Zündstoff | Vanlife: Zwischen Mücken, Campinggeschirr und der Suche nach Freiheit

Ein roter Van fährt auf einer kurvenreichen Bergstraße, umgeben von grasbewachsenen Hügeln und felsigem Gelände.
Zwischen traumhaften Kulissen und dem „einfachen Leben“ auf wenigen Quadratmetern – für viele Menschen steht „Vanlife“ sinnbildhaft für die ultimative Freiheit.

In einem Punkt sind sich wohl alle einig: Es wird immer Menschen geben, mit denen man sich uneinig ist. In dieser Rubrik diskutieren junge Menschen über Themen, die für ordentlich Zündstoff sorgen. Bedeutet „Vanlife“ wirklich die pure Freiheit – oder ist es gänzlich überbewertet? Pro und Contra in unserer Rubrik „Zündstoff“.

Durch die sozialen Medien wurde „Vanlife“, also das Wohnen und Reisen im Campervan, zum Lebenstraum vieler Menschen – besonders während der Pandemie entschieden sich immer mehr für ein dauerhaftes Leben im ausgebauten Van. Doch hält der Traum vom Leben auf vier Rädern wirklich, was er verspricht? Unsere Autorinnen beziehen Stellung.

CONTRA: Strapazen für Geldbeutel, Nerven und Ordnungssinn

Einige Monate oder sogar sein ganzes Leben in einem Van auf vier Rädern zu verbringen, wird vor allem bei jungen Menschen immer beliebter. Auch in den sozialen Netzwerken gibt es zahlreiche Creator:innen, die über ihr Leben mit einem (meist jahrzehntealten) Campingbus berichten. Mehr als 17 Millionen Beiträge finden sich auf Instagram unter dem Hashtag „Vanlife“. Hinter der Idee des „Vanlife“ stecken oft die Sehnsüchte nach Unabhängigkeit und Minimalismus, doch selbst beim Campen an den vermeintlich schönsten Orten der Welt ist nicht immer alles rosarot. Und das betrifft nicht nur die zahlreichen Mückenstiche, die man sich dabei früher oder später zuzieht, sondern auch das wahrscheinlich unvermeidbare Gefühl vom Organisationschaos und „eingeengt sein“.

Ob das Leben auf wenigen Quadratmetern wirklich persönliche Freiheit bedeutet, muss jede:r für sich selbst entscheiden. Bis es mit dem großen Abenteuer aber losgehen kann, stehen erst einmal einige Hürden an, die in den sozialen Medien häufig nur am Rande aufgegriffen werden. Denn für den Start ins Vanlife benötigt man zuallererst einmal Zeit und Geld. Und zwar viel Zeit und Geld. Nicht nur für die Dauer der Reise selbst, sondern bereits für die Vorbereitungen. Denn aufgrund der Beliebtheit der Campervans ist es schwierig, ein gutes Angebot zu finden. Wer auf der Suche nach einem bereits ausgebauten Van ist, muss viel Zeit in die Suche investieren, um den „perfekten“ Van zu finden. Und wer preisbewusst kaufen möchte, muss dementsprechend viel Zeit in den Ausbau und die Reparatur des neuen Lieblings stecken. Schließlich soll der Bus über einen langen Zeitraum zum täglichen Begleiter werden. Dass die Fahrzeuge dann durch Accessoires und Spitznamen wie „Sunshine“, „Dicker“ oder „Lady“ persönliche Akzente bekommen, ist selbstverständlich. Je nachdem wie „instagramtauglich“ und luxuriös die Ausstattung ausfallen soll, müssen nochmal einige Tausend Euro in die Hand genommen werden.

Wenn man noch nicht allzu viele Erfahrungen mit Camping und Outdoorurlaub gemacht hat, besteht auch die Gefahr, dass man in einen Kaufrausch gerät und plötzlich jede Menge „Gadgets“ benötigt, obwohl im Bus gar kein Platz für noch einen Kühlschrank oder das Kochbuch mit den hübschen Rezepten ist. Und was ist, wenn sich die Rezepte zwischen Stapeln an dreckigem Campinggeschirr und abendlicher Müdigkeit doch nicht mehr als praktikabel erweisen? Dann ist da auch noch der Druck, den mühevoll erarbeiteten Roadtrip in vollen Zügen genießen zu müssen, während man gleichzeitig versucht, sich vom Alltagsstress und seinen festen Strukturen ein wenig zu lösen. Auch unterwegs muss nämlich gekocht und gewaschen werden und das ist in der Regel noch nerviger und komplizierter als zuhause. Und außerdem, irgendwas am Van ist immer…

Zudem ist viel Planung für die große Reise notwendig, von Versicherungsabschlüssen über Roaming-Gebühren bis hin zu unterschiedlichen Straßenverkehrsordnungen. Mit Fragen wie „Wann müssen wir tanken?“, „Wie viele Kilometer fahren wir heute?“ und „Welche Sehenswürdigkeiten liegen auf der Strecke?“ beschäftigen sich die Camper täglich. Aber auch Phrasen wie „Was tun bei dumpfen Motortönen?“, „Hausmittel Lebensvergiftung“ und „Wie Wasser abkochen?“ werden früher oder später im Suchverlauf des Handys auftauchen.

Wer also sein eigenes Vanlife starten möchte, sollte sich vorher gut informieren und neben Zeit und Geld auch eine gute Ausdauer, starke Nerven und eine große Offenheit gegenüber Neuem mitbringen. Ob der Lifestyle nun das richtige für einen ist, muss jede:r, den oder die die Abenteuerlust packt, selbst herausfinden. Denn ein Abenteuer ist Vanlife in jedem Fall. Und gerade die ungeplanten Momente wie die Mückenplage am hochgelobten See oder das verbrannte Essen aus dem neuen „Luxus-Kochtopf“ sind am Ende die Geschichten, die man Familie und Freund:innen erzählt. Auch dann noch, wenn man vom großen Vanlife-Abenteuer zurückkehrt und merkt, dass man sein eigenes Bett, die Waschmaschine oder die Lieblingszahnpasta doch ganz schön vermisst hat.

Larissa Menne, funky-Jugendreporterin

PRO: Eine Frage der Erwartungen

Das Reisen oder gar Leben im Van wurde nicht zuletzt durch Instagram und Co. zum Sehnsuchtsmoment einer ganzen Generation. Freiheit auf vier Rädern, Entschleunigung, Minimalismus und Naturverbundenheit – die Liste der Lobeshymnen auf das „mobile“ Leben ist lang. Feststeht, dass Vanlife mit Sicherheit nichts für jeden und jede ist. Und auch die romantisierte Vorstellung vom schattigen Stellplatz unmittelbar am Meer oder dem Filmabend unter dem Makramé-Deckenschmuck scheint in Bezug auf den Van-Alltag eher unrealistisch. Wer also mit dieser Erwartungshaltung in sein rollendes Abenteuer aufbricht, wird wohl relativ schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Doch auch der birgt den ein oder anderen Vorzug und zumindest am versprochenen Freiheitsgefühl ist tatsächlich etwas dran.

Zuallererst sollte man sich bewusst machen, dass das Leben oder Reisen im Van fast nicht ohne Chaos auskommt. Denn schon das kleinste bisschen Unordnung fällt auf – und kann schneller als gedacht zur Belastungsprobe für das harmonische Miteinander werden. Im Van heißt es also ständig: aufräumen, sortieren, Platz schaffen. Und das ist tatsächlich mehr Arbeit als oft angenommen. Auf der anderen Seite bietet das Reisen im Van aber ein Maß an Flexibilität, das in einem gewöhnlichen Alltag nur schwer zu erreichen ist. Der anvisierte Stellplatz ist in Wirklichkeit alles andere als idyllisch und die nächste Dusche ohnehin zu weit entfernt? Kein Problem, einfach weiterfahren und sein Glück im nächsten Ort versuchen. Das macht „Fehlentscheidungen“, etwa bei der Wahl des Urlaubsortes, nur halb so schlimm und nimmt jede Menge Druck.

Generell ist man in seinen rollenden vier Wänden weniger abhängig von Orten, Unterkünften oder Restaurants, denn der Van vereint irgendwie all das in einem. Wenn also die lokale Gastronomie nichts hergibt und auch die umliegenden Ausflugsziele alle schon abgegrast wurden, dann kann ein unaufgeregter Abend im Van Komfort spenden und sogar ein Gefühl von Zuhause schaffen – denn mit dem Van fährt nun mal immer ein kleines Stück Zuhause mit, auch an den entferntesten Orten.

Besonders schön am Vanlife, und darüber hinaus auch absolut wohltuend, ist außerdem die viele Zeit, die man an der frischen Luft verbringt. Denn selbst der größte und luxuriöseste Van bietet wohl in den wenigsten Fällen genauso viel Platz wie eine normale Wohnung. Man ist also beinahe dazu gezwungen, den Großteil seiner Zeit draußen zu verbringen. Ob Kochen, Wäsche aufhängen, Duschen oder Lesen, im Van passiert all das in der Regel draußen – vorausgesetzt, das Wetter spielt mit. Die viele frische Luft tut gut, belebt und lässt einen manchmal sogar glauben, selbst Teil der Natur zu sein.

Das Leben im Van zwingt einen darüber hinaus zum Entschlacken. Auch mit ausgeklügeltem Regalsystem wird man nämlich unterwegs schnell merken, dass zu viel Hab und Gut eigentlich nur störend ist. Die Beschränkung auf einige wertvolle Dinge ist dabei auch für den Kopf von Vorteil: Man ist fokussierter und hinterfragt, ob man will oder nicht, den eigenen Konsum und in gewisser Weise auch seinen Anspruch an das Leben – so pathetisch es auch klingen mag, schaden kann das definitiv nicht.

Zu guter Letzt und in alter Wandtattoo-Manier: „Der Weg ist das Ziel“. In Bezug auf das Leben im Van steckt hier nämlich tatsächlich ein Fünkchen Wahrheit drin. Denn unterwegs passieren oft die abenteuerlichsten und schönsten Dinge – allein deswegen schon, weil man meistens nicht damit rechnet. Vanlife ist für mich also in vielerlei Hinsicht eine Frage der Erwartungshaltung. Es ist sicher ratsam, vorab die eigenen Beweggründe einmal kurz zu hinterfragen: Kuscheln unterm Sternenhimmel mit Meeresrauschen in den Ohren ist eher nicht der Regelfall. Die Einfachheit, Flexibilität und Naturnähe, die das Vanlife bietet, bereichern am Ende aber sowieso viel mehr, als jeder Blogeintrag oder Instagram-Post vermitteln könnte.

Katharina Schulz, funky-Jugendreporterin

Du willst mehr? Du bekommst mehr!

Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.