Von wegen alte Schinken: 5 niedrigschwellige Bücher von Nobelpreis-Träger:innen

Eine Frau sitzt in einem Sessel und liest, links und rechts neben ihr stehen Bücherregale.
Beim Wort „Literatur-Nobelpreis“ denkst du an verstaubte Lektüre? Dann wirf einen Blick in unsere Liste.
Jan-Malte Wortmann, funky-Jugendreporter

Es ist die wohl prestigeträchtigste Auszeichnung, mit der Schriftsteller:innen geehrt werden können: der Nobelpreis für Literatur, der im Oktober zum 121. Mal verliehen wurde. Diesjährige Preisträgerin ist die Südkoreanerin Han Kang, deren Romane wie „Die Vegetarierin“ oder „Menschenwerk“ vom schwedischen Nobelkomitee dafür ausgezeichnet wurden, dass sie sich „historischen Traumata stellen und die Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens aufzeigen“. 

Der Nobelpreis für Literatur wird in der Regel nicht für einzelne Bücher, sondern für das Gesamtwerk der Autor:innen vergeben. Dabei spielt häufig auch das gesellschaftliche Engagement der Literaturschaffenden eine Rolle. Wiederholt stand der Preis in der Kritik, zum Beispiel dafür, dass Preisträger:innen jahrzehntelang in erster Linie aus Nordamerika und Mitteleuropa stammten. Vor allem ist aber auffällig, dass unter den 121 bisher ausgezeichneten Autor:innen lediglich 18 Frauen sind. 

Beim Wort „Literatur-Nobelpreis“ allerdings nur an schwere Kost à la Thomas Mann, Hemingway oder Sartre zu denken, griffe zu kurz. Denn unter diesem Label verbergen sich nicht bloß alte Schinken und sperrige Sprache. Darum folgt hier eine Liste – selbstredend sehr subjektiv und ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit – mit fünf großartigen Büchern von Nobelpreisträger:innen, für die es weder einen Abschluss in Germanistik noch übermäßiges Sitzfleisch braucht.

Annie Ernaux – „Der junge Mann“

Die französische Schriftstellerin Annie Ernaux ist eine noch relativ frische Preisträgerin, sie erhielt den Literatur-Nobelpreis im Jahr 2022. Ihre autobiografisch geprägten Werke sind eine Betrachtung ihrer Generation und des Lebens als Frau in der französischen Gesellschaft. Auch diese kurze Novelle, in der sie eine Affäre mit einem 30 Jahre jüngeren Studenten beschreibt, ist in erster Linie eine Beschreibung der gesellschaftlichen Resonanz: Unverständnis, verachtende Blicke, Scham. Darüber stellt Annie Ernaux die Frage, ob Männern die gleiche Reaktion begegnen würde – reflektiert aber auch ihre eigenen Beweggründe für diese Affäre, die ihr schmerzlich den Verlust der eigenen Jugend aufzeigt. 

„Der junge Mann“ liest sich an einem Nachmittag und ist dadurch der perfekte Einstieg in das Oeuvre von Ernaux. Anschließend empfiehlt sich ein Blick in ihr wohl berühmtestes Werk, ihre emanzipatorische Anti-Autobiografie „Die Jahre“ von 2008. 

Kazuo Ishiguro – „Alles, was wir geben mussten“

South Essex, England, in einer nicht näher definierten Zukunft: Kathy, Tommy und Ruth wachsen in einem von der Außenwelt abgeschnittenen, scheinbar behüteten Internat auf und haben die gleichen Träume, Zweifel und Probleme wie ganz normale Teenager. Doch schnell schleicht sich bei den Leser:innen das Gefühl ein: Irgendetwas stimmt hier nicht. Warum heißen die Lehrer:innen hier „Aufseher“? Und warum werden die jungen Menschen über ihre Zukunft im Dunkeln gelassen? 

„Never Let Me Go”, so der Originaltitel des Romans, ist eine todtraurige, erschreckende und zutiefst philosophische Geschichte. Je weniger man im Vorfeld über Ishiguros düstere Zukunftsvision weiß, desto besser. Denn diese Dystopie entfaltet sich langsam, in all ihren verstörenden Details, während einem die Protagonist:innen unweigerlich ans Herz wachsen – was ihr Los nur noch trauriger macht. 

Albert Camus – „Der Fremde“ 

Der französische Philosoph und Schriftsteller Albert Camus ist vor allem als Begründer des Absurdismus bekannt, einer Richtung der Existenzphilosophie, die er in dem Essay „Der Mythos des Sisyphos“ und mit diesem legendären Roman beschrieb. „Der Fremde“ ist die Geschichte des introvertierten Antihelden Meursault, der an einem heißen Sommertag unverhofft zum Mörder wird – was ihn jedoch gänzlich kalt zu lassen scheint. Die Ungerührtheit von Meursault, die sich in Camus‘ nüchterner Sprache widerspiegelt, und die sukzessive eskalierende Handlung machen den Sog dieses Werkes aus. 

Das Absurde an der menschlichen Existenz ist für Camus das Fehlen eines Sinnes des Lebens, obwohl der Mensch unbedingt einen solchen finden will – oder in seinen eigenen Worten: „Das Absurde entsteht aus dem Zusammenstoß zwischen dem Ruf des Menschen und dem vernunftlosen Schweigen der Welt.“. Ein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken, ist dies für Camus jedoch keineswegs. Diese Philosophie ist es, die die Faszination und die Tiefe von „Der Fremde“ ausmachen. 

Heinrich Böll – „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ 

„Die verlorene Ehre der Katharina Blum oder: Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann“ ist eine Medienfarce, eine Abrechnung mit der Boulevardpresse und somit gleichermaßen ein Zeitdokument wie erschreckend aktuell. In Heinrich Bölls Erzählung wird eine junge Frau zum Opfer sensationsgieriger Journalisten, nachdem ihre Freundschaft zu einem Straftäter öffentlich wird – bis die Spirale aus Verleumdungen und Bloßstellungen in einem Gewaltakt eskaliert. 

Das destruktiv und in hohem Maße unethisch handelnde Blatt wird von Böll bloß „die ZEITUNG“ genannt, doch dass hiermit eine gewisse deutsche Tageszeitung mit besonders großen Buchstaben auf dem Titelblatt gemeint ist, versteht sich von selbst. Die pointierte Schilderung ihrer journalistischen Praktiken ist höchst amüsant, aber bedenkt man, dass sich 50 Jahre später an ihnen kaum etwas geändert hat, kann einem das Lachen schnell vergehen. 

Han Kang – „Menschenwerk“ 

Auch die jüngste Preisträgerin darf in dieser Liste nicht fehlen. Ihr Roman „Menschenwerk“ ist die Aufarbeitung eines dunklen Kapitels aus der jüngeren koreanischen Geschichte: der gewaltsamen Niederschlagung der Studierendenproteste in Han Kangs Heimatstadt Gwangju im Jahr 1980. Diesem Massaker durch die damalige Militärregierung fielen schätzungsweise bis zu 2000 Menschen zum Opfer. Mit dieser im Westen wenig bekannten Tragödie setzt sich beispielsweise auch der großartige Film „A Taxi Driver“ von Jang Hoon auseinander.

Ausgehend vom Schicksal des 15-jährigen Dong Ho, einer realen Figur aus ihrer Kindheit, berichtet Han Kang in sinnlichen und präzisen Sätzen sowie poetischen Bildern von den Schrecken dieses Ereignisses und den Schuldgefühlen der Überlebenden. So formuliert sie einen stillen Appell an die Menschlichkeit und gegen jede Form von Gewalt.

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Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.