Interview

Wildtierärztin Hannah Emde kämpft für bedrohte Arten

Hannah Emde, Wildtierärztin kniet in kurzer Distanz hinter einer, in freier Wildbahn lebenden Riesenschildkröte.
Als Wildtierärztin hat Hanna Emde das Privileg seltenen Tieren in freier Wildbahn ganz näher zu kommen als die meisten.
Janna Kühne, funky-Redakteurin

Bonn. Hannah Emde hat einen echten Traumjob: Sie reist an die entlegensten Winkel der Erde und beschäftigt sich mit seltenen Wildtieren. Ihre Mission: Dem Artensterben und dem Verlust von Lebensräumen den Kampf anzusagen und darüber aufzuklären. Seit April kann man die 31-jährige Wildtierärztin nun auch im Fernsehen auf ihren Expeditionen begleiten. In dem ZDF-Format „Terra X: Faszination Erde“ bereist sie unter anderem die Galapagosinseln, Thailand und Gabun. Im Interview verrät Hannah, welche Momente ihr besonders im Gedächtnis geblieben sind und wie man sich gegen das Artensterben engagieren kann.

Liebe Hannah, wie wird man Wildtierärztin? Wie war dein Werdegang?
Hannah Emde: Ich habe Tiermedizin in Hannover studiert und habe schon früh gemerkt, dass ich nicht die klassische Kleintier-Praxis-Tierärztin werden möchte, sondern mich für wilde Tiere interessiere. Deswegen habe ich Praktika außerhalb meiner Komfortzone gemacht, habe meine Semesterferien auf Forschungsstationen verbracht, war auf Madagaskar und Borneo und habe gelernt, wie wichtig es ist, das Wildtier in Zusammenhang mit seinem Lebensraum zu untersuchen. So bin ich zur Wildtiermedizin gekommen. Und weil mir dieser Bereich in meinem Studium so gefehlt hat, habe ich mit einer Gruppe von Fachleuten 2017 einen Artenschutzverein gegründet, den Nepada Wildlife e.V.. Das Besondere dabei: Wir reisen nicht selbst an die Orte und retten Tiere und Lebensräume, sondern wir unterstützen die lokalen Artenschützerinnen und Artenschützer bei ihrer Arbeit. Über dieses Engagement habe ich auch ein Buch geschrieben, „Nachtschicht mit Aras“. Die letzten zwei Jahre habe ich hauptberuflich als Beraterin in der Entwicklungszusammenarbeit bei der Internationalen Allianz gegen Gesundheitsrisiken im Wildtierhandel gearbeitet. Dort ging es um Pandemieprävention: Wie kann ich den Ausbruch einer Pandemie verhindern? Die Antwort: Indem ich die Übertragung von Krankheuten von Tieren auf Menschen, sogenannten Zoonosen, stoppe, direkten Kontakt mit Wildtieren vermeide und ihren Lebensraum schütze. Außerdem habe ich 2022 für den NDR eine Doku-Serie über Artenschutz in Namibia moderiert, „Hannah goes wild“.

Hannah Emde besucht eine Elefanten-Auffangstation im Norden Thailands.
© Oliver Roetz/ZDF

Ab April bist du außerdem im ZDF-Format „Terra X: Faszination Erde“ zu sehen. Wie willst du mit dem neuen Format dazu beitragen, die Natur zu schützen?
Mit Terra X erreiche ich viel mehr Menschen mit meiner Botschaft. Es ist toll, eine Plattform zu haben, auf der ich über Biodiversität, Artenschutz und Natur sprechen darf. Es ist ein super Format, um Menschen für die wunderschöne Natur zu begeistern. Ich bin davon überzeugt, dass man nur das schützen möchte, was man auch kennt. Daher ist es wichtig, den Wert der Natur und unsere Nähe zu ihr aufzuzeigen. Im nächsten Schritt muss dann deutlich gemacht werden, welchen Bedrohungen sie ausgesetzt ist, hauptsächlich durch uns Menschen. Und wie wir selbst dagegen aktiv werden können.

Was ist deine Aufgabe in dem Format? Untersuchst du auch Tiere?
Ich bin nicht als klassische Tierärztin tätig, sondern sehe mich eher als Vermittlerin zwischen den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vor Ort, die diese Arbeit mit viel Erfahrung ausführen, und den Zuschauenden aus Deutschland. Natürlich packe ich trotzdem überall als Tierärztin mit an, wo Unterstützung gebraucht wird. In Gabun durfte ich mit einem Forscherteam Zeit mit 32 wilden Schimpansen in ihrem natürlichen Lebensraum mitten im Dschungel verbringen. Ich durfte Gorillas beobachten, konnte auf den Galapagosinseln eine Woche auf einem Forschungsschiff dabei sein und Blaufußtölpel beproben. Ich habe die nördlichsten Pinguine der Welt auf Vogelgrippe-Viren untersucht. Wir haben Meerechsen geröntgt. In Thailand durfte ich die Wundversorgung bei Elefanten übernehmen und wir haben Riesenschlangen aus den Häusern der Menschen geholt. Für mich als Tierärztin und Tierliebhaberin ist das ein Traum, der in Erfüllung geht.

Gibt es einen bestimmten Ablauf, wenn du an einem Ort ankommst?
Wir haben einen straffen Drehplan und wollen natürlich so viel Inhalt wie möglich produzieren. Deshalb sind es meist sehr lange Drehtage, wo wir viel Zeit mit den Fachleuten verbringen und ganz besondere Orte besuchen. Das ist ein großer Unterschied zu meiner vorherigen Arbeit, wo ich mehrere Monate auf einer Forschungsstation verbracht habe und mit dem Forschungsteam wochenlang auf ein Tier gewartet habe.

Es wird trockener, es regnet heftiger. Das Gleichgewicht in einem Lebensraum gerät aus den Fugen.

Hannah Emde hilft Wissenschaftlern, Kotproben der Flughunde zu sammeln.
© Oliver Roetz/ZDF

Was sind deiner Meinung nach die größten Gefahren für intakte Lebensräume?
Der Mensch! Die meisten Bedrohungen sind menschengemacht. Die menschengemachten Klimaveränderungen verändern die Lebensräume. Es wird trockener, es regnet heftiger. Das Gleichgewicht in einem Lebensraum gerät aus den Fugen. Auch der Verlust von Lebensraum ist ein Riesenproblem, beispielsweise durch intensive Landnutzung, Abholzung der Wälder und Versiegelung der Böden. Landwirtschaft in Monokulturen auf sehr großen eintönigen Flächen führt zu einem Aussterben der Tierarten. Das hat natürlich auch mit dem steigenden Konsum und unserer Wachstumsgesellschaft zu tun. Wir benötigen immer mehr Flächen für den Anbau von Palmöl, Bananen oder Soja sowie für Weideflächen, beispielsweise für Rinder. Auch die Entnahme von Wildtieren aus intakten Lebensräumen für den Verzehr oder den Wildtierhandel birgt Gefahren, weil sie das Gleichgewicht im Ökosystem stören.

Der Lebensraum ist abhängig von den Klimabedingungen, den verschiedenen Arten, die in diesem Lebensraum leben und die sich gegenseitig beeinflussen.

Wie viele intakte Lebensräume gibt es denn überhaupt noch?
Ich verstehe unter einem intakten Lebensraum ein intaktes Ökosystem, wo es Lebensgemeinschaften gibt, die funktionieren. Man muss sich ein Ökosystem wie ein Netz vorstellen. Der Lebensraum ist abhängig von den Klimabedingungen, den verschiedenen Arten, die in diesem Lebensraum leben und die sich gegenseitig beeinflussen. Es ist ein fein aufeinander abgestimmtes Netzwerk. Wenn es in diesem Netz ein Loch gibt, kann das zu einem Ungleichgewicht führen. Solche intakten Lebensräume finden wir zum Glück noch in großen Schutzgebieten, davon sollte es viel mehr auf der Welt geben.

Wie kann man dafür sorgen, dass es nach wie vor intakte Lebensräume gibt?
Zum Beispiel durch Schutzgebiete. Im vergangenen Jahr wurde auf der Biodiversitäts-Konferenz COP das 30/30-Ziel festgesetzt. 30 Prozent der Landesflächen soll bis 2030 unter Naturschutz gestellt werden. Das ist ein gutes Ziel, um dem Lebensraumverlust entgegenzuwirken. Das Tolle an der Natur ist, dass sie sich ihren Raum zurückerobert. Man muss meistens nur einen kleinen Anstoß geben, wie bestimmte Baumarten pflanzen. Außerdem müssen wir die Land- und Forstwirtschaft naturverträglicher gestalten, sodass Tierarten auch darin überleben können. Wir haben noch eine Chance, dem Artensterben entgegenzuwirken. Aber wir müssen es wirklich anpacken und durchziehen, und alle Länder müssen mitmachen.

Was stimmt dich dahingehend hoffnungsvoll?
Vor allem die junge Generation. Wenn ich an Schulen mit Kindern und Jugendlichen über die Themen spreche, merke ich, wie viel Lust sie haben, das Ruder herumzureißen. Dass sie sehen: Wenn jemand etwas ändern kann, dann sind wir das. Bei ihnen kehrt das Bewusstsein zurück, dass wir eine Verantwortung haben, den Planeten Erde am Leben zu halten.

Was waren die herausforderndsten Momente, die du auf deinen Reisen erlebt hast?
So eine Vogelspinne auf dem Moskitonetz, das ist für mich nicht einfach, ich habe Angst vor Spinnen. Aber daran gewöhnt man sich. In Gabun waren wir fünf Tage in einem Quarantäne-Camp mitten im Nirgendwo, weil wir ausschließen mussten, dass wir Krankheiten haben und damit die Schimpansen anstecken. Das waren schon harte Bedingungen – ohne Strom und Wasser in einer zerfallenen Hütte, mitten in der Savanne. Trotzdem war es schön. Beschwerlich ist auch, wenn man beispielsweise wieder einen fiesen Durchfallerreger hat. Aber das gehört einfach dazu, und alles andere macht es wieder wett.

Face to Face mit den Echsen der Urzeit.
© Oliver Roetz/ZDF

Und was waren die schönsten Momente für dich?
Auf dem Forschungsschiff auf Galapagos ist plötzlich neben mir ein Orca aufgetaucht. Das war magisch. Und in Thailand durfte ich auf 45 Metern Höhe in der Baumkrone wilden Gibbons auf Augenhöhe begegnen. Auf jeder Reise gibt es Begegnungen, die ich liebe.

Was können junge Menschen dafür tun, die Lebensräume zu schützen?
Man muss keine Tierärztin oder Biologin sein, um Arten zu schützen. Auch in Deutschland verzeichnen wir einen großen Lebensraumverlust. Insekten haben kaum noch genug Lebensräume, weil alles durch Pestizide verseucht oder die Böden versiegelt sind. Da hilft es beispielsweise, sich ein Insektenhotel an die Hauswand zu hängen. Oder einen Fledermauskasten. Genauso wichtig finde ich verantwortungsvolles Einkaufen. Muss es immer die exotische Frucht aus Costa Rica sein, oder geht es auch regional? Reicht es mir, wenn ich einmal pro Woche Fleisch esse? Weitergedacht ist es auch wichtig, wie man wählt – in Europa, auf Bundes- oder Kommunalebene. Eine Partei ist auch immer eine Entscheidung für oder gegen den Schutz von Lebensräumen. Ich möchte die Verantwortung nicht auf die Einzelperson abwälzen, aber ich finde es wichtig, dass wir uns dessen bewusst sind und die Zusammenhänge verstehen. Auch der Orang-Utan auf Borneo hat etwas mit mir in Deutschland zu tun.

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