Interview

Beruf Rettungssanitäterin: „Manchmal verfolgt mich der Ton des Einsatzmelders bis nach Hause.“

Rettungseinsatz
Es gibt den Rettungswagen, der mit Blaulicht zu den Noteinsätzen fährt und den Krankenwagen, der hauptsächlich den Transport übernimmt.

Alle wollen sie, nicht jeder genießt sie: Die berühmte erste Arbeitserfahrung. In dieser Rubrik berichten junge Menschen von inspirierenden, skurrilen und unschönen Praktikums- und Nebenjoberfahrungen. Eine Rettungssanitäterin erzählt von ihren Erfahrungen.

Lena Enders, funky-Jugendreporterin

Goslar. Zwischen Reanimationen, hoher Arbeitsbelastung und unnötigen Rettungseinsätzen: Anna ist 22 Jahre alt und arbeitet seit zwei Jahren als Rettungssanitäterin. Im Interview erzählt sie von ihrem Arbeitsalltag in einem Beruf mit Kontakt zu den unterschiedlichsten Menschen, den Problemen des Rettungsdienstes und außergewöhnlichen Erlebnissen.

Rettungswagen, in dem Anna fährt.

Liebe Anna, wie lange arbeitest du schon als Rettungssanitäterin?
Ich habe vor zwei Jahren ein FSJ gemacht und in diesem Rahmen die Qualifikation zur Rettungssanitäterin bezahlt bekommen. Normalerweise kostet der dreimonatige Kurs 1.500 bis 2.000 Euro und besteht aus sechs Wochen Schule, zwei Wochen Praktikum im Krankenhaus, vier Wochen Rettungswache und einer Woche Abschlusslehrgang. Vor kurzem habe ich die dreijährige Ausbildung zur Notfallsanitäterin begonnen. Als Notfallsanitäterin habe ich dann mehr Wissen, trage die Verantwortung auf dem Rettungswagen, treffe Entscheidungen und kann Medikamente verabreichen.

Wie sieht eine Schicht als Rettungssanitäterin aus?
Auf dem Rettungswagen gibt es häufig 24-Stunden-Schichten, bei uns „nur“ Zwölf-Stunden-Schichten: Tagsüber von sieben bis 19 Uhr oder nachts von 19 bis sieben Uhr. In einer Schicht haben wir im Durchschnitt acht bis neun Einsätze. Das ist viel, denn ein Einsatz kann gut eine bis anderthalb Stunden dauern. In der Regel sind es vier Dienste pro Woche, sodass wir auf 48 Stunden Arbeitszeit pro Woche kommen. Wegen des Personalmangels kann es vorkommen, dass wir sechs Dienste pro Woche übernehmen müssen. Neben dem Rettungswagen, der mit Blaulicht zu den Noteinsätzen fährt, gibt es noch den Krankenwagen, der hauptsächlich den Transport übernimmt – wie ein Taxi, nur im Liegen. Dort arbeitet man im Schnitt neun Stunden und auch nur tagsüber.

Gibt es prägnante Ereignisse oder Situationen, die du auf der Arbeit erlebt hast?
Wir werden meistens für Fälle gerufen, für die ein Rettungsdienst nicht vonnöten ist. Natürlich ist hin und wieder eine Reanimation dabei, was erst einmal krass klingt, aber im Endeffekt ist es ein Algorithmus. Du weißt, worauf es ankommt und arbeitest die Schritte ab. Hier im Harz gibt es einige Berge und dadurch sind viele Leute mit Gleitschirmen unterwegs. Einmal hing eine Gleitschirmfliegerin drei Stunden lang im Baum. Doch am meisten bleiben mir Einsätze mit Patient*innen im Kopf, die entweder psychische Erkrankungen haben oder Patient*innen, deren soziales Umfeld erschütternd ist. Wir betreten die Wohnungen der Menschen, deren Intimsphäre und ihren privaten Raum – da erlebt man viel Elend. Ich war in Wohnungen, da hat es mir die Sprache verschlagen. Es ist heftig zu sehen, wie manche Menschen leben und wir kriegen das hautnah mit. Manchmal müssen wir erst über Müllberge oder durch Katzenkot stapfen, um Patient*innen aus dem dritten Stock mitzunehmen.

Wie gehst du mit dem Stress um, den es bei den Rettungseinsätzen gibt?
Das habe ich noch nicht herausgefunden. Ich stehe noch relativ am Anfang, merke aber, wie viel Arbeit der Rettungsdienst ist. Wenn ich nach einer Schicht nach Hause komme, bin ich so kaputt, dass ich nichts mehr unternehme. Es ist schwierig, die Arbeit zuhause komplett abzulegen: Vieles verarbeitet man erst dann, wenn man zur Ruhe kommt. Ich bin in den letzten beiden Jahren durchaus an meine Belastungsgrenze gekommen, obwohl ich von mir behaupte, dass ich ein belastbarer Mensch bin. Man kann mich beanspruchen und ich bin organisiert. Doch manchmal kann ich mich nicht mehr für freizeitliche Aktivitäten motivieren, obwohl ich weiß, dass es das Beste wäre. Dinge, die mir Spaß machen und von der Arbeit ablenken, sind ein guter Ausgleich. Aber das ist leichter gesagt, als getan.

Häufig wird gesagt, dass du als Notfallsanitäter*in mit halbem Bein im Gefängnis stehst.

Wenn man Verantwortung für das Leben anderer hat, welchen Druck verspürt man dann?
Im Moment bin ich Rettungssanitäterin und arbeite den Notfallsanitäter*innen zu. Die Hauptverantwortung liegt zwar bei den Notfallsanitäter*innen, doch man muss wissen, was man tut. Kompetenz und Wissen nehmen mir den Druck: Ich kenne mein Handwerkszeug und das Material, was mir eine gewisse Grundsicherheit verleiht. Hinzu kommt, dass wir ein detailliertes Einsatzprotokoll schreiben müssen, das als rechtliche Absicherung dient. Leider wird das etwas schleifen gelassen, obwohl es so wichtig ist. Häufig wird gesagt, dass du als Notfallsanitäter*in mit halbem Bein im Gefängnis stehst. Die Menschen werden immer fordernder und der Rettungsdienst als selbstverständlich behandelt. Zum Beispiel erwartet ein 1,90 Meter großer Patient, 100 Kilogramm schwer, dass wir ihn aus dem zweiten Stock tragen, obwohl er aus medizinischer Sicht laufen könnte. Das ist eine Anspruchshaltung, die immer schlimmer wird und damit den Druck erhöht.

Wie ist die Reaktion der Leute, wenn ihr an einem Notfallort ankommt?
Sehr unterschiedlich. Manche sind fordernd, aggressiv und dreist. Es kann auch vorkommen, dass wir beleidigt werden. Andere wiederum sind höflich und freundlich und einfach froh, dass wir helfen. Selten höre ich „Vielen Dank, dass Sie sich kümmern“ oder „Danke, dass Sie da sind“. Das ist meiner Meinung nach ein allgemein gesellschaftliches Problem. Das kommt dann eher von einem 80-jährigen Herrn, um dessen Frau wir uns kümmern. Menschen wie er sehen wirklich, dass wir hart arbeiten. Gerade aber bei Lappalien wird sich selten bedankt und unser Dienst wird als selbstverständlich betrachtet. Außerdem gibt es, wie wahrscheinlich in jeder Stadt, Stamm-Alkoholiker*innen, die man beim Vornamen kennt, bei denen man häufig Einsätze hat. Die sind natürlich nicht erfreut, wenn wir kommen, und können aggressiv werden. Kolleginnen haben erzählt, dass sie bereits mit dem Schlagstock bedroht oder auf dem Balkon ausgesperrt wurden. Wenn es bedrohlich wird, dürfen wir uns zurückziehen. Der Eigenschutz geht immer vor!

Gab es auch schon skurrile oder vielleicht lustige Situationen?
Für außenstehende Leute gibt es sicher einiges zum Schmunzeln, aber für uns sind die vermeintlich lustigen Fälle nervig. Ich erinnere mich an einen Einsatz in einer 15 Kilometer entfernten Stadt. Wir hatten gerade Essen bestellt. Mit Sack und Pack – dem 20 Kilogramm schweren Rucksack, der Sauerstofflasche, dem mobilen EKG und der Absaugeinheit – sind wir in die fünfte Etage gehetzt. Das Einsatzstichwort lautete „akute Blutung“. Am Ende wollte der Patient nur ein Pflaster haben, weil er sich an einer Käsereibe geschnitten hatte. Mein Kollege hat ihn aufwendig verbunden. Hinterher hat sich rausgestellt, dass der Patient Verbandsmaterial im Haus hatte und gelernter Krankenpfleger ist, also vom Fach. Ich war einfach nur wütend. Irgendwie ist es auch traurig, dass solche Fälle überhaupt vorkommen.

„Ich kann nicht mehr“ ist ein Satz, den ich auch häufig sage. Manchmal macht einen alles fertig.

Gibt es einen Satz, den du auf der Arbeit am häufigsten sagst?
„Wie geht es Ihnen?“, „Haben Sie eine Krankenversichertenkarte zur Hand?“, „Wie können wir helfen?“ – Das sind die gängigen Einstiegssätze. „Ich kann nicht mehr“ ist ein Satz, den ich auch häufig sage. Manchmal macht einen alles fertig. Man kann noch nicht einmal sagen, ob es eher die körperliche Anstrengung oder der permanente psychische Stress ist. Gerade die Nachtschichten sind heftig. Manchmal verfolgt mich der Ton des Einsatzmelders bis nach Hause. Es ist ein wahnsinnig lautes und nerviges Geräusch, damit man in der Nacht auch wach wird.

Was muss sich deiner Meinung nach verändern, damit der Job als Rettungssanitäter*in wieder mehr Freude bringt oder Lasten umverteilt werden?
Es gibt mehrere Baustellen. Zum einen müsste es mehr Aufklärung geben, wann was zu tun ist und wann der Rettungsdienst notwendig ist. Wenn die Menschen in diesen Belangen selbstständiger wären und ein besseres Bewusstsein der Strukturen hätten, könnten sie sich besser selbst helfen. Leider wird die 112 vorschnell angerufen, da bei Hausärzt*innen lange Wartezeiten herrschen und sie telefonisch schwer erreichbar sind. Die Menschen wissen sich nicht anders zu helfen und rufen den Rettungsdienst, der eine Hilfsfrist von 15 Minuten hat – und somit bequem und schnell zur Stelle ist. Es gibt kaum geeignete Alternativen, die ausreichend besetzt sind. Des Weiteren sollte die Leitstelle, die die Notrufe entgegennimmt, mehr Möglichkeiten haben am Telefon zu filtern. Es rufen einfach zu viele Fälle an, die eigentlich keine Notfälle sind.Dann: weniger Arbeit, mehr Freizeit. Vier Dienste pro Woche sind genug. Der Personalmangel ist mit Blick auf die Arbeitsbelastung mehr als verständlich. Eigentlich mache ich den Job gerne: Er ist super spannend und ich will unbedingt mehr lernen. Aber aktuell ist es ein undankbarer Job. Es muss sich definitiv einiges ändern.

*Name von der Redaktion geändert

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