Interview

Psychotherapeutin Marion Kurschatke: „Alleinsein ist ein kraftvoller Zustand, wenn ich ihn selbst gewählt habe“

Alleinsein ist nicht immer einfach.

Alleinsein kann, vor allem in der dunklen Jahreszeit, für viele sehr herausfordernd sein.
Doch: Kann Alleinsein auch positive Aspekte und Lerneffekte haben? Und was ist der Unterschied zur Einsamkeit? Diese und viele weitere Fragen hat die Psychotherapeutin und Alternativmedizinerin Marion Kurschatke im Interview beantwortet.

Luisa Flaitz, funky-Jugendreporterin
Marion Kurschatke
Foto: privat

Liebe Marion, was verstehst du unter dem Begriff Alleinsein? 
Unter dem Begriff „Alleinsein“ verstehe ich, dass ich nicht von anderen umgeben bin, also faktisch allein bin. Somit auch, wenn ich unter anderem eine Serie schaue oder mit dem Hund spazieren gehe.

Bis zu welchem Punkt kann Alleinsein guttun und ab wann wird es ungesund?
Alleinsein ist ein kraftvoller Zustand, wenn ich ihn selbst gewählt habe und er mir guttut. Ungesund wird es erst dann, wenn ich darunter leide, allein zu sein. Also dann, wenn es unangenehm wird und ich mich nach einem anderen Menschen oder nach Gemeinschaft sehne. Dann fühle ich mich einsam und das ist wiederum ungesund und unangenehm. Wir Menschen sind Herdentiere und fühlen uns in einer angenehmen Atmosphäre umgeben von uns ausgewählten Menschen wohl. Während des Corona-Lockdowns habe ich mit vielen Menschen zu tun gehabt, die unter dem Alleinsein gelitten haben. Sie verspürten das Gefühl von Einsamkeit und hatten keine Option, unter Menschen zu gehen.

Was für Maßnahmen kannst du empfehlen, um Alleinsein zu erlernen?
Meditation, Stärkung der Resilienz und Selbsterfahrung. Sich selbst kennen und lieben zu lernen, kann dabei helfen, gern mit sich allein zu sein. Viele suchen im Außen eine Lösung, obwohl in ihrem Inneren die Antwort schlummert. 

Durch das Alleinsein, durch den uneingeschränkten Fokus auf sich selbst, kann man sich und seine Bedürfnisse kennen- und wertschätzen lernen.

Kann das Alleinsein einen Mehrwert haben? 
Der Mehrwert des Alleinseins ist, durch den uneingeschränkten Fokus auf sich selbst sich und seine Bedürfnisse kennen- und wertschätzen zu lernen. Dadurch wird man unabhängiger von der Meinung anderer und ermöglicht sich, mehr Eigenverantwortung zu übernehmen – und letztlich einen selbstbestimmten Weg zu gehen.

Stimmt es, dass, wenn man gut allein sein kann, auch ein:e bessere:r Partner:in in Beziehungen ist?
Das kann ich so nicht beantworten. Gesichert scheint jedoch zu sein, wer mit sich, den eigenen Bedürfnissen und Wünschen im guten Kontakt ist und für die Erfüllung nicht zwingend einen anderen Menschen braucht, wird auch in Beziehungen gut für sich und die Partner:innen sorgen können.

Warum fällt es jungen Menschen heutzutage oft schwer, allein zu sein?
Ein wichtiger Punkt ist hier sicher die Welt der Medien, fehlender persönlicher Kontakt und damit die ausbleibende wichtige Lernerfahrung in der „analogen“ Welt. Die permanente Bewegung in der Social-Media-Welt verhindert einen wirklichen Kontakt mit sich und anderen. Darüber hinaus wachsen Kinder mit einem vollen Terminkalender auf. Auch nach der Schule wird die Zeit in Hausaufgaben und Hobbys investiert. Ein volles Programm, ohne wirklich freie Zeit, die junge Menschen nur für sich nutzen können.

Wie schätzt du es ein, nach einem Schicksalsschlag allein sein zu wollen und sich zurückzuziehen? 
Jeder Prozess, auch die Verarbeitung eines Schicksalsschlages, braucht Zeit und Rückzug zur Verarbeitung des Erlebten. Das Bedürfnis, nach einem Schicksalsschlag für sich allein sein zu wollen, ist ganz natürlich und gehört zum Trauerprozess dazu.

Einsamkeit ist mehr als Gefühl zu verstehen, das das innere Befinden beschreibt.

Was können gute und schlechte Folgen des Alleinseins sein? 
Alleinsein kann bei starkem Rückzug soziale Isolation und vielleicht auch Selbstbezogenheit, also das Fehlen der Außenwelt als Spiegel und Reflexion, bedeuten. Die Fähigkeit, Alleinsein zu können, bedeutet auch, dass ich in der Lage bin, meine Bedürfnisse selbst zu erfüllen und unabhängig von zu sein.

Bedeutet Alleinsein automatisch auch einsam zu sein?
Nein. Einsamkeit, ist mehr als Gefühl zu verstehen, das das innere Befinden beschreibt – unabhängig davon, ob ich mit anderen in Kontakt bin oder nicht.

Bist du der Meinung, dass sich durch Corona mehr Menschen allein wohler fühlen?
Definitiv. Vor allem dadurch, dass wir dazu gezwungen werden, soziale Kontakte zu minimieren und uns mental zudem sehr viel belastet.

Wieso fühlt man sich manchmal allein, obwohl man von Freund:innen umgeben ist?
Das Gefühl würde ich dann als Einsamkeit beschreiben. Einsamkeit findet im Inneren statt und bildet die Realität nicht zwangsläufig ab. Außerdem haben wir manchmal Erwartungen an unsere Freund:innen, wie sie sein sollen oder sich uns gegenüber zu verhalten haben. Wenn diese Erwartungen nicht erfüllt werden, fühlen wir uns missverstanden und somit einsam. 

Gibt es Menschen, die besser allein sein können als andere? Wenn ja: Woran liegt das?
Hier gibt es viele Erklärungsansätze. Ein entscheidendes Kriterium ist, wie sicher und gebunden ich meine Kindheit erlebt habe, wie und auf welche Weise meine natürlichen Bedürfnisse befriedigt wurden und welche Erfahrungen und Lernmodelle meiner Erfahrungswelt zugrunde liegen.

funky-instagram-banner

Du willst mehr? Du bekommst mehr!

Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.