gegenwart schon so viel geschrieben wird, studiere ich nun Zukunftsforschung und schaue, ganz ohne Glaskugel, in die Zukunft.

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