Interview

Eine junge Frau ohne Kinderwunsch: „Wenn man nicht 100 Prozent hinter der Entscheidung für Kinder steht, sollte man es lassen“

Larissa Melz
Für Larissa steht jetzt schon fest: Sie möchte keine Kinder haben.
Anna Ingerberg, funky-Jugendreporter

Larissa Melz ist 20 Jahre alt. Sie möchte später keine Kinder haben, das steht für sie jetzt schon fest. Die Studentin aus Hennef spricht im Interview über ihre Beweggründe, die sie diese Entscheidung schon früh im Leben treffen ließen, die Reaktionen aus ihrem Umfeld und über den gesellschaftlichen Druck, der in Bezug auf dieses Thema auf Frauen lastet.

Seit wann weißt du, dass du keine Kinder möchtest?
Einen richtigen Zeitpunkt kann ich nicht benennen. Es war vielmehr ein Prozess. Ich hatte noch nie einen starken Bezug zu Kindern, weil ich keine Geschwister habe. Vielleicht ist das teilweise auch der Grund für meine Entscheidung.

War es leicht, die Entscheidung zu treffen?
Aus meinem Umfeld höre ich oft „Ich möchte später auf jeden Fall Kinder haben“, oder dass es das Lebensziel ist, eine Familie zu gründen. Bei mir war das nie ein großes Thema und auch nicht das große Ziel. Ich habe darüber nachgedacht, ob diese Gedanken nur eine Phase sind. Klar, ich bin mit meinen 20 Jahren noch jung. Letztlich war es keine schwierige Entscheidung in dem Sinne, aber ich habe mir natürlich viele Gedanken darüber gemacht.

Was sind die Gründe für die Entscheidung gegen Kinder?
Ein Grund ist vielleicht, dass ich als Einzelkind aufgewachsen bin und auch in der Familie nie wirklich mit kleinen Kindern zu tun hatte, weil meine Cousins und Cousinen alle älter als ich sind. Zudem ist meine Mama verstorben, als ich sechs Jahre alt war, und ich bin allein bei meinem Papa aufgewachsen. Meine Kindheit war trotzdem super schön, mein Papa war immer für mich da. Aber ich habe das „Mama-Sein“ nie kennengelernt. Deswegen konnte ich es auch nie auf mich übertragen.

Hast du in deinem Umfeld auch Negativbeispiele, die dich dazu bewogen haben?
Ich denke bei „schlecht“ erzogenen Kindern immer daran, dass die Eltern vielleicht auch zum ersten Mal erziehen, und man kann in der Erziehung einfach nicht alles richtig machen. Aber so richtige Negativbeispiele von Eltern-Kind-Beziehungen fallen mir nicht ein. Mich schreckt es trotzdem ab, dass ich bei meinem Kind viel falsch machen könnte. Kinder haben heute, meiner Ansicht nach, eine traurigere Kindheit als wir sie noch hatten. Hauptsächlich wegen der Handys.

Ich habe das „Mama-Sein“ nie kennengelernt. Deswegen konnte ich es auch nie auf mich übertragen.

Larissa Melz

Spielt die Entscheidung gegen Kinder bei der Partnerwahl jetzt oder zukünftig eine Rolle?
Ja, für mich spielt das eine Rolle. Aktuell habe ich einen Freund, der sagt, dass er später keine Kinder möchte. Vielleicht ändert das sich in zehn Jahren und er ist bereit für Kinder oder es gibt einen Kinderwunsch. Natürlich würde ich keinem vorenthalten wollen, Kinder zu kriegen, das wäre unfair. Ich kann es auf jeden Fall verstehen, wenn Kinderkriegen und Familiengründung ins Lebenskonzept vieler Menschen gehören, aber ich achte darauf, dass das mit meinen Wünschen kompartibel ist. Wenn man seinen Lebenstraum wegen seines Partners oder seiner Partnerin nicht erfüllt, ist das sehr schade.

Hörst du oft Aussagen wie „Wenn erstmal der Richtige kommt, wirst du auch Kinder haben wollen“ oder „Warte mal ab, bis du etwas älter bist“?
Klar, letzteres höre ich oft. Ich denke, dass die wenigsten mit 20 Jahren schon Kinder möchten. Aber viele können sich das für einen späteren Zeitpunkt durchaus vorstellen. Das ist bei mir nicht der Fall. Ich kann die Aussage trotzdem verstehen: Man entwickelt sich weiter. Im Laufe der Jahre verändern sich auch Ziele und Wünsche. Erst vor kurzem meinte ein Kollege auf der Arbeit, der eine Tochter bekommen hat, er habe früher auch so gedacht wie ich. Jetzt sei seine Tochter das Tollste für ihn. Solche Sätze kommen eher von Erwachsenen, die ich nicht gut kenne und weniger aus meiner eigenen Familie oder aus dem Freundeskreis.

Was macht das mit dir?
Ich finde die Aussage nicht unbedingt respektlos, aber ich denke, man sollte meine Haltung akzeptieren. Ich stehe eigentlich darüber. Ich finde ich es schade, dass meine Entscheidung gegen eigene Kinder oft heruntergespielt wird mit Aussagen wie: „Jaja, in ein paar Jahren ist das eh anders.“

Ist deine Entscheidung etwas, von dem du das Gefühl hast, es deinem Vater „beichten“ zu müssen?
Beichten ist nicht das richtige Wort, aber natürlich habe ich mit meinem Vater darüber gesprochen. Er sagt, dass die Entscheidung jedem Menschen selbst überlassen ist. Er hat nur mich als Tochter und würde sich sicherlich über Enkelkinder freuen, aber Kinderkriegen ist nichts, wozu man jemanden zwingen kann. Ich habe andere Ziele und Prioritäten im Leben und Kinder scheinen nichts zu sein, was mich erfüllt. Er würde auch nie sagen: „Ich will unbedingt Opa werden.“ Ich verfolge das Ziel, Karriere zu machen, so blöd sich das erstmal anhört. Mit Kind würde entweder das Kind oder der Beruf hintenangestellt werden. Dazu hat meine damalige Pädagogik-Lehrerin etwas gesagt, das mir sehr in Erinnerung geblieben ist. Im Kurs haben wir uns gefragt, warum unsere Lehrerin keine Kinder hat, weil sie so super im Umgang mit ihren Schüler:innen war. Sie sagte: „Kinderkriegen ist keine 80, oder 90 Prozent Entscheidung. Es müssen 100 Prozent sein.“ Wenn es sich nicht wie 100 Prozent anfühlt, dann sollte man es lassen. Man kann das Kind nicht wieder abgeben. Man muss 100 Prozent dahinterstehen. Ihre Aussage fand ich sehr überzeugend und habe sie für mich verinnerlicht.

Wie nimmst du den gesellschaftlichen Druck zum Kinderkriegen wahr?
„Kinderkriegen sollte das Ziel sein“ höre ich oft. Der gesellschaftliche Druck ist also spürbar. Aber Kinder zu bekommen, sollte aus den richtigen Motiven heraus passieren. Kinder werden auch oft als eine Art Altersvorsorge gesehen. Ich finde es schade, wenn man Kinder kriegt, damit sie sich später um einen kümmern. Es liegt auch in der Eigenverantwortung der Eltern, sich frühzeitig um die Rente und Altersvorsorge zu kümmern, sodass man auch später im Alter möglichst unabhängig leben kann.

Was würdest du dir von der Gesellschaft wünschen, was Mutterschaft und die Entscheidung dafür/dagegen angeht?
Ich würde mir wünschen, dass weniger Druck für die Frauen aufgebaut wird und sich gesellschaftliche Normen in Bezug auf den Kinderwunsch ändern. Ich kann mir vorstellen, dass viele, die sich gegen Kinder entscheiden, verurteilt werden. Man hört noch oft: „Wer soll dann die Sozialversicherungssysteme finanzieren?“ Kinderkriegen wird in der Gesellschaft momentan noch als oberstes Lebensziel angesehen. Außerdem wünsche ich mir mehr Verständnis für die Entscheidung gegen Kinder.

Bist du demselben Druck ausgesetzt wie zum Beispiel dein Freund, der ja auch keine Kinder möchte?
Ich würde sagen: Nein. Frauen verspüren den größeren Druck, Kinder zu kriegen. Männer können keine Kinder gebären, weswegen der Druck automatisch auf den Frauen lastet.

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