Meinung

Umzingelt von betrunkenen Abiturienten

Party in einem Club.
Mit der sogenannten Club-Karte erhalten die Jugendlichen und jungen Erwachsenen in den Clubs unter anderem alkoholische Getränke.

Wie wird man eigentlich Abireiseleiterin oder -leiter? Und was bedeutet dieser Ferienjob wirklich? Ein Erfahrungsbericht.

Anton Hartmann, funky-Jugendreporter

Nach dem Abschluss mit dem Jahrgang ein letztes Mal gemeinsam feiern – das versprechen Abitur-Reisen auf ihren Webseiten. Dort findet man auch Stellenangebote für die nächste Partysaison: „Da arbeiten, wo andere Urlaub machen“ heißt es dann in den Ausschreibungen. Schließlich braucht es auch Menschen, die die Reisen begleiten und die Gäste „im Griff“ haben. Also habe ich mich beworben.

Nach einer formlosen Bewerbung per Online-Formular wurde ich zu einem Präsenz-Seminar eingeladen. In diesem Intensivseminar, dass für alle Eingeladenen kostenlos ist, wird man an einem Wochenende auf seinen Einsatz im Sommer vorbereitet. Immer wurde ich darauf hingewiesen, dass das Seminar einen Sichtungscharakter hat, das heißt, dass sich die drei Seminarleitenden währenddessen bereits anschauen, ob man das Zeug zum Teamer oder zur Teamerin hat und folglich in eine der Party-Hochburgen wie Lloret de Mar oder Novalija mitkommen darf. Sowohl in großer Runde mit rund 30 Personen als auch in Kleingruppen wird einem beigebracht, wie man mit den Gästen umzugehen hat. Seminarinhalte sind zum Beispiel der Umgang mit Beschwerden, die Schulung über den Verkauf von weiteren Extras wie Clubkarten oder Ausflügen, aber auch Möglichkeiten, die Gäste durch Workshops bei Laune zu halten.

Es ist oft ein schmaler Grat zwischen der Autorität, die man sich vor seinen Gästen bewahren muss, und dem netten Kumpel, der zusammen mit der Klasse feiern geht.

In kleineren Runden spielen wir dann mögliche Szenarien in Rollenspielen durch. In einem dieser Szenarien kommt die Teamerin, die sich eigentlich um die Gäste kümmern soll, sturzbetrunken und von den Gästen gestützt zurück in das Hotel, um sie weiter abzufüllen. Beobachtet wird, ob man es schafft, als Kollege dieser Person einzugreifen. Ein anderes Szenario beispielsweise ist eine chaotische Klassengruppe, die bei den Anweisungen des Teamers ständig dazwischen quatscht und fordert den Teamer dazu heraus, sich durchzusetzen. Was ich aus diesen Rollenspielen gelernt habe: Es ist oft ein schmaler Grat zwischen der Autorität, die man sich vor seinen Gästen bewahren muss, und dem netten Kumpel, der zusammen mit der Klasse feiern geht.

Es heißt immer, dass das Ziel sei, den Gästen einen schönen Urlaub zu bieten und mit den frisch gebackenen Abiturientinnen und Abiturienten eine unvergessliche gemeinsame Zeit zu verbringen. Die Information, dass es sich bei dem Veranstalter selbstverständlich um ein profitorientiertes Unternehmen handelt, wird im Seminar jedoch nicht hervorgehoben und auch das nicht vorhandene Gehalt kommt nicht ein einziges Mal in den drei Tagen zur Sprache. Online kann man dann nachlesen, dass man lediglich eine schmale Aufwandsentschädigung von 100 Euro pro Arbeitswoche bekommt. Und das bei einem Unternehmen, das Umsätze in Millionenhöhe macht, wie man im Unternehmensregister einsehen kann.

Der „Partytest“

Wie es losging, ging es auch weiter. Nachdem ich am Freitagnachmittag stundenlang mit Bus und Bahn angereist bin, schon ein paar Stunden Unterricht und Rollenspiele hinter mir hatte und mich eigentlich nur nach Schlaf sehnte, wurde ich noch einmal an meine Grenzen getrieben: „Ach, morgen ist ja schon euer letzter Tag!“, hieß es ironischerweise, als hätte niemand das vorhersehen können. Was von uns verlangt wird: Eine dreißigminütige Abschlussshow aufzuführen, wie sie auch im Sommer die Gäste zu sehen bekommen sollen. Und zwar gegen Mitternacht und nach dem eigentlichen Seminar-Programm, da am nächsten Tag um 8.30 Uhr das reguläre Programm weitergeht. Die Begeisterung hält sich in Grenzen. Nach circa einer Stunde Planung und Aufgabenverteilung stürmen die Seminarleitenden, die selbst noch nicht älter als Mitte zwanzig sind, verkleidet, mit Musikbox unterm Arm und Ballermann-Musik in die konzentrierte Menschenmenge der angehenden Teamerinnen und Teamer. Von der Partystimmung verwundert und doch zugleich angesteckt, folgt die Gruppe den Partystiftern in den bereits geschmückten Saal mit Beerpong-Tischen und bereitstehenden Drinks. Bis kurz nach 2 Uhr wird gefeiert, die Initiatoren sind inzwischen verschwunden. Die ganze Überraschungs-Aktion soll wahrscheinlich ein Test sein, der überprüft, wie partyaffin und spontan man wirklich ist.

Die Reiseunternehmen sind sich dem Problem des übermäßigen Konsums von Alkohol bewusst.

Natürlich spielt Alkohol in den Party-Locations eine große Rolle. Obwohl der Satz „Ihr werdet mit euren Gästen anstoßen müssen“ in rauen Mengen fällt, gibt es auch alkoholfreie Drinks, die auf der spontanen Überraschungsparty bereitstehen. Die Realität sieht anders aus. Ich selbst kann mich an meine Abiturreise vom selben Veranstalter erinnern. Wer keinen Alkohol trinkt, kann sich natürlich an den Strand setzen. Aber dann eine Fahrt zu einer solchen Party-Location zu machen, lohnt sich dann eigentlich nicht mehr. Dann kann man es sich auch gleich an einem ruhigeren Urlaubsort gut gehen lassen.  

Gut vorbereitet sieht anders aus

Mit der Club-Karte, die wir Seminarteilnehmenden später verkaufen sollen, sollen die Abiturienten (alkoholhaltige) Freigetränke in den Clubs bekommen. Es kann überfordernd sein mit betrunkenen Jugendlichen richtig umzugehen, gerade für jemanden, der keinen Alkohol trinkt. Auch unter unseren Seminarteilnehmenden gibt es einige, die keinen Alkohol trinken. Die Reiseunternehmen sind sich dem Problem des übermäßigen Konsums von Alkohol bewusst und bilden parallel zum Seminar sogenannte Nightguards aus, die ein Auge auf die Gäste haben sollen, die es nicht mehr allein zurück ins Hotel schaffen. Ob die Teamerinnen, Teamer und Nightguards jedoch wirklich nach wenigen Tagen ausreichend geschult sind, um in brenzligen Situationen die Nerven zu behalten? Ich bezweifle es.

Am Sonntagnachmittag werden Feedbackgespräche mit allen Seminarteilnehmenden geführt, in denen man erfährt, ob man das Zeug zum Teamer oder zur Teamerin hat. In dieser Gruppenkonstellation haben es schätzungsweise drei Viertel geschafft, sich zu qualifizieren. Zusätzlich zum erfolgreichen Absolvieren des Seminars benötigt man ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis und einen Erste-Hilfe-Schein mit neun Einheiten.

Mein Fazit: Sich wochen-, wenn nicht sogar monatelang mit betrunkenen Teenagern ohne richtige Entlohnung herumzuschlagen – das muss man mögen. Ob introvertierten Studentinnen und Studenten, die sich einfach mal anmelden, bewusst ist, auf welchen Knochenjob sie sich da einlassen, ist fraglich. Man bedenke die Kriminalität in Lloret de Mar bei Nacht und die Verantwortung für teilweise minderjährige Gäste, die auf einem lastet. Auf die Frage „Was ist, wenn jemand stirbt?“ antwortet die Seminarleitung nur, dass es in dem Fall Notfallnummern gebe und es zudem lange her sei, dass sich etwas Schlimmes zugetragen hat. Wer genau die Verantwortung trägt, bleibt trotzdem ungeklärt.

Um es auf den Punkt zu bringen: Das ganze Business-Konzept beruht darauf, dass sich Jugendliche ohne richtige Aufsicht bis zum Umkippen betrinken können – das ist sehr gefährlich. Noch nicht Volljährige bekommen zwar ein Bändchen um den Unterarm, das den Teamerinnen und Teamern sowie den Hotelmitarbeitenden zeigen soll, wenn jemand minderjährig ist. In der Praxis besorgen ihre volljährigen Freunde ihnen die Drinks. Wie gefährlich das ist, besonders für Jugendliche, die das erste Mal auf eigene Faust unterwegs sind, ist klar. Ich jedenfalls habe mich nach diesem Seminar gegen diese Art der Geldbeschaffung entschieden. Der Stress ist es mir für 100 Euro einfach nicht wert.

funky-instagram-banner

Du willst mehr? Du bekommst mehr!

Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.