Interview

Stadtgeklimper: „Wer sein Klavier liebt, der schiebt!“ – Wie Straßenmusik verbindet

Pianist Thelonious Herrmann spielt vor dem Eifelturm auf seinem Klavier.
Thelonious hat mit seinem Projekt "Stadtgeklimper" mittlerweile 32 Länder erkundet und die Straßen mit seiner Musik berauscht. Mit der Straßenmusik will er gemeinsame Momente mit Menschen kreieren.

Der Kölner Musikstudent Thelonious Herrmann ist mit seinem Projekt „Stadtgeklimper“ in der Welt unterwegs. Mit seinem rollbaren Klavier hat er mittlerweile 32 Länder erkundet und viele Hörer*innen auf den Straßen mit seiner Musik berauscht. Was Thelonious motiviert, auf der Straße zu spielen und wie Musik und Menschen besondere Momente erschaffen, verrät der 23-jährige Pianist im Interview.

Lena Enders, funky-Jugendreporterin
Thelonious Herrmann aka „Stadtgeklimper“

Was genau machst du in deinem Projekt „Stadtgeklimper“?
Ich mache Straßenmusik mit einem mobilen Klavier. Angefangen habe ich damit in meiner Heimatstadt Köln, mittlerweile bin ich mit dem Klavier in Europa und darüber hinaus unterwegs. Mein Ziel ist es, schöne Momente zu kreieren, Begegnungen zu schaffen und Musik zu teilen.

Wann hast du mit dem Klavierspielen angefangen?
An meinem fünften Geburtstag habe ich angefangen Klavier zu spielen, also vor 18 Jahren. Meine beiden älteren Schwestern spielten bereits Instrumente und das wollte ich auch. Bei mir ist es dann das Klavier geworden.

Das Wichtigste ist, dass es Spaß macht, dann springt der Funke auch zum Publikum über.

Thelonious Herrmann

Welche Stücke spielst du auf der Straße?
Ich habe schon immer Klassik gemacht und studiere an der Musikhochschule in Köln auch klassisches Klavier. Auf der Straße hingegen spiele ich viel Filmmusik, wie z.B. Yann Tiersen oder Ludovico Einaudi, das kommt beim Publikum gut an. Gerne spiele ich auch die Stücke von Chilly Gonzales oder Sofiane Pamart. Mein Ziel ist zudem, die Lieder verschiedener Länder mitzunehmen, durch die Musik tiefer in die Kultur einzusteigen und zu erleben, was die Musik im jeweiligen Land ausmacht. Ich lerne zum Beispiel momentan ein beliebtes türkisches Stück, da ich aktuell auf dem Weg in die Türkei bin. Im Prinzip ist es die Balance aus dem, was die Leute hören wollen, und dem, was mir selbst gefällt. Das Wichtigste ist, dass es Spaß macht, dann springt der Funke auch zum Publikum über.

Was hat dich dazu bewegt, auf der Straße Klavier zu spielen?
Ich habe viel Klavier geübt und mich irgendwann gefragt, wofür ich das eigentlich mache. Als ich 16 Jahre alt war, habe ich dann mit Straßenmusik in der Kölner Südstadt begonnen. Daraus entstand die Idee, Rollen unter das Klavier zu schrauben und auf die Straßen zu gehen. Ich habe so viele schöne Erfahrungen gemacht und tolles Feedback bekommen, was mich motiviert hat, weiterzumachen. Natürlich war der Verdienst der Straßenmusik ein gerngesehenes zusätzliches Taschengeld, doch vor allem spiele ich aus Freude. Ich bin einfach meinem Herzen gefolgt und nun puzzelt sich mein ganzes Leben um dieses Projekt. Es gibt meinem Leben einen Sinn.

Ich bin einfach meinem Herzen gefolgt und nun puzzelt sich mein ganzes Leben um dieses Projekt.

Thelonious Herrmann

Was würdest du anderen jungen Menschen mit großen Träumen raten?
Nicht perfekt starten wollen, sondern einfach machen! Man kann mit der kleinsten Hürde anfangen und loslegen: Erfahrung und Feedback sammeln, lernen und daran wachsen. Erst beim Machen selbst merkt man, an was man noch nicht gedacht hat und kann sich dann stetig auf dem Weg verbessern.

Wo bist du gerade unterwegs?
In den Semesterferien bin ich immer zwei bis drei Monate mit dem Klavier unterwegs. Insgesamt bin ich bisher durch 32 Länder gereist. Zuerst nur innerhalb Europas, das hat sich allerdings diesen Sommer geändert: Vor zwei Monaten bin ich mit zwei Freunden nach Marokko gestartet um dort einen Dokumentarfilm über das Projekt „Stadtgeklimper“ zu drehen. Danach bin ich zu meiner Freundin nach Spanien gefahren und mit ihr über Frankreich, Italien, Kroatien, Bosnien und Albanien hier in Griechenland gelandet. Gestern habe ich Musiker*innen getroffen, die mir rieten, auch nach Georgien zu fahren, also kommt das jetzt mit auf die Reiseroute. Ich bin da sehr flexibel und spontan unterwegs und gucke einfach, wo es mich hintreibt.

Häufig vergessen die Menschen dann kurz, dass sie gerade einkaufen wollten oder im Stress sind.

Thelonious Herrmann

Was sind die schönen Momente, wenn du in fremden Ländern Klavier spielst?
Die schönsten Momente sind, wenn man die unterschiedlichsten Leute aus ihrem Alltag holt und einen gemeinsamen Moment kreiert. Man schafft eine Stimmung, in der nur die Musik zählt und alles andere egal wird. Häufig vergessen die Menschen dann kurz, dass sie gerade einkaufen wollten oder im Stress sind. Straßenmusik erreicht alle: die Jungen, die Alten, die Armen und die Reichen – es gibt keine Grenzen. Die verschiedensten Menschen teilen sich dann einen Moment: Es entsteht ein Moment der Begegnung. Das ist etwas Besonderes, da wir alle meistens in unseren Bubbles unterwegs sind.

Hast du eine Lieblingssituation, die du erzählen möchtest?
Als ich mit 18 Jahren das erste Mal losgefahren bin, war der erste beeindruckende Moment in Split. Dort haben sich die Leute an der Hand genommen, geschunkelt und mitgesungen. Auf der diesjährigen Sommer-Tour war Marokko ein wunderbares Erlebnis. Im Vergleich zu Europa ist dort Straßenmusik nicht gängig, sodass ich als europäischer Straßenmusiker mit einem Klavier auf Rollen eine Sensation war. Ich hatte gefühlt 200 Leute um mich herum.

Welches Land hat besonderen Eindruck bei dir hinterlassen?
Es gibt viele Unterschiedlichkeiten zwischen den einzelnen Ländern. Marokko war mehr ein Sensationsgefühl, es ging weniger um die Musik selbst. In Bosnien war ich in einer kleinen nicht-touristischen Stadt unterwegs. Bekannte rieten mir davon ab, dort zu spielen. Sie meinten, mein Klavier und Geld würden geklaut werden, da die Einwohner*innen selbst kaum etwas besitzen. Ich habe dort trotzdem gespielt, was die Menschen unglaublich gefreut hat. Am nächsten Tag war ich in der lokalen Zeitung und im Fernsehen. Das war toll!

Kann es anstrengend sein, mit einem Klavier auf Reisen zu sein?
Auf jeden Fall. Allein die Logistik ist ein großes Thema, mit einer Gitarre hat man es deutlich einfacher. Selbst nach sieben Jahren gibt es immer noch Momente, die einen herausfordern können. In Montenegro sind mir zum Beispiel einmal drei Räder vom Klavier abgefallen. Mit Händen und Füßen habe ich versucht, mich dort mit einem Schweißer zu verständigen. Zudem muss ich ständig auf der Hut vor dem Ordnungsamt sein. Von Stadt zu Stadt zu reisen und so viele unterschiedliche Eindrücke zu sammeln, kann auch Kraft kosten.

Andere Lebensgeschichten inspirieren mich sehr und helfen mir, meine eigene zu finden.

Thelonious Herrmann

Was machst du auf Reisen, wenn du nicht gerade Klavier spielst?
Ich habe die perfekte Kombination aus Hobbys: Wenn das Wetter gut ist, spiele ich Klavier, andernfalls gehe ich Kitesurfen. Ansonsten habe ich ein Klapprad, mit dem ich durch die Städte fahre und mir auch Sehenswürdigkeiten ansehe. Am wertvollsten sind jedoch die Begegnungen mit Menschen – ihre Lebensgeschichten zu hören und mit ihnen über ihr Land zu reden. Ich will mit Leuten vor Ort in Kontakt kommen und das Klavier ist dafür der perfekte Türöffner – Musik verbindet! Gestern habe ich Straßenmusiker*innen getroffen, mit denen ich den ganzen Abend gequatscht habe. Wir haben uns viel über Musik unterhalten und zusammen gejamt. Um solche inspirierenden Momente geht es – das ist das, was hängen bleibt.

Hast du nach deinem Studium an der Musikhochschule schon Pläne mit deinem Klavier?
Ich habe viele verrückte Ideen. Eine davon ist, eine alternative Musikschule zu gründen, mit der gereist und auf der Straße musiziert wird. Cool wäre es, Sponsoren zu finden, damit Menschen, die sich Musikunterricht nicht leisten können, auch die Chance dazu erhalten. Über Instagram erreichen mich so viele Event- und Hochzeitsanfragen, die ich niemals selbst bewerkstelligen kann. Die Jobangebote könnten innerhalb der Musikschule weiterverteilt werden, damit das Üben auch einen praktischen Sinn hat. Außerdem will ich mich musikalisch weiterentwickeln und an meiner eigenen Musik arbeiten: Ich möchte ein Album produzieren und meine eigenen Songs spielen. Mein Traum ist es, mir nach dem Studium Zeit zu nehmen um ein paar Städte und Kulturen intensiver kennenzulernen. Ich könnte mir gut vorstellen, in Städten wie Athen, Stockholm, Tetouan oder Amsterdam für zwei bis drei Monate zu leben, dort in den Alltag einzutauchen und die verschiedenen Musikszenen kennenlernen. Ich könnte viel von den Menschen vor Ort lernen und ein anderes Lebensgefühl mitnehmen. Andere Lebensgeschichten inspirieren mich sehr und helfen mir, meine eigene zu finden.

Thelonious Reisen mit dem Klavier könnt ihr auf seinem Instagram-Account @stadtgeklimper mitverfolgen.

funky-instagram-banner

Du willst mehr? Du bekommst mehr!

Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.