Meinung

Zündstoff | Eine Schulform für alle?

Schüler im Klassenraum
Ist eine Schule unabhängig vom Leistungsniveau sinnvoll?

In einem Punkt sind sich wohl alle einig: Es wird immer Menschen geben, mit denen man sich uneinig ist. In dieser Rubrik diskutieren junge Menschen über Themen, die für ordentlich für Zündstoff sorgen. In unserem heutigen Beitrag stellen wir uns die Frage, ob es eine Schulform für alle geben sollte.

Das deutsche Schulsystem basiert auf unterschiedlichen Schulformen. Kinder werden, gemessen an ihrer Leistung, nach vier bis sechs Jahren Grundschule auf unterschiedliche Schulformen verteilt. Es gibt das Gymnasium, die Realschule und – in einigen Bundesländern noch – die Hauptschule beziehungsweise Mittelschule. Je nachdem, welche schulischen Fähigkeiten und Potenziale die Schüler:innen während der Grundschulzeit vorweisen, werden danach unterschiedliche Bildungswege eingeschlagen. Eine Schule für alle – keine Untergliederung in Schulformen – klingt fortschrittlich und inklusiv. Doch kann das funktionieren? Die Jugendredaktion diskutiert.

Pro: Mehr Chancengleichheit

Es ist kein Geheimnis, dass Chancengleichheit zwar in der Theorie existiert, die Praxis allerdings anders aussieht. Bildungschancen hängen nach wie vor mit vielen äußeren Faktoren zusammen, die außerhalb des Individuums liegen.

Das Einkommen der Familie und der Bildungsgrad der Eltern spielen dabei eine entscheidende Rolle. Je höher beides ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder ein Gymnasium besuchen können und im Folgenden die Möglichkeit haben, zu studieren, was ihnen wiederum später bessere Berufschancen bringt. Je schlechter das Einkommen einer Familie ist, desto weniger zeitliche und finanzielle Ressourcen stehen der Familie zur Verfügung, um die Kinder im Schulalltag und bei den Hausaufgaben zu unterstützen– und desto schlechter stehen die Chancen auf das Gymnasium und einen höheren Schulabschluss.

Hinzu kommt, dass ein Bildungssystem, das Schüler:innen konsequent nach Leistung einteilt, soziale Gruppen weiterhin trennt und vorwiegend Menschen mit ähnlichen Ressourcen und Möglichkeiten miteinander in Berührung kommen. Die Unterteilung in relativ homogene Gruppen aufgrund der unterschiedlichen Schulformen hält in der Folge soziale Stigma und Stereotype aufrecht. In einer Schule für alle hingegen würden die unterschiedlichen Schülerinnen und Schüler aufeinandertreffen – unabhängig von ihrem sozialen und finanziellen familiären Hintergrund. Kinder würden das diverse Miteinander von früh auf lernen und könnten so möglichst vorurteilsfrei die Gesellschaft betreten.

Schüler:innen, die eine Hauptschule oder Mittelschule besuchen, sind oft auch nach der Schulzeit von gesellschaftlichen Stigmata und Vorurteilen betroffen. Sie seien weniger interessiert, motiviert oder sogar „dümmer“ als Personen, die einen höheren Schulabschluss anstreben. Schüler:innen, die ein Gymnasium besuchen, berichten wiederum von Leistungsdruck und übermäßigem Konkurrenzverhalten untereinander. In einem hierarchisch-strukturierten Bildungssystem mit unterschiedlichen Schulformen erhält niemand die optimale Bildung, geschweige denn werden relevante soziale Kompetenzen erlernt. Eine Schulform für alle würde heterogene Gruppen bestärken und könnte den Leistungsdruck abbauen. Freude am Lernen statt Druck und das Fördern von Gemeinsamkeiten statt Unterschieden würden in den Fokus rücken. Jede Person hätte dieselben Chancen, auf andere Lernbegeisterte zu treffen. Alle hätten die Chance auf die gleiche Qualität an Bildung und Schulen würden die gesellschaftliche Realität abbilden. Auch würde ein höherer Anspruch an Lehrkräfte gesetzt werden: Wenn eine Schülerin Probleme hätte, die Lerninhalte zu verstehen, könnte diese nicht in niedrigschwellige Schulstufen geschoben werden. Die Lehrkräfte müssten sich andere Methoden zum Lehren überlegen.

In einer Schule für alle treffen sich Menschen aus allen Schichten: Es werden Erfahrungen ausgetauscht, Toleranz wird gelehrt und zwischenmenschliche und soziale Kompetenzen gefördert. So können Schichten durchbrochen werden. Für eine faire und glückliche Gesellschaft benötigen wir meiner Meinung nach genau das: die Schule als einen Ort, der gerechte Bildung, Chancengleichheit und soziale Integration fördert.

Isabelle Schindler, funky-Jugendreporterin

Contra: Förderung des Individuums

Fest steht: Jede Schülerin und jeder Schüler hat individuelle Stärken und Schwächen. Manche brauchen intensive Unterstützung bei der Organisation des Schulalltags, während andere sehr selbstständig arbeiten und lernen können.

Durch die Aufteilung in verschiedene, spezialisierte Schulformen besteht die Möglichkeit, gezielter auf diese unterschiedlichen Bedürfnisse und Stärken einzugehen, während es in einer Schule für alle bereits aus personeller Sicht – beispielsweise der Mangel an Lehrkräften – schwierig wäre, den unterschiedlichen Lernbedürfnissen und Lernwegen der Kinder und Jugendlichen gerecht zu werden. Die Vorstellung, dass die Schüler:inne in einer Schulform untereinander von den Stärken der anderen profitieren und Schwächen gegenseitig ausgleichen können, mag zwar in der Theorie sehr ergiebig klingen, es ist jedoch fraglich, inwieweit die Praxis das tatsächlich gewährleisten kann.

Vielmehr kann eine solche Schulform einen weiteren Nährboden für Mobbing gegenüber leistungsstarken Kindern aus Neid auf deren Noten oder Belustigung über die leistungsschwächeren Schüler:innen schaffen. Des Weiteren ermöglicht die Aufteilung in verschiedene Schulformen, Jugendliche mit ähnlichem Leistungsniveau zusammenzubringen, sodass Lehrkräfte die Unterrichtsinhalte entsprechend aufbereiten können. Das kann im Umkehrschluss eine Motivation und Anreiz zum Lernen sein und Über- beziehungsweise Unterforderung im Unterricht vermeiden. So kann gewährleistet werden, dass Lehrkräfte angemessen auf die Inhalte, den Schulstoff, aber auch auf die sozialen Gegebenheiten in einer Klasse eingehen können.

Hinzu kommen die Wahlmöglichkeiten, die verschiedene Schulformen mit unterschiedlichem Schwerpunkt anbieten. Jugendliche, die primär eine akademische Ausbildung anstreben, können sich für das Gymnasium entscheiden, und diejenigen, die eher eine praxisorientierte Ausbildung bevorzugen, für eine andere Schulform.

Bei einer Schulform für alle wären diese Wahlmöglichkeiten zwangsläufig eingeschränkter, was dazu führen könnte, dass sich die Schülerinnen und Schüler in einem Bildungssystem wiederfinden, welches ihnen bei der Gestaltung ihrer Zukunft im Weg steht und nicht auf individuelle Bedürfnisse und Interessen eingehen kann.

Judith Abrahams, funky-Jugendreporterin
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