Interview

„Das Gesundheitssystem ist defizitär“ – doc.felix im Interview

Felix Berndt ist ein Arzt der besonderen Art. Statt im Krankenhaus oder in der Praxis könnte es passieren, dass man dem 29-Jährigen auch auf den Social-Media-Plattformen Instagram und TikTok als doc.felix begegnet. Seit drei Jahren ist er dort nun schon erfolgreich als medizinischer Influencer unterwegs und möchte seine fast 500.000 TikTok-Follower für einen gesünderen Lebensstil begeistern. Warum er selbst sein größter Kritiker ist, er online keine persönliche Beratung gibt und ob man Krankheitssymptome googeln darf oder nicht, das verrät er im Interview. 

Knut Löbe, funky-Jugendreporter

Wie lautet deine Jobbeschreibung, wenn du anderen über deine Arbeit erzählst?
Das ist tatsächlich gar nicht so einfach. Ich versuche immer, meine medizinischen Tätigkeiten von meiner öffentlichen Person zu trennen. Wer sich meine Profile anschaut, wird sehen, wie viel ich wirklich von meinem Alltag oder mir selbst zeige: sehr wenig. Ich möchte mich einfach nicht angreifbar machen. Außerdem bin ich einfach vergleichsweise langweilig – deswegen lebe ich wahrscheinlich in Hagen und nicht in Berlin, weil ich am liebsten zu Hause meine Zeit auf Netflix verbringe. Ich brauche das Highlife und die Stadt nicht unbedingt. Auf meinen Profilen geht es also immer nur um Medizin. Bei meiner Jobbeschreibung höre ich eigentlich lieber „Content Creator“, weil das Wort „Influencer“ so in Verruf geraten ist. Eigentlich schade, weil influencen ja eigentlich nichts weiter heißt als beeinflussen. Das war auch meine ursprüngliche Idee: Dass ich die Leute dahin gehend beeinflusse, ein gesünderes Leben zu führen, ohne dass ich ihnen etwas verkaufe. Das Wort finde ich eigentlich super. Content Creator passt aber aktuell besser, weil ich Inhalte kreiere und in der Öffentlichkeit nicht viel über mein Privatleben verrate, sondern den Fokus auf die Inhalte lege. Zwar zeige ich mich gern als lustigen Vogel vor der Kamera, aber nicht, um mich mit meinen Hobbys oder Sorgen mitzuteilen. 

Ich will die Menschen dazu zu inspirieren, dass es cooler ist, gesund zu sein als krank oder Medikamente nehmen zu müssen.

Wie kam es dazu, dass du mit deinem Medizinstudium nicht den klassischen Weg eingeschlagen hast, sondern mittlerweile fast 500.000 Follower auf TikTok zählst? 
Ich habe ganz klassisch Medizin studiert und bin heute Arzt. Es gab zwei Dinge, die mich dazu bewegt haben. Zum einen das Gesundheitssystem, das ich während der sechs Jahre Medizinstudium gut kennengelernt habe. Das fand ich schon immer schlecht, weil es so defizitär orientiert ist. Der Mensch muss erst krank werden, erst dann wird ihm geholfen. Es gibt so viele Krankheiten – gerade in der Hausarztpraxis –, die man anders behandeln oder sogar verhindern könnte, wenn die Leute sich gut ernähren, Sport machen und generell eine gesunde Lebensweise an den Tag legen würden. Diese Informationen haben im Studium gefehlt, und das fehlt meiner Meinung nach auch im Gesundheitssystem. Der zweite Punkt war: Selbst wenn ich mal versucht habe, einem Patienten Tipps mitzugeben, heißt das nicht, dass er sich dann automatisch auch gesund ernährt und meine Ratschläge befolgt. Das empfand ich als ziemlich deprimierend. Gleichzeitig habe ich damals die jungen Influencer gesehen, bei denen es scheinbar egal war, ob sie studiert oder eine Ausbildung gemacht haben. Wenn sie gesagt haben: „Hey, ich mache mir heute aus Beerenobst einen Smoothie“, gab es viele Leute, die das nachgemacht haben. Zunächst war das für mich sehr frustrierend, weil ich mir dachte: Ich habe so viel gelernt, warum hören die Menschen nicht auf mich? Dann habe ich beschlossen, die Werkzeuge des Influencers zu nutzen und darin ein medizinisches Behandlungskonzept zu verpacken. Ich trete als Arzt doc.felix auf, um die Menschen dazu zu inspirieren, dass es cooler ist, gesund zu sein als krank oder Medikamente nehmen zu müssen. Vielleicht schaffe ich es ja, dass der ein oder andere ein bisschen gesünder lebt. 

Kannst du dir deinen Erfolg erklären? Medizin ist nicht unbedingt ein Thema, bei dem man auf den ersten Blick hohe Follower*innenzahlen erwarten würde. 
Sehr gute Frage. Medizin ist spannend! Ich denke, es geht um die Kommunikation. Wie langweilig ist zum Beispiel Chemie? Ultralangweilig. Wenn du dir allerdings die Serie „Breaking Bad“anschaust, denkst du: Wie geil sind die Elemente! So war es zumindest bei mir. „Breaking Bad“ ist der Rahmen, und dieser Rahmen kann manchmal wichtiger sein als der Inhalt. Wenn man den Rahmen spannend gestaltet, dann hören einem die Leute auch zu. Bei TikTok war ich einer der Ersten, die in den Clips Dinge erklärt haben. Das gab es damals so noch gar nicht. Die ersten Videos hatten Hunderttausende Aufrufe. Ich versuche aber, trotzdem alles zu bespielen, ich habe zum Beispiel auch noch den Podcast „Psycho & Doc“. Ich gebe mir außerdem sehr viel Mühe mit der Technik. Ich denke, man muss eine gute Mischung aus Kunst und Wissenschaft finden, weil meine Beiträge auch irgendwie gut aussehen sollen. Ich achte darauf, dass ich ein gutes Mikrofon benutze. Dann versuche ich immer, wissenschaftlich genau zu bleiben. Das funktioniert natürlich nicht immer. 

Die Leute, die meine Arbeit früher belächelt haben, wollen heute, dass ich ihre Inhalte teile.

Wie werden deine Social-Media-Profile unter Berufskolleg*innen akzeptiert? Hat sich in den letzten Jahren etwas getan?
Absolut. Am Anfang war es wirklich schrecklich. Für mich war immer klar, dass so etwas funktionieren kann. Wieso sollten denn Social Media auch nur für Mode funktionieren? Allerdings war das anderen Medizinern nicht so klar. Ich musste mir sehr viele blöde Sachen anhören. Das hat sich aber inzwischen gewandelt. Die meisten finden das gut und nicht mehr peinlich. Manchmal ist es mir aber immer noch unangenehm. Die Leute, die meine Arbeit früher belächelt haben, wollen heute, dass ich ihre Inhalte teile. 

Wie schaffst du es, dass bei derart kurzen Videos keine wichtigen Informationen auf der Strecke bleiben?
Das ist immer themenabhängig. Teilweise ist es sehr frustrierend, teilweise aber auch entspannt. Bei einem Thema, das niemandem wehtut, ist es einfach. Nehmen wir mal das Beispiel Lachen. Warum lachen wir? Schwieriger wird es bei einem Thema wie dem Impfen. Ich bin da selbst mein größter Kritiker und sehe viele Gefahren, die entstehen können. Das ist auch eine ethische Frage: Darf ich überhaupt meine Theorie veröffentlichen, oder muss ich zunächst auf Quellen warten? Bei einem meiner letzten Videos habe ich über den Biontech-Impfstoff gesprochen und den Verdacht, dass dieser eine Herzmuskelentzündung hervorrufen kann. In der Formulierung habe ich häufig betont, dass es sich um eine Theorie handelt, und zum Schluss sagte ich noch: Macht bitte nach der Impfung keinen Sport. Ich habe nicht gesagt, dass die Impfung schlecht ist. Eine Herzmuskelentzündung kriegen häufig junge sportliche Männer. Grund dafür ist häufig, dass Sportler einen leichten Infekt haben und trotzdem Sport treiben. Ich dachte mir: Diese Info muss ich veröffentlichen, weil die Gefahr größer ist, dass Leute nach der Impfung Sport machen, als dass ich etwas Falsches sage. In den ersten fünf Sekunden sage ich im Clip, dass Biontech/Pfizer unter Verdacht steht, eine Herzmuskelentzündung auszulösen, an der man sterben kann. Genau diese Sequenz wurde dann von Verschwörungstheoretikern verwendet, um die Impfung schlechtzureden. Die Antwort auf deine Frage ist gewissermaßen diese Geschichte. Das ist manchmal bitter, da ich die Entscheidungen alle alleine treffe. Obwohl ich das schon seit drei Jahren mache, habe ich angezweifelt, ob ich das Richtige tue. Da hat man schon manchmal schlaflose Nächte. Ähnlich wie ein Journalist möchte ich gut geklickt werden, dabei aber trotzdem einen guten wissenschaftlichen Standard einhalten. Ich gebe da mein Bestes und weiß eigentlich auch, dass die Vorteile die Nachteile überwiegen.

Das machen Menschen ja auch manchmal ganz gerne, ihre eigene Verantwortung abschieben. Ich möchte aber ein Arzt sein, der den Menschen ihre Verantwortung zurückgibt.

Gibst du auch persönliche Tipps in Direktnachrichten?
Nein, ich berate nie medizinisch im Internet. Einfach auch, um mich abzusichern. Gestern wurde ich zum Beispiel in einer Nachricht gefragt: „Ich habe die zweite Biontech-Impfung und in fünf Tagen ist eine Hochzeit. Darf ich mich da betrinken?“ Das ist eine lustige Frage, die ich auch gerne beantwortet hätte. Ich hätte ihr gerne gesagt, nach fünf Tagen könne sie das gerne machen. Aber wer weiß …? Ich kann ja nicht abschätzen, wie die persönliche Situation aussieht. Mir liegt keine Anamnese vor. Ist sie vorher alkoholkrank gewesen – dann bin ich dafür verantwortlich, dass sie zurück in die Sucht fällt. Oder reagiert sie eventuell allergisch auf den Impfstoff? Im schlimmsten Fall kann sie sagen, der Arzt hätte aber das O.K. gegeben. Das machen Menschen ja auch manchmal ganz gerne, ihre eigene Verantwortung abschieben. Ich möchte aber ein Arzt sein, der den Menschen ihre Verantwortung zurückgibt.

Auch wenn du keine Online-Beratung gibst, hast du vielleicht noch ein paar Tipps: Worauf sollte man achten, wenn man sich im Internet über Gesundheitsthemen informiert? Viele kennen die schlimmen Internet-Diagnosen, wenn man anfängt, Symptome zu googeln.
Der Goldstandard ist und bleibt der Gang zum Arzt. Gerade wenn etwas peinlich ist, sollte man sofort zum Arzt gehen. Wenn man die Diagnose bekommen hat und keine lebensgefährlichen Krankheiten festgestellt wurden, dann wäre es absolut klasse, wenn der Patient selbst in Foren aktiv wird, sich austauscht und Ratschläge bekommt und vor allem Dinge ausprobiert. Da besteht eigentlich kaum Gefahr, weil der Arzt seine Diagnose schon gestellt hat. Der Patient kann dann überlegen und ausprobieren, was ihm weiterhilft. Das wäre vielleicht der Tipp: Schließe eine gefährliche Erkrankung aus, dann kannst du gerne im Internet aktiv werden! 

Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.