Nina Blazon schreibt Kinder- und Jugendbücher, seit sie 33 Jahre alt ist. Ihre Geschichten leben von den fantastischen Elemente, die Leser und Leserinnen in fremde Welten entführen. Inzwischen hat sie bereits über 40 Bücher veröffentlicht und zahlreiche Auszeichnungen erhalten, unter anderem den Phantastik-Preis SERAPH für „Der Winter der schwarzen Rosen“. Was es bedeutet, Bücher für Kinder und Jugendliche zu schreiben und welche Unterschiede es im Vergleich zu Erwachsenenbüchern gibt, erzählt sie im Interview.
Liebe Nina, wie bist du zum Schreiben gekommen und warum widmest du dich vor allem Kinder- und Jugendbüchern? Nina Blazon: Ich habe vorher als Werbetexterin und Redakteurin gearbeitet, das Schreiben war also schon mein Beruf. Zum Schreiben von Büchern bin ich durch eine Wettbewerbsaus-schreibung des Carl Ueberreuter-Verlags gekommen, wo Jugendbuchmanuskripte gesucht wurden. Ich habe mich so das erste Mal an Jugendbüchern versucht und habe festgestellt, dass das Genre sehr vielfältig und schön ist. Nach und nach kamen dann andere Altersstufen hinzu, so kam es auch zu meinem ersten Kinderbuch.
Was macht dir am Beruf der Autorin am meisten Spaß? Man sollte meinen, dass es das Schreiben an sich ist. Aber für mich ist es die Vorarbeit und die Recherche. Ich habe für jedes Buch ein Spezialthema, das ich mehr erforschen darf. Dabei darf ich mit Menschen reden, die sonst wahrscheinlich gar nicht mit mir sprechen würden. Man bekommt einen tiefen Einblick in verschiedene Berufsfelder.
Hilft dir dein Germanistik- und Slavistikstudium dabei, heute Bücher zu schreiben? Das Studium hat mir geholfen, zu lernen, wie man richtig recherchiert. Das war sehr nützlich. Andererseits habe ich das später bei meinem Journalismusvolontariat auch gelernt. Es hilft auf jeden Fall, wenn man schon mal Kurztexte geschrieben oder journalistisch gearbeitet hat. Man lernt dabei, worauf es ankommt.
Was inspiriert dich zu deinen Geschichten? Alles Mögliche! Von Reisen über Begegnungen bis hin zu Büchern, die ich lese. Ich lese sehr gerne Märchen und Sagen verschiedener Länder und Kulturen. Dabei gibt es Berührungspunkte mit ganz unterschiedlichen Themen, das ist sehr inspirierend.
Kannst du vom Schreiben leben? Es kommt immer darauf an, wie viele Bücher sich im Jahr verkaufen. Es gibt Jahre, in denen ich parallel zum Schreiben mehr Lesungen einplane, und Jahre, in denen durch den Buchverkauf wirklich alles abgedeckt ist. Speziell beim Kinderbuch ist es allerdings so, dass Lesungen und Leseförderungsveranstaltungen dazugehören.Vor allem Vorlesebücher werden selten in großen Auflagen gedruckt. Wenn sich ein solches Buch zwei- bis dreitausend Mal verkauft, ist das gut, aber davon könnte man natürlich nicht leben. Dazu kommt, dass wir Autor:innen einen Auftrag haben, gerade in Grundschulen für das Lesen zu begeistern und damit gezielt Leseförderung zu betreiben. Man ist als Autor:in dafür da, mit den Kindern über die Geschichten in Kontakt zu treten. Das ist ein wichtiger Teil des Berufsbilds des Kinderbuchautors oder der Kinderbuchautorin. Bei Autori:nnen, die Erwachsenenbücher schreiben, ist es wieder etwas anders, da gehören Lesungen nicht zwingend dazu.
Was sind die größten Unterschiede zwischen Lesungen für Kinder und Lesungen für Erwachsene? Erwachsene sitzen in der Lesung, weil sie da sein wollen. Sie wollen das Buch lesen und werden eher positiv reagieren, schon allein aus Höflichkeit. Bei Kindern erlebt man eine unmittelbare Reaktion, das ist das Tolle daran. Wenn Kinder sich langweilen, zeigen sie das sofort. Die Lesungen mit Kindern sind viel interaktiver. Es geht ja darum, die Kinder zum Lesen zu locken. Die Erwachsenen kommen eher zur Unterhaltung und um den Autor oder die Autorin zu treffen. Das ist ein völlig anderes Setting. Mir persönlich macht es großen Spaß, mit Kindern zu arbeiten, einfach weil man immer diese Ungewissheit hat, wie eine Klasse drauf ist, wie sie reagiert, welche Lesestellen im Endeffekt wirklich funktionieren. So entstehen immer interessante Interaktionen und Erlebnisse.
Wie entwickelst du deine Charaktere? Gibt es bestimmte Eigenschaften oder Erfahrun-gen, die du in deine Figuren einfließen lässt? Eigene Erfahrungen tatsächlich weniger, das versuche ich zu vermeiden. Wenn ich bewusst etwas von mir hineingebe, dann in die Nebenfiguren. Ansonsten orientiere ich mich daran, welche Entwicklungsaufgaben die Figuren haben. Ganz klassisch: Wo sollen sie am Anfang stehen? Was sollen sie bis zum Ende erlebt haben? Inwiefern haben sie sich entwickelt? Dazu gehört üblicherweise die größte Angst, die größte Sehnsucht. Das, was sie glauben zu wollen und das, was sie wirklich brauchen, ist oft ein Unterschied.
Welche Themen sind dir in deinen Büchern besonders wichtig, und welche Botschaften möchtest du deinen Leser:innen vermitteln? Ich habe von einer Lektorin einen schönen Satz gehört: „In deinen Büchern geht es immer um die Umarmung des Fremden.“ Das stimmt tatsächlich. Ich habe ganz viele Bücher geschrieben, in denen es um verschiedene Kulturen, verschiedene Länder oder um verschiedene Wesenheiten geht, die sich erst mit Vorurteilen treffen und sich dann kennenlernen. Das ist auch die Botschaft, die sich unbewusst immer wieder in meine Bücher hineinschleicht. Uns Menschen trennt weniger, als wir denken, und uns verbindet mehr, als wir glauben. Das in kleinen Geschichten durchzuspielen, ist ein Thema, welches sich bei mir immer wieder wiederholt.
Wie wichtig ist dir die Zielgruppe beim Schreiben und wie versuchst du, ihre Interessen und Bedürfnisse zu berücksichtigen? Das funktioniert ganz technisch und ist klar definiert. Kinderbücher decken dabei die Spanne von drei bis zwölf Jahren. Mit drei Jahren wird einem oft vorgelesen und man kommt zum ersten Mal mit Geschichten in Kontakt. Ab zwölf Jahren handelt es sich meistens schon um ein Jugendbuch. An Kinderbüchern kann man es ganz einfach festmachen: Jedes Kind durchläuft in den Grundzügen der Entwicklung der psychologischen Bedürfnisse den gleichen Werdegang. Ein kleines Kind von unter sechs Jahren hat wenig Autonomiebestrebungen. Da geht es in den Geschichten dann darum, ein Thema zu wählen, bei dem Verbundenheit und Sicherheit eine große Rolle spielen. In der Phase, in der die Kinder selbstständiger werden, kann man dann im Weltenbau berücksichtigen, dass die Kinder zum Beispiel Abenteuer ohne die Eltern erleben. Bei den kleinen Kindern gehe ich immer von einer „Sicherwelt“ aus, für die mittleren Kinder von acht bis zehn Jahren, gehe ich von einer „Waldwelt“ aus, dort findet eine Wandlung und eine kleine Heldenreise statt, und ab elf oder zwölf Jahren kann man dann mit einer „Mangelwelt“ spielen. Das heißt, wenn die Kinder die ersten Ablösungsprozesse hinter sich haben, können sie sich mit einer Welt beschäftigen, in der etwas kaputt geht oder die einen Mangel hat. Das Kind rettet dann als Heldenfigur die Welt. Wir holen die Kinder immer da ab, wo sie in ihrer psychischen Entwicklungsstufe stehen.
Wie siehst du die Rolle von Fantasy-Literatur in der heutigen Gesellschaft? Glaubst du, dass sie eine besondere Bedeutung hat? Ich glaube, das hatte sie immer. Für mich ist Fantasy Wirklichkeit in einem schillernden Ge-wand. Man legt diese allegorischen Bilder um die Wirklichkeit herum, aber im Kern geht um klar strukturierte Plots, die sehr viel mit der Wirklichkeit zu tun haben. Ich habe für jeden Fantasyroman für Jugendliche ein Oberthema aus der Wirklichkeit, das verkleide ich dann in Fantasysprache, weil wir Menschen es oft auf der allegorischen Ebene besser verstehen. Zum Beispiel ging es bei „Fayra – das Herz der Phönixtochter“ um Flucht und Vertreibung. Das wird teilweise durch die Personen transportiert, ist aber auch in Fantasy gekleidet, damit das Prinzip verständlich wird.
Was sind die größten Herausforderungen dabei, Kinderbücher zu schreiben? Für Kinderliteratur ist momentan tatsächlich die Herausforderung, dass man damit rechnen muss, dass das Lesen nicht mehr an oberster Stelle steht. Man muss die Kinder wirklich zum Lesen locken. Außerdem sind die Kinder in den Medien Zuhause und müssen dadurch täglich viel lesen, sei es ein Social Media Post oder eine WhatsApp-Nachricht. Wir alle sind zu müde zum Lesen, wenn wir den ganzen Tag am Computer gesessen und gelesen haben. Das muss berücksichtigt werden. Ich schreibe deshalb inzwischen keine sehr dicken Bücher mehr für Kinder und mache die Kapitel kürzer. Die Schnelllebigkeit der heutigen Welt ist eine Herausforderung und eine Veränderung, die sich seit zehn Jahren durch den ganzen Buchmarkt zieht.
Siehst du die Schnelllebigkeit der heutigen Welt, soziale Medien oder künstliche Intelligenzen als Gefahr für den Buchmarkt? Ich kann noch nicht einschätzen, wohin das führt. In meinem Kollegenkreis erlebe ich, dass es bei den Illustratoren einen großen Aufschrei gibt, weil Aufträge wegbrechen, da manche Dienstleister und Verlage bereits auf KI zurückgreifen. Ich steige aber ehrlich gesagt noch zu wenig durch, um beurteilen zu können, ob ein komplettes Werk von einem Autor oder einer Autorin per KI eingelesen und dadurch ein Buch in seinem oder ihrem Stil geschrieben werden könnte. Im Moment gehe ich davon aus, dass das noch nicht geht. Ich kann wirklich nur hoffen, dass die eigene Stimme und der eigene Stil nicht so leicht zu kopieren sind.
Welche Ratschläge würdest du jungen Autor:innen geben, die ebenfalls in der Fantasy- oder Jugendliteratur schreiben möchten? Ganz viel lesen! Vor allem, was wir als Märchen oder Sagen kennen, einfach damit man die Bildsprache als Repertoire und die Urbilder und Archetypen schon mal verinnerlicht hat. Dann ist es später leichter, eigene Ideen damit zu kombinieren und damit kreativ zu werden, statt das Rad neu zu erfinden und Wesen und Welten zu schaffen, die man einer Leserschaft erst einmal im Detail erklären müsste. Das kann nämlich schnell dazu führen, dass jemand das Buch zur Seite legt.
Nina Blazon schreibt Kinder- und Jugendbücher, seit sie 33 Jahre alt ist. Ihre Geschichten leben von den fantastischen Elemente, die Leser und Leserinnen in fremde Welten entführen. Inzwischen hat sie bereits über 40 Bücher veröffentlicht und zahlreiche Auszeichnungen erhalten, unter anderem den Phantastik-Preis SERAPH für „Der Winter der schwarzen Rosen“. Was es bedeutet, Bücher für Kinder und Jugendliche zu schreiben und welche Unterschiede es im Vergleich zu Erwachsenenbüchern gibt, erzählt sie im Interview.
Liebe Nina, wie bist du zum Schreiben gekommen und warum widmest du dich vor allem Kinder- und Jugendbüchern?
Nina Blazon: Ich habe vorher als Werbetexterin und Redakteurin gearbeitet, das Schreiben war also schon mein Beruf. Zum Schreiben von Büchern bin ich durch eine Wettbewerbsaus-schreibung des Carl Ueberreuter-Verlags gekommen, wo Jugendbuchmanuskripte gesucht wurden. Ich habe mich so das erste Mal an Jugendbüchern versucht und habe festgestellt, dass das Genre sehr vielfältig und schön ist. Nach und nach kamen dann andere Altersstufen hinzu, so kam es auch zu meinem ersten Kinderbuch.
Was macht dir am Beruf der Autorin am meisten Spaß?
Man sollte meinen, dass es das Schreiben an sich ist. Aber für mich ist es die Vorarbeit und die Recherche. Ich habe für jedes Buch ein Spezialthema, das ich mehr erforschen darf. Dabei darf ich mit Menschen reden, die sonst wahrscheinlich gar nicht mit mir sprechen würden. Man bekommt einen tiefen Einblick in verschiedene Berufsfelder.
Hilft dir dein Germanistik- und Slavistikstudium dabei, heute Bücher zu schreiben?
Das Studium hat mir geholfen, zu lernen, wie man richtig recherchiert. Das war sehr nützlich. Andererseits habe ich das später bei meinem Journalismusvolontariat auch gelernt. Es hilft auf jeden Fall, wenn man schon mal Kurztexte geschrieben oder journalistisch gearbeitet hat. Man lernt dabei, worauf es ankommt.
Was inspiriert dich zu deinen Geschichten?
Alles Mögliche! Von Reisen über Begegnungen bis hin zu Büchern, die ich lese. Ich lese sehr gerne Märchen und Sagen verschiedener Länder und Kulturen. Dabei gibt es Berührungspunkte mit ganz unterschiedlichen Themen, das ist sehr inspirierend.
Kannst du vom Schreiben leben?
Es kommt immer darauf an, wie viele Bücher sich im Jahr verkaufen. Es gibt Jahre, in denen ich parallel zum Schreiben mehr Lesungen einplane, und Jahre, in denen durch den Buchverkauf wirklich alles abgedeckt ist. Speziell beim Kinderbuch ist es allerdings so, dass Lesungen und Leseförderungsveranstaltungen dazugehören.Vor allem Vorlesebücher werden selten in großen Auflagen gedruckt. Wenn sich ein solches Buch zwei- bis dreitausend Mal verkauft, ist das gut, aber davon könnte man natürlich nicht leben. Dazu kommt, dass wir Autor:innen einen Auftrag haben, gerade in Grundschulen für das Lesen zu begeistern und damit gezielt Leseförderung zu betreiben. Man ist als Autor:in dafür da, mit den Kindern über die Geschichten in Kontakt zu treten. Das ist ein wichtiger Teil des Berufsbilds des Kinderbuchautors oder der Kinderbuchautorin. Bei Autori:nnen, die Erwachsenenbücher schreiben, ist es wieder etwas anders, da gehören Lesungen nicht zwingend dazu.
Was sind die größten Unterschiede zwischen Lesungen für Kinder und Lesungen für Erwachsene?
Erwachsene sitzen in der Lesung, weil sie da sein wollen. Sie wollen das Buch lesen und werden eher positiv reagieren, schon allein aus Höflichkeit. Bei Kindern erlebt man eine unmittelbare Reaktion, das ist das Tolle daran. Wenn Kinder sich langweilen, zeigen sie das sofort. Die Lesungen mit Kindern sind viel interaktiver. Es geht ja darum, die Kinder zum Lesen zu locken. Die Erwachsenen kommen eher zur Unterhaltung und um den Autor oder die Autorin zu treffen. Das ist ein völlig anderes Setting. Mir persönlich macht es großen Spaß, mit Kindern zu arbeiten, einfach weil man immer diese Ungewissheit hat, wie eine Klasse drauf ist, wie sie reagiert, welche Lesestellen im Endeffekt wirklich funktionieren. So entstehen immer interessante Interaktionen und Erlebnisse.
Wie entwickelst du deine Charaktere? Gibt es bestimmte Eigenschaften oder Erfahrun-gen, die du in deine Figuren einfließen lässt?
Eigene Erfahrungen tatsächlich weniger, das versuche ich zu vermeiden. Wenn ich bewusst etwas von mir hineingebe, dann in die Nebenfiguren. Ansonsten orientiere ich mich daran, welche Entwicklungsaufgaben die Figuren haben. Ganz klassisch: Wo sollen sie am Anfang stehen? Was sollen sie bis zum Ende erlebt haben? Inwiefern haben sie sich entwickelt? Dazu gehört üblicherweise die größte Angst, die größte Sehnsucht. Das, was sie glauben zu wollen und das, was sie wirklich brauchen, ist oft ein Unterschied.
Welche Themen sind dir in deinen Büchern besonders wichtig, und welche Botschaften möchtest du deinen Leser:innen vermitteln?
Ich habe von einer Lektorin einen schönen Satz gehört: „In deinen Büchern geht es immer um die Umarmung des Fremden.“ Das stimmt tatsächlich. Ich habe ganz viele Bücher geschrieben, in denen es um verschiedene Kulturen, verschiedene Länder oder um verschiedene Wesenheiten geht, die sich erst mit Vorurteilen treffen und sich dann kennenlernen. Das ist auch die Botschaft, die sich unbewusst immer wieder in meine Bücher hineinschleicht. Uns Menschen trennt weniger, als wir denken, und uns verbindet mehr, als wir glauben. Das in kleinen Geschichten durchzuspielen, ist ein Thema, welches sich bei mir immer wieder wiederholt.
Wie wichtig ist dir die Zielgruppe beim Schreiben und wie versuchst du, ihre Interessen und Bedürfnisse zu berücksichtigen?
Das funktioniert ganz technisch und ist klar definiert. Kinderbücher decken dabei die Spanne von drei bis zwölf Jahren. Mit drei Jahren wird einem oft vorgelesen und man kommt zum ersten Mal mit Geschichten in Kontakt. Ab zwölf Jahren handelt es sich meistens schon um ein Jugendbuch. An Kinderbüchern kann man es ganz einfach festmachen: Jedes Kind durchläuft in den Grundzügen der Entwicklung der psychologischen Bedürfnisse den gleichen Werdegang. Ein kleines Kind von unter sechs Jahren hat wenig Autonomiebestrebungen. Da geht es in den Geschichten dann darum, ein Thema zu wählen, bei dem Verbundenheit und Sicherheit eine große Rolle spielen. In der Phase, in der die Kinder selbstständiger werden, kann man dann im Weltenbau berücksichtigen, dass die Kinder zum Beispiel Abenteuer ohne die Eltern erleben. Bei den kleinen Kindern gehe ich immer von einer „Sicherwelt“ aus, für die mittleren Kinder von acht bis zehn Jahren, gehe ich von einer „Waldwelt“ aus, dort findet eine Wandlung und eine kleine Heldenreise statt, und ab elf oder zwölf Jahren kann man dann mit einer „Mangelwelt“ spielen. Das heißt, wenn die Kinder die ersten Ablösungsprozesse hinter sich haben, können sie sich mit einer Welt beschäftigen, in der etwas kaputt geht oder die einen Mangel hat. Das Kind rettet dann als Heldenfigur die Welt. Wir holen die Kinder immer da ab, wo sie in ihrer psychischen Entwicklungsstufe stehen.
Wie siehst du die Rolle von Fantasy-Literatur in der heutigen Gesellschaft? Glaubst du, dass sie eine besondere Bedeutung hat?
Ich glaube, das hatte sie immer. Für mich ist Fantasy Wirklichkeit in einem schillernden Ge-wand. Man legt diese allegorischen Bilder um die Wirklichkeit herum, aber im Kern geht um klar strukturierte Plots, die sehr viel mit der Wirklichkeit zu tun haben. Ich habe für jeden Fantasyroman für Jugendliche ein Oberthema aus der Wirklichkeit, das verkleide ich dann in Fantasysprache, weil wir Menschen es oft auf der allegorischen Ebene besser verstehen. Zum Beispiel ging es bei „Fayra – das Herz der Phönixtochter“ um Flucht und Vertreibung. Das wird teilweise durch die Personen transportiert, ist aber auch in Fantasy gekleidet, damit das Prinzip verständlich wird.
Was sind die größten Herausforderungen dabei, Kinderbücher zu schreiben?
Für Kinderliteratur ist momentan tatsächlich die Herausforderung, dass man damit rechnen muss, dass das Lesen nicht mehr an oberster Stelle steht. Man muss die Kinder wirklich zum Lesen locken. Außerdem sind die Kinder in den Medien Zuhause und müssen dadurch täglich viel lesen, sei es ein Social Media Post oder eine WhatsApp-Nachricht. Wir alle sind zu müde zum Lesen, wenn wir den ganzen Tag am Computer gesessen und gelesen haben. Das muss berücksichtigt werden. Ich schreibe deshalb inzwischen keine sehr dicken Bücher mehr für Kinder und mache die Kapitel kürzer. Die Schnelllebigkeit der heutigen Welt ist eine Herausforderung und eine Veränderung, die sich seit zehn Jahren durch den ganzen Buchmarkt zieht.
Siehst du die Schnelllebigkeit der heutigen Welt, soziale Medien oder künstliche Intelligenzen als Gefahr für den Buchmarkt?
Ich kann noch nicht einschätzen, wohin das führt. In meinem Kollegenkreis erlebe ich, dass es bei den Illustratoren einen großen Aufschrei gibt, weil Aufträge wegbrechen, da manche Dienstleister und Verlage bereits auf KI zurückgreifen. Ich steige aber ehrlich gesagt noch zu wenig durch, um beurteilen zu können, ob ein komplettes Werk von einem Autor oder einer Autorin per KI eingelesen und dadurch ein Buch in seinem oder ihrem Stil geschrieben werden könnte. Im Moment gehe ich davon aus, dass das noch nicht geht. Ich kann wirklich nur hoffen, dass die eigene Stimme und der eigene Stil nicht so leicht zu kopieren sind.
Welche Ratschläge würdest du jungen Autor:innen geben, die ebenfalls in der Fantasy- oder Jugendliteratur schreiben möchten?
Ganz viel lesen! Vor allem, was wir als Märchen oder Sagen kennen, einfach damit man die Bildsprache als Repertoire und die Urbilder und Archetypen schon mal verinnerlicht hat. Dann ist es später leichter, eigene Ideen damit zu kombinieren und damit kreativ zu werden, statt das Rad neu zu erfinden und Wesen und Welten zu schaffen, die man einer Leserschaft erst einmal im Detail erklären müsste. Das kann nämlich schnell dazu führen, dass jemand das Buch zur Seite legt.
Du willst mehr? Du bekommst mehr!
Im Interview spricht Model und Autorin Marie Nasemann über Konsum, Nachhaltigkeit und ihre Erfahrungen in…
Diese fünf Frauen und ihre Werke stehen ihren männlichen Kollegen um nichts nach und bieten…
Mit der Umsetzung ihrer Bücher in Filme war Cornelia Funke nicht immer zufrieden. Mit der…
Kinderbuchautorin Tanya Stewner erzählt im Interview woher ihre Ideen kommen und warum Schreiben immer auch…