Interview

„Judentum und Queerness sind kein Widerspruch.“

Rosa setzt sich für die queere Sichtbarkeit im Judentum ein.
Rosa setzt sich für die queere Sichtbarkeit im Judentum ein.
Anna Ingerberg, funky Jugendreporterin

Rosa Jellinek ist 25 Jahre alt. Sie ist eine bisexuelle Frau und außerdem Jüdin. Das scheint für viele Menschen nicht gut miteinander vereinbar zu sein. Aber eigentlich ist aber das Gegenteil der Fall. Welchen Problemen sie trotzdem im Alltag begegnet, wie sie mit Intoleranz umgeht und warum Selbstverständnis eine große Rolle spielt, erzählt Rosa im Interview.

ROSA JELLINEK Vorstand vom Keshet Deutschland e.V. Portrait in ihrer Wohnung in Berlin-Mitte und an der Panke ©privat

Du bist queer und jüdisch. Das klingt erstmal nicht leicht miteinander vereinbar ist, oder?
Für mich ist es leicht miteinander zu vereinbaren, aus dem einfachen Grund, dass ich queer und jüdisch bin. Es mag vielleicht von außen so wirken, als wäre es nicht leicht, wie das auch bei christlichen und queeren Menschen oder bei muslimischen und queeren Menschen angenommen wird.

Welcher religiösen Strömung im Judentum gehörst du an?
Ich identifiziere mich als liberal- bis reformjüdisch. Das sind die Strömungen, bei denen es meiner Wahrnehmung nach am wenigsten Probleme mit der Vereinbarkeit von Queerness und dem Judentum gibt. Ich kenne keine liberale oder reforme Synagoge, in der man als gleichgeschlechtliches Paar Schwierigkeiten bekäme. Dass es wenige Konflikte gibt, heißt aber nicht, dass sie gar nicht existieren.

Hattest du jemals einen inneren Konflikt mit dir selbst?
Für mich bedeutete ein innerer Konflikt nie, dass die eine Identität nicht zu der anderen passt. Es ist mehr, dass ich mich einerseits als queere Person frage: „Wie label ich mich?“ Oder: „Will ich mich überhaupt labeln?“ Es gibt gegenüber bisexuellen Personen noch viele Vorurteile. Andererseits habe ich mich als liberale Jüdin auch nicht immer in jüdischen Kreisen wohlgefühlt. Teilweise wird einem unterstellt, man meine es nicht ernst genug mit der Religion. Es wird von manchen Menschen nicht als gleichwertige Strömung angesehen. Ich vermute, dass viele religiöse Menschen es kennen, dass man sich mal mehr, mal weniger mit seiner Religion verbunden fühlt. So ist das bei mir definitiv auch.

Wie war dein Coming-Out für dich? Hast du das Gefühl, es hat dich mehr Überwindung gekostet, dich zu outen, weil du jüdisch bist?
Ich erinnere mich nicht daran, dass ich ein richtiges Coming-Out hatte. Ich habe meiner Mutter irgendwann gesagt, dass ich eine Frau date und das war mein „Coming-Out“. Es gab auf die Nachricht auch keine wirkliche Reaktion, eine negative schon gar nicht, aber auch keine wirklich überraschte, wie man es vielleicht erwarten würde. Vielleicht hat es meine Mutter auch schon geahnt. Ich habe das Gefühl, dass es auf einmal einfach da war und es war auch für alle okay.

Was haben deine Eltern für eine Rolle bei deiner Identitätsfindung gespielt?
Meine Eltern haben eine sehr große Rolle gespielt. Ich hatte meistens eine gute Beziehung zu meinen Eltern. Sie hatten einen großen Einfluss auf mich, was meine politische Einstellung und sozialen Werte angeht. Insgesamt war der Einfluss sehr positiv.

Hast du jemals an deiner Religion gezweifelt, da Religion und Queerness in vielen Fällen nicht miteinander vereinbar zu sein scheinen?
Ich habe nie daran gezweifelt. Judentum und Queerness sind kein Widerspruch. Auch nicht von meinen Eltern oder von der Synagoge aus, die wir immer besucht haben. So hatte ich nie das Gefühl, dass mein Judentum mir meine Sexualität verbieten will. Das ist aber bei Menschen, die in anderen Gemeinden und Elternhäusern aufgewachsen sind, anders. Dort gibt es dann mehr Probleme. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich es, was das angeht, so leicht hatte. Wichtig ist hier auch noch, dass die Erfahrungen von jeder Person anders sind. Ich als jüdische, queere Cis-Frau mache ich natürlich ganz andere Erfahrungen als eine jüdische trans Person. Ich lege viel Wert darauf, intersektional zu Denken.

Hast du das Gefühl, dass Queerness in Gemeinden ein größeres Problem für die Mitglierder:innen darstellt, als wenn zum Beispiel ein heterosexueller sich nicht an ein anderes jüdisches Gesetz hält?
Ich habe das Gefühl, manchmal versuchen einige Menschen bestimmte Aussagen in der Tora so zu drehen, dass beispielsweise Homosexualität im Judentum als verboten gelten könnte. Sie essen dann selbst aber Schweinefleisch oder benutzen Elektrizität am Schabbat. Dann wird mit zweierlei Maß gemessen.

Gibt es auch kritische Stimmen aus der queeren Community, die deine queere Identität wegen deiner religiösen Identität infrage stellen?
Es gibt in queeren, beziehungsweise emanzipatorisch-linken Kreisen immer wieder Probleme mit Religion, unabhängig davon welche. Da stoße ich manchmal auf Unverständnis und höre Sätze wie „Wie kannst du dich als religiös und links bezeichnen? Das passt gar nicht zusammen“. Es gibt aber auch in queeren Communities gezielten Antisemitismus, den ich auch schon erlebt habe. Ich habe gelernt, damit umzugehen.

Wie gehst du mit Nicht-Akzeptanz um, egal von welcher Seite?
Das fällt mir bis heute schwer. Ich glaube, es ist für mich und auch für andere queere-jüdische Personen immer wieder sehr belastend, Nicht-Akzeptanz zu erfahren, obwohl man traurigerweise fast daran gewöhnt ist. Für mich ist sowohl meine Queerness als auch das Judentum ein bedeutender Teil meiner Identität und wenn jemand auf einen dieser Teile intolerant reagiert, ist das verletzend. Das Wichtigste ist der Austausch mit anderen Menschen aus meinen Communities und dass ich mir Safe Spaces suche. Leider fällt es mir in entsprechenden Situationen selbst recht schwer, adäquat zu reagieren, weil mein Kopf dann auf einmal ganz leer wird.

Du engagierst dich im Verein „Keshet Deutschland“. Was sind Themen, für die du kämpfst, die dir besonders am Herzen liegen?
Der Verein kämpft für die Rechte von queer-jüdischer Menschen. Wir schaffen eine erste Anlaufstelle und Community für sie. Das machen wir mit Events und Aufklärung. Ich leite das Social-Media-Team. Dort kann ich zeigen, dass Queer-Sein und Jüdischsein sehr gut miteinander vereinbar ist. Online-Aufklärungsarbeit zu leisten ist in den letzten Jahren ein wichtiges Thema für mich geworden.

Was muss sich deiner Meinung nach in der Gesellschaft ändern?
Es muss mehr Selbstverständlichkeit geben: Es muss selbstverständlich sein, queer zu sein, und auch queer sein und einer Religion anzugehören. Außerdem gibt es in der digitalen Welt sehr viel Hass. Da muss sich viel ändern. Der digitale Raum sollte kein de facto rechtsfreier Raum mehr sein. Aufklärung und das Bewusstsein dafür, dass man Menschen mit dem Hass, den man online verbreitet, wirklich Schaden zufügen kann, ist ein wichtiger Punkt. In der Gesamtgesellschaft muss sich das Bild vom Judentum ändern. Viele nehmen das Judentum ausschließlich als konservativ und orthodox wahr. Jüdische Menschen sind sehr divers und es gibt im Judentum viele unterschiedliche Communities.

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