Meinung

Zündstoff | Ist ein Auslandssemester es wirklich wert?

Laptop, Rucksack, Kopfhörer, Postkarten und Münzen liegen verstreut auf einem Tisch
Bildung auf hohem Niveau und persönliche Weiterentwicklung durch ein Auslandssemester. Mehr Schein als Sein?

In einem Punkt sind sich wohl alle einig: Es wird immer Menschen geben, mit denen man sich uneinig ist. In dieser Rubrik diskutieren junge Menschen über Themen, die für ordentlich Zündstoff sorgen. In unserem heutigen Beitrag stellen wir uns die Frage, ob Auslandssemester einen Mehrwert für die persönliche Entwicklung und Bildung haben.

Es ist einer der wichtigsten Faktoren für angehende Studierende, wenn sie sich für eine Universität entscheiden: Welche Auslandsmöglichkeiten werden geboten? Mehrere Bildungsstätten lehren den favorisierten Studiengang, aber nur bei einer ist ein Auslandssemester möglich – da ist die Entscheidung doch schnell gefallen. Ein Auslandsaufenthalt sieht nicht nur gut auf dem Lebenslauf aus, sondern ist auch noch eine großartige Erfahrung für einen selbst – oder?

Auslandssemester versprechen Bildung auf hohem Niveau, neue Freundschaften, den Spracherwerb des Gastlandes, kulturelles Erleben und vor allem Persönlichkeitsentwicklung. Aber stimmt das romantische Bild der Bildungsreisen wirklich? Sophie und Nick sind da geteilter Meinung.

Pro: Ein Auslandssemester voller Potenzial 

Vor Beginn der Reise können die bevorstehenden Monate im Ausland wie ein riesiger Berg an ellenlangen To-Dos, nervösen Erwartungen und einer Menge Ungewissheit wirken. Im neuen Studienort angekommen wird jedoch schnell klar: die lange Vorbereitungszeit hat sich gelohnt. Aufgrund der vielen neuen Eindrücke scheint es nur so an Sehenswürdigkeiten, kulinarischen Besonderheiten, Attraktionen und Ausflugszielen zu wimmeln. Plötzlich fühlt sich das bevorstehende Semester gar nicht mehr lang genug an, um all die Vorzüge des Landes mitzunehmen und gleichzeitig den Alltag in der neuen Umgebung zu erleben. 

Da ein Großteil der Austauschstudierenden zu Beginn auf der Suche nach sozialem Anschluss sind, um gemeinsam das Land zu entdecken und sich über Kulturschocks und die ersten Studierendenpartys auszutauschen, kann man schnell neue Bekanntschaften schließen. Speziell für Austauschstudierende bieten Universitäten häufig vielseitige Angebote wie „Buddy-Programme“, Sprachkurse, Exkursionen oder Veranstaltungen an, um untereinander sowie mit heimischen Studierenden in den Kontakt zu kommen. Im Rahmen des Auslandsaufenthalts können besondere Freundschaften entstehen, die nicht nur von gemeinsamen Erinnerungen an die Zeit im Ausland leben, sondern denen auch das langersehnte Wiedersehen im Anschluss an den gemeinsamen Aufenthalt einen besonderen Stellenwert und stets eine Priese Nostalgie verleiht. 

In erster Linie erfordert das Studieren im Ausland das Zurechtfinden in einem fremden Bildungssystem mit neuen Lern- und Kommunikationsmethoden. Dem eintönigen Uni-Alltag in Deutschland kurzfristig zu entfliehen, ermöglicht somit neue Anreize und einen internationalen Blickwinkel auf die studienrelevanten Themen. Ein wichtiger Faktor ist die Sprache: An englischsprachigen Vorlesungen teilzunehmen oder gar die Landessprache zu lernen, ist eine Herausforderung, an der jeder und jede wachsen kann. Gleichzeitig ist ein Auslandssemester auch eine erstklassige Möglichkeit, die eigenen Sprachkenntnisse auf ein höheres Niveau zu heben – im akademischen sowie alltäglichen Sinne. 

Insgesamt ist ein Auslandssemester eine sehr intensive Zeit. Konfrontationen mit neuen Situationen und Herausforderungen, wie plötzlich funktionsuntüchtigen Kreditkarten, Sprachbarrieren oder leicht heruntergekommenen Studierendenwohnheimen sind vorprogrammiert. Wenn Austauschstudierende eins lernen, dann die persönliche Komfortzone zu verlassen, Eigenverantwortung zu übernehmen und Selbstständigkeit schätzen zu lernen. Das sind Eigenschaften, die nicht nur in einem fremden Land von Nutzen sind, sondern auch in einer Vielzahl anderer Lebensbereiche einen Mehrwert haben. Eins steht in jedem Fall fest: Die einzigartige Zeit im Ausland wird lange in Erinnerung bleiben und Früchte tragen.

Sophie Bley, funky-Jugendreporterin

Contra: Bildungsblase, Riesenaufwand und alles beim Alten

Das Auslandssemester steht bevor und die Vorfreude der letzten drei Semester hat verschattet, was jetzt ans Licht kommt. Häufig muss man sich selbst um eine Unterkunft im baldigen Domizil kümmern, denn Studierendenunterkünfte auf den Campi sind stark begrenzt. Die eigene Uni hat meist keine Zeit, um bei der Suche zu unterstützen, also muss man sich selbst im unbekannten Land auf den Wohnungsmarkt begeben und ohne eine Unterkunft im Vorfeld zu besichtigen, den Mietvertrag unterschreiben. Das kann auch schnell in die Hose gehen.

Aber auch die eigene Wohnung oder das WG-Zimmer muss entweder mit allen Habseligkeiten untervermietet oder im schlimmsten Fall aufgegeben werden. Und gerade in Großstädten ist die Lage um bezahlbaren Wohnraum angespannt. Zumal die Suche mehrere Monate in Anspruch nehmen kann – Zeit, die man nach einem Auslandssemester eigentlich nicht hat. Ist die Bleibe erst einmal untervermietet, muss man nebst Studium in der Ferne noch Vermieter:in spielen und insbesondere anfangs erreichbar sein und sich um die Untermieter:in kümmern. 

Endlich angekommen in der neuen Unterkunft, ist nicht zu übersehen, dass sie vermutlich Semester für Semester an neue Studis aus aller Lande weitergegeben wird. Denn die Wandfarbe blättert ab, der Kühlschrank leuchtet nicht mehr, die Dusche riecht lustig und die Küche ist mangelhaft ausgestattet. Wohnt man in einer WG oder in einer Studierendenunterkunft merkt man schnell, dass man sich das Zimmer oder die Wohnung mit weniger lokalen Menschen teilt, als man denkt. Meist sind auch diese deutsch oder sogar von derselben Uni, denn bei der Anmeldung der neuen Auslandssemestler:innen, werden sie zusammen eingebucht. 


Ähnliche Erfahrungen macht man im Vorlesungssaal. Da sitzen viele Deutsche, denen man sich aus Bequemlichkeit in der Mittagspause anschließt. Zugegeben, es ist einfacher als sich in einer Fremdsprache an neue Kulturen heranzutrauen. Damit bremst man sich mehr oder weniger selbst aus und es fallen viele mögliche neue Erfahrungen hinten runter. Aber das bleibt nicht das einzig Unerwartete: Der Lehrstoff in der neuen Uni ist entweder nur eine Wiederholung des letzten Semesters oder schon weit fortgeschritten, denn die Partnerunis stimmen sich nicht mit ihrem Lehrstoff ab. Letztendlich verdeckt der aufregende neue Unialltag die Tatsache, dass die Dozierenden dasselbe lehren wie zuhause – nur für etwas mehr Geld pro Semester.

Ist man wieder in der Heimat angekommen, stellt man überrascht fest, dass die Zeit nicht stehen geblieben ist. Dein Freundeskreis hat eine Menge ohne dich erlebt, in der Uni ist man auf einem unterschiedlichen Lernstand und ein Blick aufs Konto verrät: Das war ein teures Erlebnis. 

Nick Käseberg, funky-Jugendreporter
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Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.