Interview

Schule von morgen: „Schule sollte ein angstfreier Lernort sein“

Eine Unterrichtssituation in der Schule. Zwei Personen stehen vor der Klasse und eine Person meldet sich.
In der Schule sollte der Respekt vor unterschiedlichen Lebensentwürfen gefördert werden.
Celina Otto, funky-Jugendreporterin

Der Bundesverband Queere Bildung e. V. hat sich zum Ziel gesetzt, einen sicheren Lernraum für alle Jugendlichen zu schaffen.

Berlin. Seit zehn Jahren setzt sich der Bundesverband Queere Bildung e. V. für die Förderung der Akzeptanz queerer Lebensentwürfe ein. Kira Splitt, Vorstandsmitglied des Vereins, erzählt im Interview von der Bedeutung queerer Bildungsarbeit in Schulen und dem Ziel, einen sicheren und inklusiven Lernraum für Jugendliche zu schaffen. Sie gibt Einblicke in die Herausforderungen, mit denen queere Bildungsprojekte konfrontiert sind, und erklärt, weshalb es so wichtig ist, Jugendliche für Diversität zu sensibilisieren.

Liebe Kira, wie nimmst du die Situation an deutschen Schulen in Bezug auf queere Bildung wahr?

Kira Splitt: Fast alle queeren Bildungsprojekte berichten, dass die Situation in den letzten Jahren schwieriger geworden ist. Früher waren Störungen, die zu einem Abbruch eines unserer Workshops führten, eher eine große Ausnahme. Heute begegnet den Projekten häufiger offene Ablehnung bis hin zu Gewaltandrohungen. Wir möchten Lern- und Austauschräume schaffen. Das heißt für uns: Jugendliche dürfen natürlich Unsicherheiten und Vorurteile haben und müssen weder vor noch nach dem Workshop total aufgeschlossen gegenüber queeren Lebensrealitäten sein. Dennoch braucht es Respekt und eine grundlegende Bereitschaft, zuzuhören, Themen zu diskutieren und unterschiedliche Lebensentwürfe als gleichwertig und gleichberechtigt nebeneinander stehen lassen zu können. Leider bekommen wir immer mehr Anfragen von Schulen, an denen es bereits queerfeindliche Vorfälle oder Mobbing gegeben hat. Dann soll ein queerer Bildungsworkshop die Situation lösen. Wir leisten aber Präventions- und keine Interventionsarbeit. Das kann nicht gelingen.

Kira Splitt ist Vorstandsmitglied bei Queere Bildung e. V.. (c) Kira Splitt

Was ist die Kernidee von Queere Bildung e. V.?

Wir haben Queere Bildung e. V. als Bundesverband der queeren Bildungs- und Antidiskriminierungsprojekte vor zehn Jahren gegründet. Damals wollten wir die Vernetzung verstetigen und eine Struktur für gemeinsame Interessenvertretung, wechselseitige Unterstützung sowie Professionalisierung schaffen. Seitdem ist viel passiert. Ein Meilenstein war die erste Bundesförderung im Jahr 2020. Seitdem hatten wir durch unser Modellprojekt „Bildungs_lücken schließen“ hauptamtliche Fachkräfte, die die Projekte durch Fortbildungsangebote und Beratung unterstützen konnten.

Wie sieht die queere Bildung in der Praxis aus?

Die meisten Workshopangebote richten sich an Jugendliche ab der siebten Klasse. Die Workshops können aber auch in der offenen Jugendarbeit, in Sportvereinen oder kirchlichen Jugendgruppen stattfinden. Kurz: überall da, wo Jugendliche in festen Gruppen regelmäßig zusammenkommen. Unser Bildungsangebot basiert auf dem Grundsatz der Freiwilligkeit. Queere Bildungsarbeit setzt sich für eine Gesellschaft ein, in der lesbische, bisexuelle, asexuelle, schwule, trans*, inter*, heterosexuelle und queere Lebensweisen gleichberechtigt gelebt werden können und uneingeschränkte Akzeptanz finden. Zentrale Aufgabe queerer Bildungsarbeit ist die Begegnung und das Sichtbarmachen von queeren Lebensweisen, Aufdecken von Diskriminierungsebenen sowie die Sensibilisierung für soziale Ungleichheiten im Kontext geschlechtlicher Identitäten sowie sexueller und romantischer Orientierungen. Die Teilnehmenden bekommen in Workshops oft erstmals die Gelegenheit, ihre Fragen an queere Personen zu stellen und ins Gespräch zu kommen. Die Workshops wirken damit konkret in die cisgeschlechtliche und heterosexuelle Mehrheitsgesellschaft und laden zu einer Auseinandersetzung über demokratisches Zusammenleben ein.

Inwiefern sind unsere Schulen aktuell noch heteronormativ geprägt?

Jugendarbeit, Schule und Sportvereine sind heteronormativ geprägte Lebensräume, in denen LSBTIAQ+ weitgehend unsichtbar bleiben und mehrheitlich diskriminiert und benachteiligt werden. In Gesprächen, Büchern und pädagogischen Haltungen werden Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit als erwünschte Normen unreflektiert an Jugendliche kommuniziert und reproduziert. Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt wird dadurch unsichtbar gemacht und zu einer „Abweichung“ reduziert. Das ist für queere Jugendliche, aber auch für alle anderen Jugendliche, die irgendwie von Normen abweichen, schmerzhaft.

Worauf sollten Lehrkräfte im Unterricht achten? Welche Tipps kannst du mitgeben?

Queerfeindliche Aussagen dürfen nicht einfach überhört werden. Es kann nicht sein, dass nach einem solchen Vorfall einfach weitergemacht wird. Stattdessen müssen die Lehrkräfte den Vorfall aufgreifen und thematisieren, sodass deutlich wird, dass menschenfeindliche Aussagen und Haltungen nicht akzeptiert werden. Nur so können sich queere Jugendliche gestärkt und beschützt fühlen. Über die konkrete Situation hinaus sollten die Themen LSBTIAQ+ behandelt und in Themen wie Demokratie, Mobbing, Menschenrechte und Selbstbestimmung eingebettet werden.

Wie sieht für dich die Schule von morgen aus?

Die Schule sollte ein angstfreier Lernort für alle sein, an dem Jugendliche verschieden sein können und Differenz wertschätzen – anstatt sie zu fürchten und abzuwerten. Es sollte ein Ort sein, der mehr Zeit und Raum für die Entwicklung einer demokratischen Grundhaltung bietet.

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Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.