Interview

„Antimuslimischer Rassismus ist ein Problem der Gesellschaft und nicht nur eins der Betroffenen“

Antimuslismischer Rassismus ist in Deutschland allgegenwärtig: Was es braucht, sind Bildungsarbeit und Solidarität.
Antimuslismischer Rassismus ist in Deutschland allgegenwärtig: Was es braucht, sind Bildungsarbeit und Solidarität.
Rita Rjabow, funky-Jugendreporterin

Rassismus ist leider allgegenwärtig und seine Auswirkungen extrem gefährlich. Umso erschreckender ist, dass die Hälfte der deutschen Bevölkerung den Islam nach dem Religionsmonitor der Bertelsmannstiftung als bedrohlich empfindet. Das Projekt „open mind – Transnational und communityübergreifend gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit“ konzentriert sich auf antimuslimische Rassismusarbeit. Im Interview spricht die pädagogische Mitarbeiterin Sophie Bärtlein (27 J.) darüber, was Empowerment bedeutet und welche Ziele das Projekt verfolgt.

© La Red e.V.

Liebe Sophie, wofür steht euer Projekt und welche Ziele verfolgt ihr?
Wir sind das Modellprojekt „open mind – Transnational und communityübergreifend gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit“. Seit 2020 wird „open mind“  im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert und seit September 2021 durch die Beauftragte des Senats für Integration und Migration mitfinanziert. „open mind“ ist Teil des Vereins La Red e.V. und der Begriff „transnational“ bedeutet für uns länderübergreifend, denn antimuslimischer Rassismus hört nicht an Landesgrenzen auf. Als Projekt sind wir zudem communityübegreifend, wir arbeiten mit anderen Organisationen zusammen und bieten Sensibilisierungs- und Empowerment-Workshops sowie Austauschformate an.

„Diskriminierung und Rassismus sind ein Gesellschaftsproblem. Es ist nicht nur ein Problem der Betroffenen.“

Was ist antimuslimischer Rassismus?
„Islam- und Muslimfeindlichkeit“ ist der Begriff, den wir vor allem in unserer Arbeit mit Jugendlichen verwenden. Antimuslimischer Rassismus ist jedoch der Begriff, der das Phänomen in seiner gesamten Komplexität und in seinem Ausmaß umfasst. Antimuslimischer Rassismus beschreibt einen Rassismus gegenüber Menschen, die Muslim:innen sind oder als muslimisch gelesen werden, das bedeutet: als solche wahrgenommen werden. Ihnen werden bestimmte Stereotype über ihre Lebensweise oder Verhalten zugeschrieben, häufig aufgrund bestimmter äußerer Merkmale, wie zum Beispiel schwarzen Haare oder einem langen Bart. Ein Beispiel für eine solche Zuschreibung sind Jüd:innen oder Christ:innen aus dem Libanon oder aus der Türkei – sie erleben ähnliche oder gleiche Vorurteile, Rassismen und Stereotypisierung wie Menschen mit muslimischem Glauben. Sie werden also als Muslim:innen gelesen.

Was sind Beispiele für antimuslimischen Rassismus in Deutschland?
Antimuslimischer Rassismus ist in Deutschland sowie in anderen Ländern präsent. Die Wahrnehmungen des Islams in Deutschland ist jedoch erschreckend, wie es zum Beispiel der Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung und andere Studien deutlich machen. So stimmt laut Leipziger Autoritarismus Studie fast jede zweite Person der folgenden Aussage zu: „Durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land”.

„Erfahrungen mit antimuslimischem Rassismus erleben auch Jüngere bereits im Schulkontext, wenn sie in der Schule anders behandelt werden oder für ein gleiches Ergebnis schlechter bewertet werden.“

Antimuslimischer Rassismus existiert außerdem auf unterschiedlichen Ebenen. Auf der strukturellen Ebene begegnet er Betroffenen zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt und bei der Wohnungssuche. Erfahrungen mit anti-muslimischem Rassismus erleben auch Jüngere bereits im Schulkontext, wenn sie in der Schule anders behandelt werden oder für ein gleiches Ergebnis schlechter bewertet werden. Im Unterricht werden muslimischen Kindern und Jugendlichen häufig Fragen wie „Wie ist das denn bei euch?“ gestellt. Solche Fragen, gestellt von Lehrpersonen, setzen die Schüler:innen unter Druck und betonen hauptsächlich den Unterschied und die Andersartigkeit der Kulturen und Religionen. Auf der individuellen Ebene ist antimuslimischer Rassismus für die meisten im Alltag spürbar – auf der Straße, im Bus oder auch beim Einkaufen im Supermarkt. Immer wieder kommt es zu Ausschreitungen oder auch zu rassistischen Aussagen, die wiederum oft schwer nachzuweisen sind.

Was ist das Ziel des Modellprojekts?
Bei „open mind“ testen wir verschiedene Methoden und Formate, um herauszufinden, was bei der Arbeit gegen antimuslimischen Rassismus funktioniert und welche Ansätze bei bestimmten Zielgruppen erfolgreich sind. Als politisches Bildungsprojekt ist es unser Ziel, die gesellschaftliche Teilhabe von jungen Erwachsenen aller Bevölkerungsgruppen zu fördern und sie für Islam- und Muslimfeindlichkeit zu sensibilisieren. Insbesondere 17- bis 28-Jährige gehören zu unserer Zielgruppe. Unser Projekt legt außerdem Wert darauf, sich mit dem Thema Intersektionalität auseinanderzusetzen. Das bedeutet in unserer Arbeit, dass jemand antimuslimischen Rassismus erleben kann und zusätzlich dazu noch auf anderen Ebenen diskriminiert werden kann, zum Beispiel wegen des Alters. Diese Person wird dann mehrfach diskriminiert.

Welche Ideen habt ihr für künftige Projekte? Stehen Veranstaltungen an?
Die Überschneidung von Gender und antimuslimischem Rassismus ist ein Thema, das im letzten Jahr auf besonders großes Interesse gestoßen ist. 2022 hatten wir zum Beispiel Veranstaltungen zu den Themen: Männlichkeit und antimuslimischer Rassismus, Intersektionaler Feminismus oder auch zu den Lebensrealitäten von queeren Muslim:innen.

Wir bieten immer wieder Workshops, Seminare oder Gesprächsrunden an, beispielsweise „Resilienz im Arbeitsumfeld stärken: Rassismus- und Diskriminierungserfahrungen verstehen und bewältigen“. Wer sich dafür interessiert, findet alle Hinweise und Informationen zu Veranstaltungen auf Instagram unter @openmind_projekt. Alle Termine der Veranstaltungen von La Red e.V. sind auch auf der Webseite zu finden.

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