Lisa Niendorf ist „Lehrkraft für besondere Aufgaben“ an der Humboldt-Universität zu Berlin. Hinter dieser mysteriös anmutenden Berufsbezeichnung versteckt sich ein Beruf mit großem Engagement für Lehramtsstudierende, die von Lisa während ihrer intensiven Praxisphasen begleitet werden. Nebenbei promoviert sie und klärt auf Instragram und Tiktok als @FrauForschung über ihren Alltag als Uni-Dozentin auf. Im Interview spricht sie darüber, warum immer mehr Lehramtsstudierende unter mentaler Erschöpfung leiden und wie das System durch strukturelle Veränderungen entlastet werden könnte.
Liebe Lisa, was hat dich dazu bewegt, auf deinem Instagram-Account deinen Alltag als Uni-Dozentin öffentlich zu machen? Lisa Niendorf: Drei Dinge: Ich war schon immer eine kleine Rampensau mit einem naiven Hang zur Weltverbesserung. Ich wollte Studierende erreichen. Und ich wollte schon immer das Bildungssystem verändern. Durch meine eigenen Seminare habe ich gemerkt, dass viele von ihnen Probleme mit dem wissenschaftlichen Arbeiten haben. Wie ist eine Hausarbeit aufgebaut? Wie zitiere ich richtig? Das fällt vielen Studierenden schwer. Auf Tiktok habe ich mich dann lange hinter „FrauForschung“ versteckt und vereinzelt Videos hochgeladen. Ich hatte schlicht Angst, mit meinem Klarnamen aufzutreten, da dies auch angreifbar macht. Nach einigen Therapiestunden habe ich mich schließlich getraut, als Lisa Niendorf aufzutreten, wenngleich die Sorge durchaus berechtigt war. Mittlerweile kann ich mit den Schattenseiten von Social Media gut umgehen, belastend sind sie dennoch. Seitdem habe ich viele Kurzvideos produziert, die das wissenschaftliche Arbeiten unterhaltsam und weniger trocken machen. Da zeige ich zum Beispiel, wie und warum man den Methodenteil einer wissenschaftlichen Arbeit mit einem Pokédex vergleichen kann. Im Laufe der Zeit hat dieser Anteil jedoch auf meinem Profil abgenommen und ich bin systemkritischer geworden. Aktuell mache ich viel zu den Themen Diversity, mentale Gesundheit, übe auch Kritik am Wissenschafts- und Hochschulsystem. Trotzdem versuche ich, die Studierendenperspektive nicht aus dem Blick zu verlieren.
Wie bereitet man Lehramtsstudierende richtig auf den Schulalltag vor? Welchen Herausforderungen müssen sie sich stellen? Wir haben eine immer größer werdende Heterogenität der Schülerinnen und Schüler. Das bedeutet, die Kinder haben nicht nur unterschiedliche Leistungsstände, sondern kommen auch aus unterschiedlichen Elternhäusern, die die Kinder unterschiedlich gut unterstützen (können). Viele Kinder haben zudem einen Einwanderungshintergrund oder Fluchterfahrung. Darauf müssen Lehrkräfte individuell reagieren, und das kostet viel Zeit, Kraft und Energie. Eine weitere Herausforderung ist die zunehmende Digitalisierung unserer Welt und eine politische Entwicklung, in der demokratische Prozesse immer wichtiger werden. Daher finde ich, dass man nicht aus den Augen verlieren sollte, mit welchen großen Herausforderungen Lehrkräfte täglich zu kämpfen haben, statt ihre Probleme herunterzuspielen. Lehrkräfte und Lehramtsstudierende brauchen Sichtbarkeit und Wertschätzung, kein Bashing. Um Studierende gut auf den Schulalltag vorzubereiten, braucht es meines Erachtens eine bessere Theorie-Praxis-Verzahnung im Studium. Hier gibt es aktuell viele Modellversuche und Ideen, wie zum Beispiel das duale Studium. Hier wird sich noch zeigen, ob die Studierenden dadurch besser didaktisch und pädagogisch ausgebildet werden. Aber wir können auch schon jetzt mehr Praxisbezug herstellen, in dem die Dozierenden im Lehramt verpflichtende Hospitationsstunden in Schulen absolvieren müssen. Das gilt natürlich auch für mich, und ich plane, das in der kommenden Zeit umzusetzen.
Welche Schwächen hat die Lehramtsausbildung in ihrer derzeitigen Form? Wir haben meines Erachtens zu viele Fachinhalte. Sind diese in einer solchen Detailliertheit notwendig? Müssen Lehramtsstudierende wirklich Vorlesungen mit den Mathematikerinnen und -mathematikern besuchen oder könnte man überlegen, die Inhalte gezielter auf die zukünftige Unterrichtspraxis anzupassen? Was mir persönlich besonders fehlt, sind verpflichtende Seminare zum Erlernen sogenannter Schlüsselkompetenzen, also zum Beispiel Seminare zum Umgang mit der eigenen mentalen Gesundheit und der Lehrkräftegesundheit im Allgemeinen. Lehrkräfte brauchen Strategien zum Umgang mit Stress und Überforderung im Berufsalltag. Wie gehe ich als Lehrkraft sensibel mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt der Schülerinnen und Schüler um? Wie gehe ich mit Schülerinnen und Schülern um, die mit mentalen Problemen zu kämpfen haben? Wie reagiere ich auf Mobbing? Alles, was über die reine Wissensvermittlung hinausgeht, scheint bislang zu kurz zu kommen.
Was ist aus wissenschaftlicher Sicht für ein zeitgemäßes Schulsystem essenziell? Noch immer ist eine starke Kopplung von sozialer Herkunft und Leistung zu beobachten. Wir haben weiterhin zu viele Schülerinnen und Schüler, die aufgrund ihres Elternhauses schlechter benotet werden, mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit aufs Gymnasium gehen, das Abitur machen oder studieren. Das zeitgemäße Schulsystem muss es schaffen, Chancen für die Schülerinnen und Schüler bereitzustellen und es zeitgleich zu ermöglichen, dass sie diese Chancen auch wahrnehmen können. Dafür muss Bildung politisch auf die Agenda. Ein anderer Punkt für mich ist der Umgang mit den sozialen Medien. Wie können Schüler und Schülerinnen lernen, Infos aus sozialen Medien kritisch zu hinterfragen und einzuordnen? Wie erkenne ich Fake News und populistische Aussagen, wie gehe ich damit um? Sich mit Inhalten reflektiert auseinandersetzen zu können, ist eine der wichtigsten Kompetenzen unserer Zeit.
Warum ist das Thema Mental Health im Schul- und Uni-Alltag deiner Meinung nach so lange tabuisiert worden bzw. wird es immer noch? Deutschland ist eine Leistungsgesellschaft. Hier gilt oft: Immer schneller, immer höher, immer weiter. Eine Angststörung passt da nicht ins Bild, das habe ich durch meine eigene Angststörung am eigenen Leib gespürt. Ich glaube, das liegt auch daran, dass wir es lange Zeit nicht geschafft haben, über Bedürfnisse und Gefühle zu sprechen. Stattdessen haben wir versucht, Emotionen so gut es geht aus der universitären Lehre herauszuhalten. Doch dass Emotion und Ratio nicht voneinander zu trennen sind, belegen die Neurowissenschaften schon seit Jahren. Aktuell wird das Thema ein Stück weit präsenter, da immer mehr Studien belegen, wie belastet nicht nur die Schülerinnen und Schüler sind, sondern auch die Studierenden. Auch kämpfen immer mehr Schülerinnen und Schüler mit psychischen Erkrankungen. Mit der stärkeren öffentlichen Wahrnehmung passiert jedoch langsam etwas: Wir gehen wertschätzender, mitfühlender und feinfühliger miteinander um. Das ist eine schöne Beobachtung. Allerdings hat vor allem die ältere Generation mit einem offeneren Umgang zu kämpfen, und das meine ich nicht als Vorwurf. Diese Generation ist in einer Zeit groß geworden, in der mentale Gesundheit oft tabuisiert und kaum thematisiert wurde. Das abzulegen kostet Zeit und Kraft.
Wie sieht die Schule von morgen aus? Die Schule von morgen hat Zeit. Schülerinnen und Schüler haben Zeit, sich auszutoben, sich auszuprobieren, und haben Räume, dies zu tun. Doch auch die Lehrkräfte haben Zeit, möglich gemacht durch ein neues Arbeitszeitmodell, in dem Elternarbeit, Verwaltungsarbeit oder die Vor- und Nachbereitung des Unterrichts als Arbeitszeit gelten. Die Lehrkräfte sitzen mitunter bis spätabends, weil sie noch Hausaufgaben kontrollieren oder Dokumente verwalten müssen. Es treffen zu viele Aufgaben auf zu wenig Zeit. Ein modernes Arbeitszeitmodell könnte dazu führen, dass mehr Zeit für das bleibt, was zählt: den Schülerinnen und Schülern die bestmögliche Bildung zu ermöglichen.
Lisa Niendorf ist „Lehrkraft für besondere Aufgaben“ an der Humboldt-Universität zu Berlin. Hinter dieser mysteriös anmutenden Berufsbezeichnung versteckt sich ein Beruf mit großem Engagement für Lehramtsstudierende, die von Lisa während ihrer intensiven Praxisphasen begleitet werden. Nebenbei promoviert sie und klärt auf Instragram und Tiktok als @FrauForschung über ihren Alltag als Uni-Dozentin auf. Im Interview spricht sie darüber, warum immer mehr Lehramtsstudierende unter mentaler Erschöpfung leiden und wie das System durch strukturelle Veränderungen entlastet werden könnte.
Liebe Lisa, was hat dich dazu bewegt, auf deinem Instagram-Account deinen Alltag als Uni-Dozentin öffentlich zu machen?
Lisa Niendorf: Drei Dinge: Ich war schon immer eine kleine Rampensau mit einem naiven Hang zur Weltverbesserung. Ich wollte Studierende erreichen. Und ich wollte schon immer das Bildungssystem verändern. Durch meine eigenen Seminare habe ich gemerkt, dass viele von ihnen Probleme mit dem wissenschaftlichen Arbeiten haben. Wie ist eine Hausarbeit aufgebaut? Wie zitiere ich richtig? Das fällt vielen Studierenden schwer. Auf Tiktok habe ich mich dann lange hinter „FrauForschung“ versteckt und vereinzelt Videos hochgeladen. Ich hatte schlicht Angst, mit meinem Klarnamen aufzutreten, da dies auch angreifbar macht. Nach einigen Therapiestunden habe ich mich schließlich getraut, als Lisa Niendorf aufzutreten, wenngleich die Sorge durchaus berechtigt war. Mittlerweile kann ich mit den Schattenseiten von Social Media gut umgehen, belastend sind sie dennoch. Seitdem habe ich viele Kurzvideos produziert, die das wissenschaftliche Arbeiten unterhaltsam und weniger trocken machen. Da zeige ich zum Beispiel, wie und warum man den Methodenteil einer wissenschaftlichen Arbeit mit einem Pokédex vergleichen kann. Im Laufe der Zeit hat dieser Anteil jedoch auf meinem Profil abgenommen und ich bin systemkritischer geworden. Aktuell mache ich viel zu den Themen Diversity, mentale Gesundheit, übe auch Kritik am Wissenschafts- und Hochschulsystem. Trotzdem versuche ich, die Studierendenperspektive nicht aus dem Blick zu verlieren.
Wie bereitet man Lehramtsstudierende richtig auf den Schulalltag vor? Welchen Herausforderungen müssen sie sich stellen?
Wir haben eine immer größer werdende Heterogenität der Schülerinnen und Schüler. Das bedeutet, die Kinder haben nicht nur unterschiedliche Leistungsstände, sondern kommen auch aus unterschiedlichen Elternhäusern, die die Kinder unterschiedlich gut unterstützen (können). Viele Kinder haben zudem einen Einwanderungshintergrund oder Fluchterfahrung. Darauf müssen Lehrkräfte individuell reagieren, und das kostet viel Zeit, Kraft und Energie. Eine weitere Herausforderung ist die zunehmende Digitalisierung unserer Welt und eine politische Entwicklung, in der demokratische Prozesse immer wichtiger werden. Daher finde ich, dass man nicht aus den Augen verlieren sollte, mit welchen großen Herausforderungen Lehrkräfte täglich zu kämpfen haben, statt ihre Probleme herunterzuspielen. Lehrkräfte und Lehramtsstudierende brauchen Sichtbarkeit und Wertschätzung, kein Bashing. Um Studierende gut auf den Schulalltag vorzubereiten, braucht es meines Erachtens eine bessere Theorie-Praxis-Verzahnung im Studium. Hier gibt es aktuell viele Modellversuche und Ideen, wie zum Beispiel das duale Studium. Hier wird sich noch zeigen, ob die Studierenden dadurch besser didaktisch und pädagogisch ausgebildet werden. Aber wir können auch schon jetzt mehr Praxisbezug herstellen, in dem die Dozierenden im Lehramt verpflichtende Hospitationsstunden in Schulen absolvieren müssen. Das gilt natürlich auch für mich, und ich plane, das in der kommenden Zeit umzusetzen.
Welche Schwächen hat die Lehramtsausbildung in ihrer derzeitigen Form?
Wir haben meines Erachtens zu viele Fachinhalte. Sind diese in einer solchen Detailliertheit notwendig? Müssen Lehramtsstudierende wirklich Vorlesungen mit den Mathematikerinnen und -mathematikern besuchen oder könnte man überlegen, die Inhalte gezielter auf die zukünftige Unterrichtspraxis anzupassen? Was mir persönlich besonders fehlt, sind verpflichtende Seminare zum Erlernen sogenannter Schlüsselkompetenzen, also zum Beispiel Seminare zum Umgang mit der eigenen mentalen Gesundheit und der Lehrkräftegesundheit im Allgemeinen. Lehrkräfte brauchen Strategien zum Umgang mit Stress und Überforderung im Berufsalltag. Wie gehe ich als Lehrkraft sensibel mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt der Schülerinnen und Schüler um? Wie gehe ich mit Schülerinnen und Schülern um, die mit mentalen Problemen zu kämpfen haben? Wie reagiere ich auf Mobbing? Alles, was über die reine Wissensvermittlung hinausgeht, scheint bislang zu kurz zu kommen.
Was ist aus wissenschaftlicher Sicht für ein zeitgemäßes Schulsystem essenziell?
Noch immer ist eine starke Kopplung von sozialer Herkunft und Leistung zu beobachten. Wir haben weiterhin zu viele Schülerinnen und Schüler, die aufgrund ihres Elternhauses schlechter benotet werden, mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit aufs Gymnasium gehen, das Abitur machen oder studieren. Das zeitgemäße Schulsystem muss es schaffen, Chancen für die Schülerinnen und Schüler bereitzustellen und es zeitgleich zu ermöglichen, dass sie diese Chancen auch wahrnehmen können. Dafür muss Bildung politisch auf die Agenda. Ein anderer Punkt für mich ist der Umgang mit den sozialen Medien. Wie können Schüler und Schülerinnen lernen, Infos aus sozialen Medien kritisch zu hinterfragen und einzuordnen? Wie erkenne ich Fake News und populistische Aussagen, wie gehe ich damit um? Sich mit Inhalten reflektiert auseinandersetzen zu können, ist eine der wichtigsten Kompetenzen unserer Zeit.
Warum ist das Thema Mental Health im Schul- und Uni-Alltag deiner Meinung nach so lange tabuisiert worden bzw. wird es immer noch?
Deutschland ist eine Leistungsgesellschaft. Hier gilt oft: Immer schneller, immer höher, immer weiter. Eine Angststörung passt da nicht ins Bild, das habe ich durch meine eigene Angststörung am eigenen Leib gespürt. Ich glaube, das liegt auch daran, dass wir es lange Zeit nicht geschafft haben, über Bedürfnisse und Gefühle zu sprechen. Stattdessen haben wir versucht, Emotionen so gut es geht aus der universitären Lehre herauszuhalten. Doch dass Emotion und Ratio nicht voneinander zu trennen sind, belegen die Neurowissenschaften schon seit Jahren. Aktuell wird das Thema ein Stück weit präsenter, da immer mehr Studien belegen, wie belastet nicht nur die Schülerinnen und Schüler sind, sondern auch die Studierenden. Auch kämpfen immer mehr Schülerinnen und Schüler mit psychischen Erkrankungen. Mit der stärkeren öffentlichen Wahrnehmung passiert jedoch langsam etwas: Wir gehen wertschätzender, mitfühlender und feinfühliger miteinander um. Das ist eine schöne Beobachtung. Allerdings hat vor allem die ältere Generation mit einem offeneren Umgang zu kämpfen, und das meine ich nicht als Vorwurf. Diese Generation ist in einer Zeit groß geworden, in der mentale Gesundheit oft tabuisiert und kaum thematisiert wurde. Das abzulegen kostet Zeit und Kraft.
Wie sieht die Schule von morgen aus?
Die Schule von morgen hat Zeit. Schülerinnen und Schüler haben Zeit, sich auszutoben, sich auszuprobieren, und haben Räume, dies zu tun. Doch auch die Lehrkräfte haben Zeit, möglich gemacht durch ein neues Arbeitszeitmodell, in dem Elternarbeit, Verwaltungsarbeit oder die Vor- und Nachbereitung des Unterrichts als Arbeitszeit gelten. Die Lehrkräfte sitzen mitunter bis spätabends, weil sie noch Hausaufgaben kontrollieren oder Dokumente verwalten müssen. Es treffen zu viele Aufgaben auf zu wenig Zeit. Ein modernes Arbeitszeitmodell könnte dazu führen, dass mehr Zeit für das bleibt, was zählt: den Schülerinnen und Schülern die bestmögliche Bildung zu ermöglichen.
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