Interview

„Ich will Frauen eine Stimme verschaffen“ – „Stories of Her“- Gründerin Laura im Interview

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Stories of Her ist eine Plattform, auf der von sexualisierter Gewalt und sexueller Belästigung betroffene Frauen ihre Geschichte anonym teilen können.

Sexuelle Belästigung auf der Straße, Grenzüberschreitungen im eigenen Freundeskreis oder sogar sexualisierte Gewalt: Tagtäglich sind auf der ganzen Welt unzählige Frauen von solchen und ähnlichen Fällen betroffen. Nur selten landen ihre Geschichten jedoch in der Öffentlichkeit. Genau das wollte Laura (22) mit ihrem Blog „Stories of Her“ ändern. Im Interview erzählt sie, wie es dazu kam und was sie mit der Plattform für Betroffene erreichen will. 

Charlotte Keil, funky-Jugendreporterin

Was ist Stories Of Her?
„Stories of Her“ ist eine Plattform, auf der Frauen und junge Mädchen, die von sexualisierter Gewalt oder sexueller Belästigung betroffen sind, anonym ihre Geschichte bzw. ihre Erfahrung veröffentlichen können. „Stories of Her“ gibt jeder Betroffenen eine Stimme, um zu erzählen, was ihr widerfahren ist. Ich sehe es als eine Art Bindeglied zwischen betroffenen Personen, die erzählen wollen, was ihnen passiert ist, und den Menschen, bei denen diese Schilderungen ein Bewusstsein für das Thema schaffen. Eigentlich ist „Stories of Her“ eine relativ simple Idee, aber ich hatte das Gefühl, dass so eine Plattform einfach fehlt.

Wie ist die Idee zu „Stories of Her“ entstanden?
Ausschlaggebend für den Blog war die Geschichte meiner besten Freundin. Sie hat in unserem damaligen Freundeskreis sexuelle Nötigung erfahren. Ich war so wütend darüber, dass niemand sich richtig solidarisierte. Also schlug ich meiner Freundin vor, ihre Geschichte anonym auf einem Blog zu veröffentlichen. In meinem Studium habe ich gelernt, wie man Websites erstellt. Etwa nach einem halben Jahr waren der Blog und der dazugehörige Instagram-Account fertig. Das eigentliche Ziel war es, ein paar Geschichten von anderen Frauen zu sammeln – darunter auch die meiner besten Freundin – und diese zu veröffentlichen und zu teilen. So wollten wir den damaligen Täter damit konfrontieren und ihm klarmachen, was er ihr angetan hat.

Es war gar nicht geplant, dass die Seite plötzlich so viral geht und dass aus dieser kleinen Idee plötzlich so ein großes Projekt wird. Sobald die Seite online ging, explodierte mein Postfach mit Nachrichten von fremden Frauen, die mir ihre Geschichte geschickt haben. Da ist mir klargeworden, wie sehr eine Plattform wie „Stories of Her“ gefehlt hat. Die Geschichte meiner Freundin haben wir tatsächlich nie online gestellt, es gab andere Frauen, denen etwas sehr Ähnliches passiert ist. Der damalige Freund dachte, das wäre ihre Geschichte und hat sich ein Jahr später bei ihr gemeldet und entschuldigt.

Wie hat dein Umfeld auf die Entstehung der Seite reagiert?
Ich habe so viel positives Feedback bekommen. Freund*innen, Bekannte und auch fremde Menschen haben mir geschrieben und sich teilweise bedankt, dass ich so eine Plattform ins Leben gerufen habe. Besonders überrascht und gefreut hat mich das männliche Feedback und dass die Seite auch für Nicht-Betroffene ein Bewusstsein dafür schafft, wie viel eigentlich schiefläuft. Manche Frauen haben mir geschrieben, dass ihnen die Geschichten von anderen helfen, ihre eigene besser zu verstehen und zu verarbeiten und ihnen das Gefühl geben, nicht allein zu sein. So viele haben mich gefragt, ob sie das Projekt irgendwie unterstützen können. Die ganze Community von „Stories of Her“ ist so hilfsbereit. Die Unterstützer*innen schicken mir Zeichnungen zu, die ich in den Instagram-Account mit einfließen lasse. Zwischen der ganzen Last, die die Geschichten mit sich bringen, vergesse ich oft, wie viel Gutes der Blog hervorbringt. Das ganze positive Feedback erinnert mich dann aber wieder daran, wie gut und wie wichtig meine Arbeit ist. Ich selbst habe auch meine Geschichten auf dem Blog veröffentlicht und dabei gemerkt, wie sehr mir das bei der Verarbeitung geholfen hat.

„Stories of Her“ war ja nur für Frauen gedacht. Planst du den Blog zu erweitern, sodass auch Geschichten nicht weiblich gelesener Menschen eingeschlossen werden?
„Stories of Her“ ist ein Herzensprojekt, ich verdiene damit kein Geld. Es ist ein Projekt, das ich neben meinem Studium und meinem Nebenjob betreue. Inzwischen helfen mir sogar noch drei weitere Freundinnen dabei, die Seite zu managen, weil ich das alleine zeitlich einfach nicht mehr schaffen würde. Gerne würde ich die Seite erweitern und nicht nur Frauen ihre Geschichte erzählen lassen. Ich habe oft darüber nachgedacht, habe auch überlegt, den Blog „Stories of Us“ zu nennen. Es schicken mir aber bereits so viele Frauen ihre Geschichten, dass es gerade einfach nicht möglich wäre, den Kreis der Betroffenen noch zu vergrößern. Wenn die Kapazitäten es also irgendwann zulassen und das Projekt weiterwächst, wäre mir es auf jeden Fall ein wichtiges Anliegen, auch diverse Geschlechter mit einzubeziehen.

Welchen Umgang mit dem Blog wünschst du dir von Nichtbetroffenen?
„Stories of Her“ ist ein feministischer Blog. Ich glaube, viele Menschen, vor allem Männer, verstehen einfach gar nicht, was Feminismus bedeutet. Viele verstehen das eigentliche Ziel nicht und denken, man will ihnen etwas wegnehmen oder ihre Welt schlechter machen. Und das ist einfach falsch. Wir wollen unsere Welt besser machen. Mit „Stories of Her“ will ich ein Bewusstsein für die Ungleichheit schaffen. Ich will, dass wir Frauen uns sicher fühlen können und keine Angst haben müssen, nachts alleine nach Hause zu fahren. Ich ziehe im Sommer keine Crop-Tops mehr an, weil ich nicht angemacht oder angefasst werden will, was schon vorgekommen ist. Das sind Dinge, die Nichtbetroffene häufig nicht verstehen. Deshalb ist es wichtig, dass wir Frauen uns eine Stimme verschaffen und erzählen, was uns passiert und wie wir uns damit fühlen. Viel zu viele erleben so schlimme Dinge und schaffen es trotzdem, ihren Alltag ganz normal weiterzuleben und bringen sogar die Kraft auf, andere zu stärken und zu stützen. Ich möchte keinen Männerhass verbreiten, ganz im Gegenteil. Ich möchte Männer mit ins Boot holen, möchte, dass sie zuhören, wenn es um Themen wie sexualisierte Gewalt geht. Ich möchte, dass sie lernen und verstehen und sich für uns stark machen. Wir brauchen Männer, die mithelfen, etwas zu verändern.


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Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.