Meinung

Rezension: „Ellbogen“

Still aus dem Film „Ellbogen“: Drei junge Frauen sitzen auf einer Mauer und rauchen.
Nichts los hier: Der Alltag von Hazal, Gül und Ebru ist geprägt von Frust und Tristesse.
Jan-Malte Wortmann, funky-Jugendreporter

Hazal ist 17 Jahre alt, lebt in Berlin-Wedding und hat ihr frustrierendes Leben satt: die erfolglose Suche nach einem Ausbildungsplatz, die monotone Arbeit in der Bäckerei ihrer Mutter, die ständigen Geldsorgen sowieso. Die Hoffnung, es einmal weiter als ihre dauerstreitenden Eltern zu bringen, ist längst der Ernüchterung gewichen – und der Wut. An ihrem 18. Geburtstag will sie mit ihren besten Freundinnen feiern gehen und wenigstens für eine Nacht die ganze Tristesse vergessen. Da kommt es in einer U-Bahn-Station zu einem folgenschweren Zwischenfall und Hazal muss fliehen. Kurz entschlossen fliegt sie nach Istanbul, wo sie noch nie zuvor war – und wo sie nur einen einzigen Menschen kennt.

„Ellbogen“ ist ein Film von Asli Özarslan nach dem gleichnamigen Roman von Fatma Aydemir. Er zeichnet das Porträt einer jungen migrantischen Frau, die noch vor ihrer Volljährigkeit vom Leben abgehängt wurde. Wie so viele in Deutschland, die in Armut, im falschen Viertel oder einfach mit dem falschen Nachnamen geboren wurden. Dabei ist Hazal eine durchaus ambivalente Figur, die nicht immer moralisch handelt oder spricht, doch ihre Wut bleibt nachvollziehbar. Wie soll sie bei all den Widerständen und Vorurteilen, die ihr entgegenschlagen, freundlich-optimistisch bleiben? Hauptdarstellerin Melia Kara füllt die Widersprüche ihrer Rolle, die gleichsam tough und verunsichert ist, hervorragend aus und trägt den Film mit ihrer Präsenz.

Wenn im deutschen Kino migrantische Jugendliche die Hauptrollen spielen, wird eine solche Perspektive nur selten gezeigt: Der Film spielt nicht im männerdominierten, kriminellen Milieu à la „4 Blocks“, sondern gibt einen Einblick in das Leben junger Frauen zwischen Alltagsrassismus, Jobcenter, familiärem Druck und mangelnden Perspektiven. Dieser Blickwinkel ist vor allem die Stärke der ersten Hälfte des Films, die sehr eindringlich und authentisch den Berliner Alltag der Teenager zeigt.

Bei aller gesellschaftlichen Relevanz kommt „Ellbogen“, besonders im Vergleich zur großartigen Romanvorlage, jedoch nicht ohne filmische Schwächen aus. Wo das Buch mit gesellschaftlichem oder politischem Kontext unterfüttert ist, hat der Film es ziemlich eilig, die Story von Hazal voranzubringen. In gerade einmal 86 Minuten nimmt er sich zu wenig Zeit, der Vielzahl an Charakteren Tiefe zu verleihen und kann viele Themen, beispielsweise die Situation der Kurd:innen in der Türkei, nur anschneiden. Auch die Derbheit und Härte des Romans in Sprache und Gewalt ist nur in Ansätzen vorhanden, hier hätte der Film gerne noch weiter gehen können.

Einen Kinobesuch ist „Ellbogen“ dennoch allemal wert. Besonders die erste Hälfte besticht durch einen frischen und authentischen Einblick in eine Community, die so nur selten Gehör findet. Die Jugendlichen im Film wollen nicht mehr als alle anderen auch – und werden dennoch kaum eine Chance im Leben erhalten. Das ist die Realität, die sie längst internalisiert haben und die der Film empathisch, aber schonungslos inszeniert. Er bietet die Möglichkeit, einen Schritt heraus aus der eigenen heilen Welt zu wagen. Das macht „Ellbogen“, während populistische Debatten über Migration immer lauter und menschenverachtender werden, so relevant und so gegenwärtig.

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