Single-Dasein als gesellschaftliches Ziel: Ein Gedankenexperiment

Zwei Menschen auf Fahrrädern.
Eine romantische Beziehung gilt als großes Lebensziel.
Chayenne Wolfframm, funky-Jugendreporterin

„Allein ist der Mensch ein unvollkommenes Ding; er muss einen zweiten finden, um glücklich zu sein.“ So sagte es zumindest einst der französische Mathematiker, Literat und Philosoph Blaise Pascal (1623 – 1662). Und das bringt einen entscheidenden Punkt zum Ausdruck: Das Konzept der Paarbeziehung ist die gesellschaftlich angestrebte Norm und ist somit das erklärte Lebensziel der meisten Menschen.

In unserer Gesellschaft scheint es das Nonplusultra zu sein, in einer Beziehung zu leben. Dieser Gedanke steigert sich im Konzept der Ehe: Den Partner oder die Partnerin für das gesamte Leben zu finden galt lange als der einzige Weg, zusammenzuleben. So wird bereits der „große Plan“ des Lebens gesellschaftlich vorgeformt. Diejenigen, die dieses vorgegebene Ziel nicht zu erreichen scheinen, werden bedauert. Als Single begegnen einem nicht selten Sprüche wie „Irgendwann findest du den Richtigen!“, „Beim nächsten Mal klappt es bestimmt!“ oder „Willst du uns deinen Partner nicht vorstellen?“. Das vermittelt den Eindruck, es gebe per se nichts Gutes daran, Single zu sein. Das Single-Dasein gleicht in diesem Narrativ einem unfreiwilligen Übergangszustand, der nur darauf wartet, durch eine Partnerschaft beendet zu werden.

Dabei heißt Single-Sein selbstverständlich nicht automatisch, einsam zu sein. Erst recht bedeutet es nicht, ohne eine feste Beziehung kein glückliches Leben führen zu können. Forschende haben das in einer Studie belegt, in der das Glücksniveau von verheirateten, ehemals verheirateten und alleinstehenden Menschen im späteren Lebensalter untersucht wurde. Das Ergebnis zeigte, dass es in Bezug auf Glück und Wohlbefinden keine großen Unterschiede zwischen den drei Personengruppen gab. Wie kann es also sein, dass eine feste Beziehung noch immer das Lebensziel schlechthin ist? Und: Was würde passieren, wenn es sich genau umgekehrt verhalten würde? Wenn das Ziel in der Gesellschaft wäre, allein zu leben und die Partnerschaft eine Art Übergangsstatus wäre?

Zuallererst würde der Druck wegfallen, unbedingt den richtigen Menschen für das gesamte Leben finden zu müssen. Viel Einfluss haben wir ohnehin nicht darauf, ob und wann der geeignete Partner oder die geeignete Partnerin auftritt und ob man dann auch langfristig zusammenbleibt. Richtet man sein Leben nach der Person aus, mit der man zusammen ist, und betrachtet sich als eine Einheit, ist es sehr schmerzhaft, wenn die Beziehung in die Brüche geht. Dieser Liebeskummer, der sich psychisch und körperlich äußert, könnte vermieden werden, wenn man ohnehin nicht das Ziel hätte, langfristig mit einer Person zusammen zu sein. Stattdessen würde der Fokus mehr auf den eigenen Wünschen und Bedürfnissen liegen.

In einer Beziehung ist es oftmals so, dass man sich gegenseitig bestärkt. Gefährlich wird es, wenn der eigene Selbstwert an den Partner gekoppelt ist und eine Abhängigkeit entsteht. Fällt diese Form der Bestätigung von außen weg, können Selbstzweifel entstehen. Rückt der Fokus auf das Alleinsein als Stärke und kraftvollen Zustand, scheint es selbstverständlich zu sein, den eigenen Selbstwert aus eigenem Antrieb zu bestärken. Wir Menschen wären in der Lage, es mit uns selbst auszuhalten. Liegt der Fokus auf der eigenen Person, könnte man sich besser kennenlernen und erreichen, dass man sich selbst genügt. Man ist bei sich selbst in guter Gesellschaft.

Dennoch sind soziale Beziehungen und zwischenmenschliche Bindungen für den Menschen von großer Bedeutung. Die Zeit, die nicht mit einem Partner oder einer Partnerin verbracht wird, könnte stattdessen in Freundschaften und Familie investiert werden. Aus Freundschaften entstehen möglicherweise sogar tiefere Bindungen, als wir ahnen. Die eigenen Interessen und Wünsche könnten mit unterschiedlichen Freundinnen oder Freunden besser umgesetzt werden. Man kann sich mit den Menschen zusammentun, mit denen gemeinsame Interessen und Hobbys bestehen. So kann die Verschiedenheit einzelner zwischenmenschlicher Beziehungen von Vorteil sein. Was natürlich nicht heißt, dass eine Aktivität nicht allein ausgeübt werden könnte.

Um das Bedürfnis nach Intimität zu erfüllen, könnten gelegentlich Partnerschaften eingegangen werden. Ohne den gesellschaftlichen Druck könnten sich alle Beteiligten freier und selbstbestimmter in der Partnerschaft bewegen. Wenn alle nach dem Alleinsein streben, sind diese Beziehungen primär ein Übergangsstatus, der ohne Erwartungen an die Beziehung begleitet wird. Man genießt einfach die gegenseitige Gesellschaft, ohne dem Druck zu verfallen.

In einer Welt, in der das Alleinsein das Hauptziel wäre, würde ein Kind möglicherweise nicht bei beiden Eltern aufwachsen. Doch es würde den Gedanken in sich tragen, später auf keine andere Person angewiesen zu sein und so erzogen werden, die eigenen Wünsche und Träume durch eigene Kraft umsetzen zu können. Es wäre unabhängig und könnte sein Leben individuell gestalten – ein Schlüsselgedanke, der in dieser Gesellschaft vorherrschend wäre.  

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