Meinung

Last Chance Tourism – nur noch kurz die Welt bereisen?

Ein Boot mit Touristen schwimmt vor einem Gletscher.
Die arktischen Landschaften sind massiv bedroht – für manche Menschen ein Grund mehr, sie zu bereisen.
Jan-Malte Wortmann, funky-Jugendreporter

Seit einigen Jahren lässt sich weltweit in der Tourismusbranche ein Trend feststellen, der nicht nur fragwürdig, sondern genau genommen auch ziemlich paradox ist: Der sogenannte „Last Chance Tourism“. Dieser Begriff beschreibt Urlaub nach dem Motto „Schnell nochmal hin – bevor es zu spät ist“. Denn immer mehr Menschen zieht es speziell an die Orte, die durch die Folgen des Klimawandels besonders bedroht sind, um diese noch mit eigenen Augen sehen zu können, bevor sie verschwinden oder nicht mehr besucht werden dürfen. Dazu zählen beispielsweise berühmte Gletscher, Korallenriffe, die Polarregionen oder auch Städte wie Venedig.

Das Absurde daran: Last-Chance-Tourist:innen scheinen sich im Klaren darüber zu sein, dass diese Orte durch die Klimakrise massiv bedroht sind. Dass sie in vielen Fällen selbst zur weiteren Zerstörung dieser Gegenden beitragen, stört sie weniger.

Was ist Last Chance Tourism?

Der Begriff „Last Chance Tourism“ existiert schon eine Weile. Bereits 2010 beschrieb eine Gruppe kanadischer Wissenschaftler:innen damit das Phänomen des gezielten Reisens an bedrohte Orte und stellte einen Trend in diese Richtung fest – nicht zuletzt durch gezieltes Marketing. In einer anderen Studie aus dem Jahr 2016 befragten australische Forscherinnen Menschen, die das Great Barrier Reef besuchten, nach dem Grund für ihre Reise: 70 Prozent der Befragten gaben an, das weltbekannte Korallenriff noch einmal sehen zu wollen, bevor es ganz verschwunden ist.

Andere Beispiele für stark bedrohte, touristisch aber unbeirrt hochfrequentierte Reiseziele sind etwa die Antarktis, die meisten Gletscher weltweit oder die Lebensräume von Eisbären im Norden Kanadas. Aber auch Inselgruppen wie die Malediven, die langsam aber sicher im Meer versinken, bleiben nicht nur sehr beliebt – die Aussicht auf ihren mittelfristigen Untergang scheint viele Tourist:innen zusätzlich zu einem Besuch zu motivieren. Ähnlich ergeht es der unter dem Massentourismus ächzenden Stadt Venedig.

Egozentrisch und kurzsichtig

Der Wunsch, solch einzigartige Landschaften einmal persönlich zu erleben, ist natürlich nachvollziehbar. Doch wird diesen Orten durch die anreisenden Menschenmassen häufig erheblicher Schaden zugefügt. Auch die Anreise mit dem Flugzeug trägt nicht zur Eindämmung der Klimakrise bei. Das hat etwas von einer selbsterfüllenden Prophezeiung: Durch den Last Chance Tourismus verschwinden die besuchten Naturräume erst recht.

Vor allem aber ist Last Chance Tourismus ein rücksichtsloser Akt der Selbstüberhöhung: Man hält sich selbst für so wichtig, dass man meint, diese Orte noch unbedingt mit eigenen Augen gesehen haben zu müssen – die anderen sind dann eben selbst Schuld und nachfolgende Generationen haben sowieso Pech gehabt. Mit einem solchen Fatalismus macht man es sich aber zu leicht. Ja, die Klimakrise ist beängstigend und die Aussichten auf ihre Eindämmung sind nicht gerade rosig. Deswegen aber jede Rücksicht aufzugeben, darf nicht die Reaktion sein.

Wenn Menschen tatsächlich aus einer „Letzte-Chance“-Motivation an bedrohte Orte reisen, sollte man meinen, dass sie ein ausgeprägtes Bewusstsein für die Klimakrise und ihre Folgen besitzen. Umso bedauerlicher ist es, wenn sie so kurzsichtig die Augen vor den Auswirkungen ihres Handelns verschließen und ihre eigenen Wünsche über alles andere stellen.

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Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.