Interview

Paulus Goerden: „Kunst ist die Sichtweise“

Paulus Goerden.
Kunststudent Paulus Goerden kam auf Umwegen zur Kunst und teilt heute seine Eindrücke und Alltagsinstallationen auf Instagram.
Anna Abraham, funky-Jugendreporterin

Mit seiner sanften Stimme ist Paulus Goerden von der Kunstakademie Düsseldorf auf vielen Bildschirmen präsent. In seinen Instagram-Reels entdeckt er die Kunst auf der Straße. Kurz und knapp erklärt er darin, was ihn an Fahrradschlössern vor einer Grundschule oder an Badewannen auf der Straße berührt. Dafür hat der 23-Jährige auch einen eigenen Begriff gefunden: Alltagsinstallationen. Im Interview erzählt er, was es damit auf sich hat und welchen gesellschaftlichen Stellenwert Kunst einnimmt.

Alltagsinstallation © Paulus Goerden

Wenn du durch die Straßen läufst, woran erkennst du Alltagsinstallationen?
Die Alltagsinstallationen sind eine Sichtweise, die ich Leuten mitgeben möchte. Manchmal bleibe ich im Alltag vor Objekten stehen, wenn mich ihre Atmosphäre interessiert. Dann schaue ich, ob man die Geschichten weitererzählen kann. Meistens interessieren mich Objekte, die in einem Zusammenhang für etwas stehen.

Erinnerst du dich noch an das erste Mal, als du eine Alltagsinstallation gesehen hast?
Kunst ist eher die Perspektive und weniger die Objekte für sich. Ich kann mich erinnern, dass einmal Badewannen auf der Straße standen. Das hat mich nachdenken lassen, weil das so ungewöhnlich war, diese Badewannen, die eigentlich in einen privaten Raum gehören, öffentlich auf der Straße zu sehen. Mit meinen Videos möchte ich auslösen, dass jede und jeder diese Sichtweise übernehmen kann. Vielleicht gehen danach Leute anders durch ihren Alltag.

Wie sieht dein Alltag aus?
Nach dem Interview jetzt fahre ich zur Akademie in mein Atelier. Dort mache ich weiter an meiner Rahmenserie. Nebenbei arbeite ich als Model: Später habe ich zum Beispiel noch ein Fitting. So teilen sich meine Tage auf. Auf den Wegen von A nach B probiere ich, alles bewusst wahrzunehmen und vielleicht Reels zu produzieren. Meistens schneide ich nachmittags oder abends die Videos zusammen.

Wie bist du zur Kunst gekommen?
Nach dem Abitur 2019 war ich erstmal für den Studiengang Bauingenieurwesen eingeschrieben. Da hatte ich die Idee, dass es schön wäre, sich mit dem Raum an sich auseinanderzusetzen und weniger mit dem Ingenieurwesen. Mit dem Gedanken, Architektur zu studieren, habe ich dann ein Praktikum gemacht und bin dann nach Österreich für ein Studium, das Raum und Designstrategien verbunden hat. Aber das war mir immer noch nicht frei genug, ich wollte meinen eigenen Projekten nachgehen. Also habe ich mich an der Kunstakademie Düsseldorf beworben.

Viele Leute können sich nicht vorstellen, was es beudete, Kunst zu studieren oder was ein Kunstwerk überhaupt ist. Da fehlt eine gewisse Vermittlung auf Plattformen wie Instagram.

Woher kam dann die Idee für den Instagram-Kanal?
Ursprünglich wollte ich Leuten einfach meine Kunst zeigen und erklären, was ich da geschaffen habe. Viele Leute können sich nicht vorstellen, was es bedeutet, Kunst zu studieren oder was ein Kunstwerk überhaupt ist. Da fehlt eine gewisse Vermittlung auf Plattformen wie Instagram. Dem wollte ich entgegenwirken. In meinem ersten Video habe ich mich in mein Atelier auf den Boden gesetzt und wirklich ein Bild von mir vorgestellt. Das war im Januar und seither hat sich Schritt für Schritt der Kanal weiterentwickelt.

Wie kommt dein Kanal in der professionellen Kunstwelt an?
Bei dem letzten Rundgang in der Kunstakademie, also unserer Jahresausstellung, hat mich eine Galerie aus Köln angesprochen. Dort hatte ich im Juni eine Einzelschau. Für den Galeristen war es beeindruckend, wie viel mehr Leute man durch Social Media und die Instagram-Reels erreichen kann. Menschen, die normalerweise nichts mit Kunst zu tun haben. Ich kriege jetzt Videos geschickt in denen Leute drüber nachdenken, wie sich eine Mikrowelle fühlen könnte in dieser Installation. Auf Instagram habe ich einen Highlight-Ordner, in dem Leute mich in ihren Stories markiert haben, wenn sie selbst Installationen in ihrem Alltag entdecken. Mich berührt es total, dass Kunst so was auslösen kann.

Wie gehst du mit negativen Rückmeldungen um?
Ich habe Verständnis dafür, dass man sich manchmal dagegen wehrt oder meine Kunst seltsam findet. Es ist jetzt keine schöne Malerei in dem Sinne, dass es dekorativ oder so ist, es ist ja eher was, worüber man nachdenken kann. Ich merke aber auch, dass es Menschen gibt, die sich durch meine Videos weiterentwickeln, und selbst im Alltag Installationen entdecken. Inzwischen fängt es damit an, dass ich in der Öffentlichkeit angesprochen werde. Es ist spannend, wie das Digitale dann ins Analoge überschwappt. In meiner Schulzeit wurde Kunst neben Fächern wie Physik eher belächelt.

Irgendwie muss man es schaffen, Kunst für Jüngere spannend zu machen. Kunst hat eine wahnsinnige Kraft.

In meiner Schulzeit wurde Kunst von vielen neben Fächern wie Physik eher belächelt. Braucht Kunst einen anderen Stellenwert in der Gesellschaft?
Ich kann nur für mich sprechen: Der Kunstunterricht war nicht gut in meiner Schule. Ich hatte immer das Gefühl, da wurde einfach auf so alten Meistern rumgekaut. Die Inhalte waren so realitätsfern. Irgendwie muss man es schaffen, Kunst für Jüngere spannend zu machen. Kunst hat eine wahnsinnige Kraft. Neulich hat mir auch eine Schülerin geschrieben, die durch mich die Motivation bekommen hat, im Abi doch Kunst zu wählen. Das war total schön.

Hast du Tipps für junge Menschen, die auch Künstler werden wollen?
Man muss auf das hören, was sich richtig anfühlt. Das ist eigentlich so wie bei Alltagsinstallationen. Man muss einfach bewusst wahrnehmen, was in einem bereits drinsteckt und dann schauen, wo es einen hintreibt und was man für Interessen hat. Heutzutage hat man viel mehr Möglichkeiten durch das Internet – das ist Eltern oder Großeltern vielleicht gar nicht so bewusst. Da sollte man dem Bauchgefühl auf jeden Fall nachgehen.


Zum Instagram-Kanal von Paulus Goerden kommt ihr hier: @paulusgoerden

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