Interview

Endometriose: Eine Betroffene im Interview

Frau liegt mit Menstruationsschmerzen auf einem Bett.
Zehn Prozent aller Frauen und Mädchen leiden unter Endometriose.
Sophie Bley, funky-Jugendreporterin

Im Alter von 22 Jahren erhielt Claire von Keitz aus Frankfurt am Main die Diagnose: Endometriose. Bis zu diesem Zeitpunkt prägten quälende Ungewissheit, unzählige Arztbesuche und starke Schmerzen ihren Alltag. Und das ist keine Seltenheit: Endometriose gehört zu den häufigsten gynäkologischen Erkrankungen, ist der Öffentlichkeit jedoch weitestgehend unbekannt. Auch aus medizinischer Perspektive sind noch viele Fragen zu beantworten. Unter welchen Symptomen und Beschwerden leiden Betroffene und wie beeinflussen diese den Alltag? Wie wird Endometriose in der Gesellschaft wahrgenommen? Über diese Fragen spricht Claire im Interview.

Claire von Keitz

Liebe Claire, wann und wie hast du gemerkt, dass in deinem Zyklus etwas anders läuft als bei anderen?
Ich hatte damals gerade meine Periode und habe mit einer Freundin im Oberstufenzentrum meiner Schule gelernt. Ich hatte sehr starke Menstruationsschmerzen und als mir auch noch übel wurde, hat mich meine Freundin nach Hause gebracht. Sie meinte, dass derart starke Schmerzen nicht normal seien. Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich mich mit den Beschwerden abgefunden und dachte, ich sei einfach sensibler als andere. Ich kann mich noch an den Tag erinnern, an dem ich zum ersten Mal darüber nachdachte, dass meine Schmerzen vielleicht doch nicht normal sind.

Welche Beschwerden hast du durch die Endometriose?
Die Beschwerden variieren und sind zyklusabhängig. Es kommt darauf an, wie ich mich ernähre, wie viel ich mich bewege oder wie viel Stress ich gerade habe. Im Allgemeinen sind es Übelkeit, Erbrechen, Magen- und Darmbeschwerden, Schwindel und Kreislaufprobleme sowie Appetitlosigkeit oder Schmerzen im Rücken, im Unterbauch und in der Innenseite der Oberschenkel und der Waden. Auch Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, Wasserlassen und beim Eisprung können auftreten. Endometriose ist aber ein Spektrum: Ich kenne Betroffene ohne starke Schmerzen oder anderen Beschwerden.

Inwiefern beeinflussen die Beschwerden deinen Alltag?
Ich muss ziemlich viel planen. Ich benutze eine Zyklusapp, um meinen Monat zu strukturieren. Wenn ich weiß, dass ich meine Periode beispielsweise an einem Wochenende bekommen werde, bedeutet das für mich, dass ich mir dann nichts vornehmen kann. Aus diesem Grund schränkt die Krankheit vor allem meine Planungsfreiheit und Spontanität ein.

Manchmal ist mein ganzer Tag im Eimer, wenn ich nur vergesse, früh genug eine Schmerztablette einzunehmen.

Claire von Keitz

Während meiner Menstruation kann ich aufgrund der starken Schmerzen in der Regel nicht zur Arbeit gehen. Meine Beziehungen sind durch die Krankheit auch betroffen. Da ich vor allem zu Beginn der Endometriose sehr starke Schmerzen während des Geschlechtsverkehrs hatte, wurde meine Lust am Sex mit der Zeit immer weniger.

Wie lange hat es gedauert, bis die Endometriose als Ursache für die Beschwerden diagnostiziert wurde?
Das erste Mal war ich 2018 beim Frauenarzt, um mich bezüglich der Beschwerden untersuchen und beraten zu lassen. Damals wurde mir ohne genauere Untersuchungen lediglich die Pille zur Linderung der Schmerzen verschrieben. Da ich jedoch keine Verbesserung beobachten konnte, habe ich mir Hilfe in einem Endometriose-Zentrum gesucht. Dort habe ich Ende 2022, im Anschluss an einen operativen Eingriff, endlich die Diagnose Endometriose bekommen. Dass ich dort so viel Verständnis von meiner Ärztin bekommen habe, tat mir richtig gut. Für die Behandlung habe ich mich an eine Fachärztin gewendet, die sich auf endokrine Störungen spezialisiert hat und habe mit einer Schmerztherapie angefangen.

Wie hat dein Umfeld auf deine Diagnose reagiert?
Da mein Umfeld größtenteils weiblich ist, habe ich glücklicherweise viel Verständnis von meinen Freund:innen und meiner Familie bekommen. Bereits in den Jahren vor der Diagnose haben viele die Einschränkungen aufgrund der Beschwerden mitbekommen, sodass die Diagnose letztlich keine Überraschung war. Natürlich waren manche auch skeptisch, da vielen der Begriff Endometriose nicht geläufig war.

Was hilft dir im Alltag, um besser mit deinen Beschwerden zurechtzukommen?
Das Wichtigste sind die Schmerzmittel. Meine Zyklusapp ist eine zusätzliche Unterstützung im Alltag. Ich habe vor kurzem ein Rezept für eine App bekommen, die speziell für Menschen mit Endometriose entwickelt wurde. Die werde ich ausprobieren. Es gibt auch Ernährungsberatungen, um zu lernen, wie ich meine Ernährung an meinen Zyklus anpassen kann. Da die Krankheit noch relativ unerforscht ist, sind die Behandlungsmethoden leider noch nicht ausgereift.

Welchen Rat würdest du Menschen geben, die vermuten, dass sie Endometriose haben könnten?
Geht unbedingt zu einem Endometriose-Zentrum. Meiner Erfahrung nach trifft man dort auf mehr Ärzt:innen mit dem nötigen Fachwissen rund um die Krankheit. Dort habe ich mich ernst genommen gefühlt und sofort Behandlungsvorschläge bekommen. Bei meiner Frauenärztin bin ich dagegen nur auf Unverständnis gestoßen. Ich kann außerdem empfehlen, unterstützend zur Diagnostik ein Symptomtagebuch zu führen.

Was könnte der Grund dafür sein, dass die Krankheit noch so unterschätzt wird?
Ganz einfach: Sexismus in der Medizin. Frauen wurden lange als wehleidig abgestempelt und ihnen wurde tendenziell nicht geglaubt, wenn sie sich wegen Menstruationsbeschwerden an Ärzt:innen gewendet haben. Ich vermute, das ist auch der Grund, weshalb es kaum wissenschaftliche Forschung zur Endometriose gibt. Zu lange waren ausschließlich Männer der Ausgangspunkt in der Medizin und das spüren wir heute noch. Erst seit einigen Jahren nimmt die Aufklärung über Endometriose und andere gynäkologische Erkrankungen langsam zu.

Mehr Erkenntnisse und Aufklärung bedeuten auch mehr Chancen für Betroffene.

Claire von Keitz

Was wünscht du dir für die Zukunft?
Ich wünsche mir mehr Aufklärung über Endometriose an Schulen und insgesamt einen offeneren gesellschaftlichen Umgang mit dem Thema Menstruation. Das schafft mehr Behandlungsmöglichkeiten. Außerdem sind Alternativen zur Schmerztherapie und operativen Behandlung wichtig. Ich wünsche mir mehr Support für Betroffene, die unter psychischen Belastungen durch die Erkrankung leiden. Hilfreich wäre auch, wenn Endometriose bereits als Teil der gynäkologischen Routineuntersuchungen für junge Menschen gelten würde. Wir müssen alle viel mehr über Endometriose und ähnliche Krankheiten sprechen. 


Was ist Endometriose?

Endometriose ist eine gynäkologische Erkrankung, bei der gebärmutterschleimhautähnliches Gewebe außerhalb der Gebärmutter wächst und vielseitige Beschwerden auslöst. Es bildet sich häufig im Bauch- und Beckenraum sowie im Bereich der Eierstöcke und des Darms. Die angestauten Endometrioseherde können nicht abgebaut werden und rufen häufig Endometriosezysten hervor, die zu chronischen Entzündungen und Vernarbungen des umliegenden Gewebes führen. Zudem ist Endometriose in 40 bis 60 Prozent der Fälle, die Ursache für einen unerfüllten Kinderwunsch

Nach Angaben der World Health Organization leiden 190 Millionen Menschen weltweit unter Endometriose. Insgesamt sind zehn Prozent aller Frauen* und Mädchen* betroffen. Die genauen Ursachen der Erkrankung sind noch ungeklärt. Vermutungen zufolge könnten Hormone, das Immunsystem oder familiäre Veranlagungen eine Rolle spielen. Theorien konnten jedoch bislang noch nicht wissenschaftlich bestätigt werden, weshalb noch keine ursächliche Behandlung entwickelt wurde. 

Du bist dir unsicher, ob du nicht auch unter Endometriose leiden könntest? Weitere Informationen zum Krankheitsbild sowie zu Symptomen, Behandlungsmöglichkeiten und Beratungsstellen findest du hier.

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