Meinung

„Die Räuber“ – Vom Gefängnisalltag auf die Freilichtbühne

Zwei Schatten sind an einer Wand zu sehen.
Freigänger, Ex-Inhaftierte, Schauspielerinnen und Schauspieler sowie und Berliner Bürgerinnen und Bürger stehen gemeinsam auf der Bühne.
Greta Papenbrock, funky-Jugendreporterin

Es ist 19 Uhr und ein Freitagabend in Berlin. Ich gehe gerade durch einen Wald, das Wetter kühlt allmählich ab. Heute Abend habe ich ein Ziel – gut, dass ich meine Jacke mitgenommen habe, denke ich. Mich erwartet eine 120-minütige Vorstellung von Friedrichs Schillers berühmten „Sturm und Drang“-Stück auf der Freilichtbühne in der Jungfernheide. 

Ich orientiere mich an einem Schild auf dem steht „Die Räuber, hier entlang“. Wer das Drama schon einmal im Unterricht gelesen hat, weiß über die Komplexität des Stücks Bescheid und wollte es sich dementsprechend nicht unbedingt ein zweites Mal zu Gemüte führen – heute soll sich das für mich allerdings ändern.

Ich bin bei der Premiere des Stückes, das aus einem ganz besonderen Ensemble besteht: Freigänger, Ex-Inhaftierte, Schauspielerinnen und Schauspieler sowie Berliner Bürgerinnen und Bürger stehen gemeinsam auf einer Bühne. Diese Zusammensetzung macht die Vorstellung für mich besonders interessant. Schließlich steht die Freilichtbühne, auf der sich das Ganze abspielt, im Kontrast zum Gefängnis, wo sich das Leben einiger Schauspieler momentan abspielt. Und es geht nicht nur mir so: Die Tribüne inmitten des Waldes füllt sich schnell und alle warten sehnsüchtig darauf, dass es losgeht. 

„Ja, im Wald, da sind die Räuber“, ertönt es lautstark aus den Hälsen der Schauspielerinnen und Schauspieler. In Friedrich Schillers Stück geht es um zwei Brüder, die ein Leben in zwei Extremen führen. Karl Moor als Räuberhauptmann, sein Bruder Franz der Mörder seines eigenen Vaters. „Ich habe keinen Vater mehr, ich habe keine Liebe mehr“,  heißt es in den ersten Minuten der Vorstellung, nachdem der Vater vom Sohn getötet wurde. Es ist ein Drama, das von überkochenden Emotionen, Verrat, Liebe und Hass gezeichnet ist. Der Wunsch nach Gerechtigkeit, Loyalität und Vertrauen wird auf die Probe gestellt und hinterlässt viel Chaos und Verderben im Leben aller Hauptcharaktere. Gemischt mit einer Prise Humor und Modernität wird das Stück in die heutige Zeit transportiert – und trifft dabei ins Schwarze. Die Schauspielerinnen und Schauspieler bringen ihre eigene Sprechweise mit ein, was einen tollen Kontrast zwischen Moderne und dem Alter des Stückes herstellt. Gleichzeitig scheint das Stück Themen zu behandeln, die an Aktualität nichts verloren haben.

Nach der Aufführung spreche ich mit einigen SchauspielerInnen, die den Abend noch ausklingen lassen. Saddam hat im Stück den Schweizer gespielt.

Auf der Bühne zu stehen ist einfach brutal, für meinen Alltag bringt es Kreativität.

Saddam

Und auch Para Kiala, der den bösen Bruder Franz verkörpert hat, ist begeistert: „Es war einfach aufregend für mich, den Bösewicht zu spielen und es hat heute viel Spaß gemacht. Meine Tochter war auch anwesend. Ich spiele schon seit über 30 Jahren Theater und ich bin gelernter Schauspieler“.Nicht nur die Darsteller bringen Authentizität mit auf die Bühne, sondern auch die Story wird von aktuellen Themen begleitet. Von der Kritik an materialistischen Dingen bis hin zu Monologen und Dialogen, die mich in ihren Bann ziehen – „Die Räuber“ überrascht mich nicht nur als tiefgründiges Drama, wenn man genauer hinschaut weist es sogar eine Nähe zu unserer Lebensrealität im 21. Jahrhundert auf. 

„Es ist ein Jugendstück voller aberwitziger Motive und Charakteren, ein Stück über testestorongeschwängerte Jungs, ein Aufschrei nach Wahrnehmung“, so Peter Atanassow, deutscher Schauspieler und Theaterregisseur, der über das Stück schreibt.

Ich bin eigentlich keine typische Theatergängerin, aber irgendwas hat diese Vorstellung an sich. Die Vögel zwitschern manchmal lauter als die Stimmen der Spielenden zu uns Zuschauenden hinüberschallen, was alles so unglaublich echt und authentisch macht. Auch der Spielort des Stücks, die böhmischen Wälder, passt perfekt zur Freilichtbühne mitten im Wald. Das Publikum, mich eingeschlossen, hat das Gefühl, es ist hautnah dabei. Schauspielerinnen und Schauspieler laufen zwischendurch durch die Menge und beziehen einzelne Personen mit ein. Zitate wie „Du bist von zuhause weg, weil dich niemand liebt, aber du willst nach zuhause zurück, um die Liebe zu finden?“ sind eindringlich und regen mich definitiv zum Nachdenken an.

Ich spreche außerdem mit Mohamad Koulaghassi. Er spielt im Stück die Rolle des Daniels. „Ich bin auf der Bühne, weil ich Probleme hatte“, erklärt er mir.  „Und das hat mein Leben verändert. Viele glauben an Gott, aber ich glaube an das Theater. Das ist etwas, was Leben rettet.“ Wenn junge Leute Probleme haben, sollen sie Theater oder Kunst machen, dann wird man wirklich ein anderer Mensch“, findet Mohamad. So lernt man etwas über das Leben, und auch, wie man sich beherrscht.

Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich das machen darf. Ich war zwar im Gefängnis, aber ich bin kein Außerirdischer, ich bin auch ein Mensch. Wir haben alle Ziele und Träume und wir geraten manchmal auf die schiefe Bahn, weil wir nicht mit anderen Menschen darüber reden. Auch wir wollen auch Sachen auf die Beine stellen.

Mohamed Koulaghassi

Die Welt ist unfair und gekennzeichnet von der kapitalistischen Konsumgesellschaft, in der wir uns nach Gerechtigkeit sehnen und dafür oftmals Grenzen überschreiten. Freiheit möchte jede und jeder spüren. Mit einem solchen Gefühl gehe ich nach dem Stück nach Hause.  


Die Vorstellung des Gefängnistheaters „Die Räuber“ kann man sich im Juni noch einige Male anschauen. Taucht einfach mal in eine andere Welt ein, es wird sich lohnen! Mehr Informationen findet ihr auf der Webseite aufBruch.

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