Interview

„Die queere Community hat noch immer mit Problemen zu kämpfen“

Riccardo Simonetti
Die Show "Glow Up 2" wird ab dem 7. September ausgestrahlt.

Der Fernsehmoderator und Autor Riccardo Simonetti spricht im Interview über die Bedeutung von Make-up für die Identität.

Nick Käseberg, funky-Jugendreporter

Berlin. Make-up ist etwas Feminines – das verdeutlichen Werbungen und gesellschaftlich reproduzierte Stereotypen immer wieder. Riccardo Simonetti möchte diese Vorurteile abbauen. Der Autor und Schauspieler moderiert ab September zum zweiten Mal die ZDF-Sendung „Glow Up“. Dort spricht er mit angehenden Make-up-Talenten über ihre persönlichen Geschichten und lässt sie in einem Wettbewerb gegeneinander antreten. Im Gespräch erläutert er, wie es ist, als Mann Make-up zu tragen und wie er versucht, mit den stigmatisierten Rollenbildern zu brechen.

(c) ZDF

Ich starte mal etwas philosophisch: Was ist Make-up für dich?
Als Mann mit langen Haaren und Make-up im Gesicht ist man heute ein Statement, weil dieses Aussehen für viele als neumodern gilt. Das ist aber nicht so. Wir leben in einer historischen Periode, in der Schminke erst seit Kurzem als etwas Unmännliches und Feminines wahrgenommen wird. Männer haben aber schon immer Make-up getragen, man muss nur einmal historische Gemälde oder alte Bauwerke betrachten. In den verschiedensten Kulturen findet man Belege, dass Männer aus dekorativen Gründen Farbe im Gesicht trugen. Und genau wie in diesen Gemälden ist Make-up für mich eine Sprache, die für mich spricht – noch bevor ich den Mund aufmachen kann.

Gab es einen Moment in deinem Leben, an dem du angefangen hast, dich für Make-up zu interessieren?
Insbesondere meine Mama hat mich dazu inspiriert, mich schon früh mit Mode auseinanderzusetzen. Make-up kam hinzu, als mich Kleidung irgendwann gelangweilt hat. Wenn wir bei der Metapher bleiben wollen, dass Mode und Make-up Sprachen sind, dann habe ich das Gefühl gehabt, mir sind mit der Mode allein die Worte ausgegangen und ich habe nach einem größeren Vokabular gesucht. Deshalb habe ich angefangen, mit Make-up zu experimentieren. Ich habe mit der Glam-Rock-Richtung begonnen: schwarzer Nagellack, schwarzer Eyeliner, Strasssteine und -sterne. Meinem Empfinden nach war das während meiner Teenager-Zeit die akzeptierteste Stilrichtung, in der ein Mann Make-up tragen durfte. Ich habe diesen Zugang suchen müssen, denn weder in meinem Umfeld noch in den Medien sah ich Männer mit Schminke. Es gab nur wenige Ausnahmen, wie beispielsweise Dirk Bach.

Wie war die Resonanz auf dein Äußeres? Konntest du auch geschminkt durch die Straßen gehen oder warst du eingeschränkt?  
Ich bin geschminkt durch die Straßen gelaufen, aber ich habe jeden Tag den Preis dafür bezahlt. Noch heute hat die Gesellschaft eine starke Meinung zu Männern mit Make-up. Ich wohne beispielsweise in Berlin und wenn ich mit meinem Cabrio an einer Ampel halte, ernte ich immer noch dumme Kommentare von Fußgängerinnen und Fußgängern. Ich habe schon als Teenager verstanden, dass ich in die mediale Öffentlichkeit gehen und eine Entertainment-Figur werden muss, um diesen Lebensstil führen zu können. Für mich war das das einzige Umfeld, wo ich das Gefühl hatte, ich selbst sein zu können. Deshalb möchte ich dem Thema auch eine so große Bühne wie möglich geben – in der Hoffnung, dass auch andere Mut fassen und geschminkt aus dem Haus gehen. 

In den verschiedensten Kulturen findet man Belege, dass Männer aus dekorativen Gründen Farbe im Gesicht trugen.

Riccardo Simonetti

Gab es ein Erlebnis, bei dem du für das Tragen von Make-up angegriffen wurdest?
Ich habe diese Geschichten schon sehr oft erzählt, aber ich bin hier nicht mehr das Opfer. Ich führe mittlerweile ein sehr privilegiertes Leben. Mir ist es wichtig, dass alle verstehen, dass sich die Situation trotz meiner schlechten Erlebnisse und meinem positiven Lebenswandel heute für andere nicht groß geändert hat. Die queere Community hat noch immer mit alltäglichen Problemen zu kämpfen. Darauf sollte der Fokus liegen.

Riccardo, du hast selbst in deinem Podcast gesagt, dass du auf vielen Veranstaltungen und Medienproduktionen als Vorzeigecharakter für die queere Gesellschaft Deutschlands herangezogen wirst. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf: Wie gehst du an das Set von Produktionen wie „Glow Up 2“?
Bei „Glow Up“ ist es anders. Ich habe im Vorfeld die Redaktion aufgeklärt, was mir an dieser Sendung wichtig ist. Ich versuche generell immer, meinen persönlichen Fingerabdruck zu hinterlassen und dabei die Menschen hinter den Kulissen zu sensibilisieren, Themen anständig und richtig zu behandeln. Gerade weil Medienmachende hier auf einmal vor der Aufgabe stehen, ein Thema ins Fernsehen zu bringen, mit dem sie vorher vielleicht keine Berührungspunkte hatten. Daher gebe ich hier auch gerne Tipps und helfe dabei, wie sie ihre Medienformate inklusiver gestalten können. Wenn ich aber für Veranstaltungen oder Produktionen gebucht werde und merke, es gibt keine Intention, sich zu wandeln und der queeren Community entgegenzukommen, dann bin ich daran nicht interessiert.


Ab dem 7. September ist „Glow Up 2“ jeweils wöchentlich in der ZDFmediathek ab 10 Uhr und um 20:15 Uhr bei ZDFneo zu sehen.

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