Ein Zimmer mit Klamotten, Bildern, einem Tisch und Pflanzen.
Interview

„Kompromisse sind unvermeidbar“ – Model und Autorin Marie Nasemann im Interview

In der vierten Staffel der Castingshow „Germanys next Topmodel“ belegte Marie Nasemann den dritten Platz. Damals spielte das Thema Nachhaltigkeit noch keine große Rolle in ihrem Leben. Mittlerweile hat sich das geändert. Mit ihrem Buch „Fairknallt“ will Marie Fast Fashion etwas entgegensetzen und zu einem ökologischeren Bewusstsein anregen. Wir haben sie dazu im Interview befragt.

Xenia Beitz, funky-Jugendreporterin

Ständig neue Klamotten zu immer günstigeren Preisen: Mit diesem Modell macht die Modeindustrie jedes Jahr Milliardenumsätze – häufig jedoch auf Kosten von Menschen und Umwelt. Kontinuierlich wachsende Müllberge aus alten Kleidern und die Ausbeutung von Arbeiterinnen und Arbeitern in Entwicklungsländern sind die Schattenseiten der sogenannten Fast Fashion. Seit Jahren fordern Aktivistinnen und Aktivisten daher nun schon mehr Nachhaltigkeit in der Modeindustrie. Marie Nasemann ist eine von ihnen.

Mit ihrem Buch „Fairknallt“ will die Schauspielerin und Bloggerin einen Ausweg anbieten und zeigen, wie jeder Einzelne seinen ökologischen Fußabdruck beim Thema Kleidung verkleinern kann. Als Model und Kandidatin bei der Castingshow „Germany’s Next Topmodel“ war Marie lange Zeit selbst ein Teil der Modewelt, deren negative Seiten sie selten hinterfragte. Heute will die 32-Jährige es besser machen und ihren Beitrag für mehr Nachhaltigkeit leisten. Im Interview spricht sie darüber, wie dieser Wandel zustande kam, was ihr als Model inzwischen wichtig ist und wie es zur Idee zu „Fairknallt“ kam.

2009 kamst du in der vierten Staffel der Casting-Show „Germany’s Next Topmodel“ auf den dritten Platz. Nun dreht sich bei dir alles um das Thema Nachhaltigkeit und Fair Fashion. Wie kam es dazu? 
2013 stürzte die Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch ein. Über 1100 Textilarbeiterinnen und Textilarbeiter kamen dabei ums Leben. Grund hierfür waren nicht zuletzt die überaus mangelhaften Arbeitsbedingungen, die die Betreiber in Kauf nahmen, um billigere Kleidung verkaufen zu können. In dieser Fabrik wurde Mode produziert, die es in jeder deutschen Innenstadt zu kaufen gibt. Als ich die schockierenden Bilder im Fernsehen sah, wusste ich: So wie bisher kann ich nicht weitermachen. Ständig Mode promoten und maßloses Shoppen ist keine Option mehr. 

Wann hast du dich das erste Mal mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigt? Gab es im Prozess deiner Veränderung einen Schlüsselmoment? 
2010 hatte ich ein absurdes Erlebnis in Athen. Ich wollte mir eine Markthalle ansehen und dort leckere Gewürze und Nüsse kaufen. Ich landete zufällig in einer ziemlich groben und blutigen Fleischergasse und verstand dort zum ersten Mal so richtig den Zusammenhang zwischen Fleisch und Tieren. Ich hörte daraufhin auf, Fleisch zu essen, und verstand, welchen negativen Einfluss unser Konsum tierischer Lebensmittel auf den Planeten hat. 

Ich muss nicht mehr jeden Trend mitmachen und wertschätze Mode für das, was sie ist: ein handwerkliches Kunstwerk.

Marie Nasemann

Wie kannst du es vertreten, die schnelllebige Modewelt weiterhin als Standbein zu haben? 
Ich habe nach wie vor eine große Leidenschaft für Mode, und Menschen werden sich immer schön anziehen wollen und ihre Persönlichkeit durch Mode transportieren wollen. Inzwischen hat sich mein Denken diesbezüglich aber etwas geändert: Ich muss nicht mehr jeden Trend mitmachen und wertschätze Mode für das, was sie ist: ein handwerkliches Kunstwerk. Ich freue mich darüber, heute das Privileg zu haben, nur mit Marken arbeiten zu dürfen, hinter denen ich voll und ganz stehen kann.

Du gehst neben dem Bloggen, Schauspielern und Schreiben weiterhin auch dem Beruf des Models nach. Worauf achtest du jetzt? Was hat sich im Vergleich zu früher verändert? 
Ich sehe mich eigentlich schon lange nicht mehr als klassisches Model, das Auslandsstationen abklappert und Modenschauen läuft. Natürlich stehe ich hin und wieder für Werbekampagnen oder Magazinshootings vor der Kamera. Aber ich arbeite nur mit Partnerinnen oder Partnern, die mir zusagen. Außerdem achte ich darauf, dass ich ordentlich Mitspracherecht habe, zum Beispiel bei der Auswahl der Fotografinnen und Fotografen oder der Mode, die ich trage. 

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Wie gestaltest du dein Leben derzeit? Wo setzt du deine Schwerpunkte? 
Aktuell bin ich total mit der Promo für mein Buch beschäftigt und probiere auch, meine dritte Schwangerschaft zu genießen. Filmprojekte wird es dann erst wieder ohne Babybauch geben. 

Dein bald erscheinendes Buch trägt den Titel: „Fairknallt: Mein grüner Kompromiss“. Muss man für eine nachhaltige Lebensweise Kompromisse eingehen? 
Ja, ich bin fest der Meinung, wir haben sowieso keine andere Wahl, als Kompromisse einzugehen. Denn unser ganzes Leben lang verbrauchen wir Ressourcen, es sei denn, wir leben als nackte Selbstversorgerinnen und Selbstversorger. Aber wer hat da schon Lust drauf? Kompromisse sind deshalb unvermeidbar. 

Marie Nasemann
Marie Nasemann möchte Menschen zu einem nachhaltigen Lebensstil anregen.
© Muriel Liebmann

In deinen Instagramstories hast du deinen Followerinnen und Followern einen Einblick in deinen Schreibprozess gegeben. Du bloggst ja schon länger, aber wann kam dir die Idee zu einem Buch? Und welche Hürden musstest du überwinden? 
Ein Buch zu schreiben steht, seit ich denken kann, auf meiner Bucket-List. Aber ich habe lange auf eine zündende Idee gewartet. Den zehnten Nachhaltigkeitsratgeber braucht kein Mensch. Ich wollte mich stattdessen lieber offen und ehrlich mit meiner Familiengeschichte beschäftigen und mir die Frage stellen: Wieso fällt mir jenes so leicht und solches so schwer?

Du sprichst auch darüber, wie und in welchem Umfeld du aufgewachsen bist. Welchen Stellenwert hatte dort nachhaltiges Leben für euch? Welche Werte hast du vermittelt bekommen?
Ich glaube, wenn man verstehen will, wieso man lebt, wie man lebt, ist es immer sinnvoll, einen Blick darauf zu werfen, wie man selber erzogen wurde und wie man aufgewachsen ist. Das Wort Nachhaltigkeit ist ja ein recht modernes. Ich habe von meiner Familie definitiv mitbekommen, sparsam zu sein. Und das ist natürlich auch nachhaltig. Andere Dinge, wie zum Beispiel eine fleischfreie Ernährung, haben in meiner Kindheit und Jugend keine Rolle gespielt. 

Ich möchte zum Nachdenken anregen und bewirken, dass Menschen sich selbst gegenüber ehrlich sind und sich nicht einen vermeintlich nachhaltigen Lebensstil vorgaukeln.

Marie Nasemann

In der Großstadt leben, modeln, Mutter sein, schauspielern, schreiben, Content für Social Media produzieren … Die Liste wird immer länger. Wie schaffst du das alles? 
Indem ich gelernt habe, auch abzugeben und mir ein Netzwerk an tollen Leuten aufzubauen, die mich unterstützen. Angefangen bei einem großartigen Partner, der sich die Sorgearbeit mit mir teilt bzw. sogar mehr macht als ich. Dann haben wir zusätzlich eine Nanny, die uns unterstützt. Eine Assistentin kümmert sich um Mails und Organisatorisches und mein großartiges Management und meine Schauspielagentin nehmen mir auch viel Arbeit ab. 

Was ist deine Motivation hinter „Fairknallt: Mein grüner Kompromiss“? Mit welchem Gefühl möchtest du die Menschen nach dem Lesen entlassen? 
Ich hoffe, ich kann sie durch meine Geschichte dazu bringen, eine Stellschraube in ihrem Leben hin zu mehr Nachhaltigkeit zu drehen. Ich möchte zum Nachdenken anregen und bewirken, dass Menschen sich selbst gegenüber ehrlich sind und sich nicht einen vermeintlich nachhaltigen Lebensstil vorgaukeln. Und natürlich soll mein Buch auch Spaß machen, die Leserinnen und Leser mitreißen und klarmachen, dass eben auch kleine Schritte einen großen Unterschied machen können.

Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.