funky-Jobkompass | Schleimen für den guten Zweck – meine kurze Zeit als Dialogerin

Person unterschreibt auf Klemmbrett einer Dialogerin, auf deren T-Shirt „Volunteer“ steht
Fundraising-Agenturen werben mit jungen Teams und flexiblen Arbeitszeiten. Der perfekte Nebenjob oder schöner Schein?

Alle wollen sie, nicht jeder genießt sie: Die berühmte erste Arbeitserfahrung. In dieser Rubrik berichten junge Menschen von inspirierenden, skurrilen und unschönen Praktikums- und Nebenjoberfahrungen. Der Ferienjob als Dialogerin nahm eine überraschende Wendung.

Lisa Rethmeier, funky-Jugendreporterin

„Möchten Sie diesen Beutel gegen einen anderen beliebigen Gegenstand eintauschen?“, fragte ich ins Leere. Denn der Mann, den ich eigentlich im Visier hatte, war schon nach den ersten Worten an mir vorbeigehastet, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Ich stand am Samstagmittag auf dem Berliner Alexanderplatz. Trotz des Gefühls, allen permanent auf die Nerven zu gehen, musste ich mich immer wieder aufs Neue überwinden und Leute ansprechen.

Ich bereitete mich auf meinen Semesterferienjob als Dialogerin bei einer Fundraising-Agentur vor, um auf der Straße Mitglieder für diverse Hilfsorganisationen anzuwerben. Ich hatte ehrlich gesagt bis dato immer einen großen Bogen um diese Stände gemacht, um ja nicht angesprochen zu werden (meist ohne Erfolg). Bevor der eigentliche Job aber starten konnte, bekam man einen Tag lang eine intensive Schulung, zu der eben gehörte, Menschen zu einem Tauschgeschäft mit einem leeren Jute-Beutel zu bringen. Zu dem Zeitpunkt war ich noch davon überzeugt, im Anschluss mindestens drei Wochen als Fundraiserin unterwegs zu sein. Es hörte sich abenteuerlich an, jede Woche in eine andere Stadt zu fahren und in einem jungen Team für einen guten Zweck auf der Straße zu stehen. Ich ahnte nicht, welch drastische Wendung alles nehmen sollte. 

Nach unserer ersten Challenge, die ich glücklicherweise bewältigen konnte – ich ging mit einem Kugelschreiber aus dem Tausch hervor – ging es mit anderen der Gruppe, allesamt Studierende, in ein Hostel. Dort wurde unsere Schulung fortgesetzt, wir lernten einiges über die Hilfsorganisationen, für die die Fundraisingagentur arbeitete, bekamen einen Gesprächsleitfaden ausgehändigt und spielten selbst in Gruppen die Situation auf der Straße nach. Am nächsten Tag ging es für mich und einen anderen Dialoger namens Martin* nach Bremen, wo wir für World Vision, ein Kinderhilfswerk, das Patenschaften für Kinder aus benachteiligten Ländern vermittelt, auf der Straße stehen würden. Unsere Unterkunft war ein altmodisches Haus in einem Dorf vor Bremen. Wir wurden von Luisa*, unserer Teamleiterin und Bilal*, einem erfahrenen Dialoger, in Empfang genommen und fingen auch gleich an, bis spät in die Nacht an Gespräche und Argumentationsketten für den morgigen Tag zu feilen. Geschlafen wurde zu viert in einem Zimmer. 

Am nächsten Morgen beauftragte Luisa Martin und mich damit, Kaffee zu kochen, das Frühstück vorzubereiten und das Auto zu beladen. Flache Hierarchien sehen anders aus. Auf der Autofahrt waren wir ihr nicht enthusiastisch genug. Morgens um sieben, nach vier Stunden Schlaf, bin ich eben noch kein Energiebündel. „Jetzt singt doch mal mit und tanzt ein bisschen, ihr Langweiler“, schnauzte sie Martin und mich an, während sie die Musik lauter drehte und mit Bilal lauthals mitgrölte. Authentisch wirkten die beiden dabei nicht. Gequält wippten auch Martin und ich zur Musik mit. Nach der unangenehmen Fahrt war ich fast froh, fremde Menschen ansprechen zu dürfen. 

 „Hallo, die Dame mit dem schönen Lächeln, einmal bitte kurz gestoppt“, sagte ich zu einer älteren Frau mit Rollator – die ganz sicher nicht lächelte. Aber wir wurden schließlich dazu angehalten, Komplimente zu machen. Auch die Aufforderung, stehenzubleiben, war wohl sinnvoll, weil viele darauf hörten und sich so besser zum Infostand locken ließen. Doch die Frau erwiderte nur kühl „Ich denke gar nicht dran“ und rollte an mir vorbei. Das ging ja gut los. Im Laufe des Tages sprach ich bestimmt Hunderte Menschen an, vorzugsweise ältere Frauen, denn die sollten am zahlungsfreudigsten sein. Davon blieben vielleicht gerade mal zehn Leute stehen und nur mit zweien hatte ich ein längeres Gespräch am Info-Stand. Doch ohne Erfolg – die eine regte sich darüber auf, dass wir nur ausländischen Kindern in Afrika helfen würden, die andere wollte es sich nochmal überlegen und wiederkommen – tat sie natürlich nicht.

Mit aufgesetztem Lächeln zum  Mitmachbogen

Irgendwann schafften es alle aus meinem Team, jemanden zu finden, der einen Patenschafts-Vertrag – pardon, einen „Mitmachbogen“ – unterzeichnete. Das Wort „Vertrag“ gehörte zu den verbotenen Formulierungen, denn es wirkt wohl abschreckend. Wer Förder*innen gewann, konnte sich glücklich schätzen und bekam eine Provision. Bei mir sah es schlecht aus. Mein Lächeln wurde von Stunde zu Stunde aufgesetzter und eingefrorener. Luisa hatte mich auf dem Kieker, sie scheuchte mich immer wieder weg und signalisierte mir, dass ich mehr hüpfen sollte, denn das wirkte wohl positiver. Die Ablehnung der Menschen und der Druck aus dem Team lasteten stark auf mir. Hinzu kamen die Hitze und meine immer schwerer werdenden Beine. Nach unbezahlten Überstunden trafen wir um 21 Uhr endlich wieder in unserer Unterkunft ein, doch auch dann war längst noch nicht Feierabend. Es gab Bier und wieder eine Schulung bis nach Mitternacht. Diese Schulungen am Abend waren an sich „freiwillig“, doch man bekam signalisiert, dass man dabei sein sollte, um zum Team zu gehören. 

Der nächste Tag verlief ähnlich erfolglos. Die Hitze machte uns zu schaffen. Ich hatte Kreislaufprobleme und fühlte mich kaum in der Lage, gut gelaunt auf Menschen zuzuhüpfen und mir schmierige Komplimente aus dem Ärmel zu schütteln. Luisa reagierte mit Unverständnis auf meine Probleme und meinte, ich sollte nicht über negative Dinge sprechen, das würde die ganze Gruppe runterziehen. Also quälte ich mich weiter. Am Abend machten wir wieder unbezahlte Überstunden und eine „freiwillige“ Schulung, bei der mir Bier und gute Laune aufgezwungen wurden. Luisa fragte, was unsere Lieblingszahl ist – was der Zahl der von uns jeweils gewonnenen Mitgliedern entsprechen sollte. Es war mir erst unangenehm, Null sagen zu müssen, doch so langsam hatte ich wirklich genug. Ich entschied mich, dass es bei dieser Zahl auch bleiben sollte. Noch am nächsten Tag kündigte ich.

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Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.