In der Selbstfindungsphase sollte man sich ausprobieren. Klamotten, Musikrichtungen – und auch sexuell. Aber wie funktioniert das, wenn man in einer Beziehung steckt? Ein Erfahrungsbericht zu dem Lebensstil offene Beziehung.
Nick Käseberg, funky-Jugendreporter
Ach, die Jugend! Ist man älter, romantisiert man sie, steckt man mittendrin, ist alles doof. Unabhängig vom Alter weiß man jedoch: Das ist die Zeit zum Ausprobieren, Scheitern, Verurteilen und Dazulernen. Wenn alles gut geht, kristallisiert sich am Ende einiger Irrungen und Wirrungen ein passender Lebensstil heraus. Ich weiß jetzt zumindest, dass es für mich nicht der Hippie-Look mit dem Delfin-Ohrring ist.
Aber es geht ja auch nicht nur ums Aussehen. Seitdem ich 14 war, habe ich mich, abgesehen von relativ kurzen Single-Phasen, von einer Beziehung in die nächste begeben. Drei Beziehungen waren es insgesamt. Ganz klassisch: Schulliebe, Schulliebe, Tinder-Liebe. Und dass meine Tinder-Liebe immer noch glücklich anhält, habe ich zum Teil vermutlich meiner zweiten Schulliebe zu verdanken. Denn mit ihr habe ich eine offene Beziehung geführt, dadurch Beziehungen besser verstehen gelernt und das monogame Gesellschaftsdenken durchbrochen, das einem vermutlich überall, aber insbesondere im ländlichen Gebiet, wo ich herkomme, vorgelebt wurde.
Offene Beziehung fördert die Selbstbestimmung
Natürlich kann ich nur aus der Sicht einer heterosexuellen, männlichen Person berichten. Aber als eben diese Person hat sich die Möglichkeit der sexuellen Selbstbestimmung und die freie Wahl der Geschlechtspartnerinnen für mich erst einmal fantastisch angehört. Gleichzeitig blieb meine Freundin als sicherer Rückzugsort an meiner Seite. Die Person für tiefe Gespräche und Zukunftspläne. Denn eine offene Beziehung darf nicht mit Polyamorie verwechselt werden – bei letzterer handelt es sich nämlich um mehrere romantische Beziehungen zur selben Zeit, bei der offenen Beziehung jedoch „nur“ um die sexuelle Freiheit.
Meine damalige Freundin und ich haben uns nach gut zwei Jahren zu diesem „Experiment“ entschieden. Sie zog nach Dresden, ich nach Berlin – beide fürs Studium, wo es viel zu entdecken gab. Der Grund für das Öffnen der Beziehung war weniger das Gefühl, etwas zu verpassen, sondern eher, dass wir uns nicht zurückgehalten oder gar ausgebremst fühlen wollten, wenn sich eine Gelegenheit zum Flirten bot. Uns war jedoch klar, dass wir grundlegende Regeln brauchten. Ich erinnere mich noch daran, wie wir uns aufs Bett setzten und alles, was uns zu dem Thema offene Beziehung einfiel, durchsprachen: Erzählt man es, wenn man mit einer anderen Person nach Hause geht? Erzählt man der dritten Person, dass man in einer Beziehung ist? Was, wenn man für eine neue Person Gefühle entwickelt? Wie sich später noch herausstellen sollte, waren wir nicht auf alle Situationen vorbereitet.
Fürs Erste beschlossen wir, mit offenen Karten zu spielen. Wir wollten uns alles erzählen – natürlich ohne Details zu nennen. Wir wollten auch nicht vorab bei der anderen Person nach dem Einverständnis fragen. Wäre ja auch schön blöd, wenn dann der Akku vom anderen mal leer wäre und keine Antwort kommt. Aber am nächsten Tag konnte das Thema beim Telefonat ruhig angesprochen werden.
Nicht sehr lange nach unserem Pakt, die Beziehung zu öffnen, konnte ich auch schon Gebrauch von meinen neuen Freiheiten machen. Es war eine großartige Erfahrung. Die Nacht selber natürlich auch, aber mehr sogar noch die Freiheit, die ich dabei verspürte. Ich dachte, mir und meiner fortschrittlichen Beziehung gehörte die Welt. Es gab mir Selbstbewusstsein, weshalb ich die offenen Beziehungsverhältnissen auch kommunizierte. Freundinnen und Freunde konnten es häufig nicht ganz fassen, den Satz „Ich könnte das nicht“ hörte ich mehr als einmal. Nach einer Weile entgegnete ich daraufhin nur noch: „Schade.“
Auch Freiheit kann Grenzen haben
Aber auch meine Freundin sammelte ihre ersten Erfahrungen mit unserer offenen Beziehung. Und während wir nach unseren Regeln spielten, verliefen auch die Gespräche immer gut. Wir redeten über dieses und jenes. Irgendwann fragte ich mal, wie es mit anderen so liefe und ich versuchte ihr gegenüber die gleiche Contenance zu bewahren, die sie mir entgegenbrachte. Und ich vertraute ihr, dass sie mir alles erzählte. Ich wusste, wenn ich mich an diesem Vertrauen festhalte, dann brauche ich keine Eifersucht zu verspüren, denn am Ende des Tages sind wir in einer Beziehung und alle anderen stehen an zweiter Stelle.
Tatsächlich fühlte ich mich in meiner Rolle schon ein wenig zu sicher. Deshalb beging ich den Fehler, mit jemandem aus unserer gemeinsamen Heimatstadt nach Hause zu gehen – während wir beide dort waren. Das war unser erster großer Streitpunkt, der die offene Beziehung betraf. Warum gehe ich mit jemandem nach Hause, wenn ich doch bei meiner Freundin hätte sein können? Im Nachhinein war mir der Fehler auch bewusst. Aber mit Feuer und Flamme zu allem bereit habe ich in der Situation die Warnsignale in meinem Kopf gekonnt ignoriert. Meine Freundin und ich beschlossen, dass uns einfach eine neutrale Zone gefehlt hatte. Ein Ort, der nur für uns beide da ist und uns daran erinnert, zu wem man gehört.
Aber nach dem Streit fielen mir noch andere Dinge auf, die vorher im Glanz meiner neugewonnenen sexuellen Revolution untergegangen waren. Meine Freundin und ich besuchten uns nicht mehr so häufig. Ich dachte: Naja, der Grund für ein Treffen während einer Fernbeziehung ist trivialerweise auch ab und an mal das Befriedigen gewisser Bedürfnisse. Das entfiel ja bei uns. Aber mit den immer seltener werdenden Treffen erlebten wir auch weniger miteinander, telefonierten weniger und zumindest wirkte es so, als verlören wir auch das Interesse an unseren Gesprächen.
Nach gut zwei Jahren der offenen Beziehung entschieden wir uns einvernehmlich dazu, uns zu trennen. Es gab keine Tränen, niemand war sauer. Wir haben uns einfach auseinandergelebt, nicht zuletzt wegen der offenen Beziehung. Sie kam kurze Zeit später mit einem der Typen zusammen, die sie in unserer gemeinsamen Zeit gesehen hatte. Sie hat es mir erzählt und ich habe mich für sie gefreut – denn bis heute sind wir befreundet und haben zumindest ab und zu Kontakt.
Welche Regeln sollte eine offene Beziehung haben?
Immer offen über alles zu reden ist wohl der wichtigste Punkt, warum meine offene Beziehung eine Zeit lang so gut funktioniert hat. Das heißt aber nicht, dass man detailreich aus dem Nähkästchen plaudern sollte – außer man steht vielleicht darauf. Vertraut euch gegenseitig diese Informationen an, um nicht in einer Fantasiewelt zu leben, in der aus der eigenen Vorstellungskraft schnell Eifersucht und schlechte Stimmung entstehen können. Definiert außerdem eine Zone oder eine Zeit, die nur euch gehört. Das kann, wenn ihr zusammenlebt, die eigene Wohnung sein. Aber auch, zu sagen: Den März über konzentrieren wir uns nur auf uns. Dabei sind festgesetzte Telefonzeiten oder ein festgesetzter Date-Abend nicht immer die beste Wahl. Denn das kann sich auf Dauer als gezwungene Situation entpuppen. Jeder und jede sollte mal abwechslungsreiche und auch spontane Unternehmungen vorschlagen, damit das aufregende Leben nicht mit dem Betreten der gemeinsamen Wohnung endet.
Was mich betrifft: Ich bin schlauer und selbstbewusster aus der offenen Beziehung herausgegangen und habe seither nie wieder ein Problem mit der Eifersucht gehabt. Ich würde auch wieder eine offene Beziehung führen und es Interessierten wärmstens empfehlen.
Du willst mehr? Du bekommst mehr!
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Warum bist du denn noch Single? In unserer Gesellschaft gilt die Beziehung als normale Lebensform.…
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Heute im Besserwisserwissen: Wusstest du, dass der übermäßige Konsum von Social-Media einen schlechten Einfluss auf…
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Die Beziehung läuft einfach nicht mehr. Ein Lösungsvorschlag: Beziehungspause. Doch kann das wirklich die Beziehung…
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Das Gefühl der Eifersucht kenn wohl jede*r. Ganz gleich, wer davon geplagt ist: Beteiligte empfinden…
In der Selbstfindungsphase sollte man sich ausprobieren. Klamotten, Musikrichtungen – und auch sexuell. Aber wie funktioniert das, wenn man in einer Beziehung steckt? Ein Erfahrungsbericht zu dem Lebensstil offene Beziehung.
Ach, die Jugend! Ist man älter, romantisiert man sie, steckt man mittendrin, ist alles doof. Unabhängig vom Alter weiß man jedoch: Das ist die Zeit zum Ausprobieren, Scheitern, Verurteilen und Dazulernen. Wenn alles gut geht, kristallisiert sich am Ende einiger Irrungen und Wirrungen ein passender Lebensstil heraus. Ich weiß jetzt zumindest, dass es für mich nicht der Hippie-Look mit dem Delfin-Ohrring ist.
Aber es geht ja auch nicht nur ums Aussehen. Seitdem ich 14 war, habe ich mich, abgesehen von relativ kurzen Single-Phasen, von einer Beziehung in die nächste begeben. Drei Beziehungen waren es insgesamt. Ganz klassisch: Schulliebe, Schulliebe, Tinder-Liebe. Und dass meine Tinder-Liebe immer noch glücklich anhält, habe ich zum Teil vermutlich meiner zweiten Schulliebe zu verdanken. Denn mit ihr habe ich eine offene Beziehung geführt, dadurch Beziehungen besser verstehen gelernt und das monogame Gesellschaftsdenken durchbrochen, das einem vermutlich überall, aber insbesondere im ländlichen Gebiet, wo ich herkomme, vorgelebt wurde.
Offene Beziehung fördert die Selbstbestimmung
Natürlich kann ich nur aus der Sicht einer heterosexuellen, männlichen Person berichten. Aber als eben diese Person hat sich die Möglichkeit der sexuellen Selbstbestimmung und die freie Wahl der Geschlechtspartnerinnen für mich erst einmal fantastisch angehört. Gleichzeitig blieb meine Freundin als sicherer Rückzugsort an meiner Seite. Die Person für tiefe Gespräche und Zukunftspläne. Denn eine offene Beziehung darf nicht mit Polyamorie verwechselt werden – bei letzterer handelt es sich nämlich um mehrere romantische Beziehungen zur selben Zeit, bei der offenen Beziehung jedoch „nur“ um die sexuelle Freiheit.
Meine damalige Freundin und ich haben uns nach gut zwei Jahren zu diesem „Experiment“ entschieden. Sie zog nach Dresden, ich nach Berlin – beide fürs Studium, wo es viel zu entdecken gab. Der Grund für das Öffnen der Beziehung war weniger das Gefühl, etwas zu verpassen, sondern eher, dass wir uns nicht zurückgehalten oder gar ausgebremst fühlen wollten, wenn sich eine Gelegenheit zum Flirten bot. Uns war jedoch klar, dass wir grundlegende Regeln brauchten. Ich erinnere mich noch daran, wie wir uns aufs Bett setzten und alles, was uns zu dem Thema offene Beziehung einfiel, durchsprachen: Erzählt man es, wenn man mit einer anderen Person nach Hause geht? Erzählt man der dritten Person, dass man in einer Beziehung ist? Was, wenn man für eine neue Person Gefühle entwickelt? Wie sich später noch herausstellen sollte, waren wir nicht auf alle Situationen vorbereitet.
Fürs Erste beschlossen wir, mit offenen Karten zu spielen. Wir wollten uns alles erzählen – natürlich ohne Details zu nennen. Wir wollten auch nicht vorab bei der anderen Person nach dem Einverständnis fragen. Wäre ja auch schön blöd, wenn dann der Akku vom anderen mal leer wäre und keine Antwort kommt. Aber am nächsten Tag konnte das Thema beim Telefonat ruhig angesprochen werden.
Nicht sehr lange nach unserem Pakt, die Beziehung zu öffnen, konnte ich auch schon Gebrauch von meinen neuen Freiheiten machen. Es war eine großartige Erfahrung. Die Nacht selber natürlich auch, aber mehr sogar noch die Freiheit, die ich dabei verspürte. Ich dachte, mir und meiner fortschrittlichen Beziehung gehörte die Welt. Es gab mir Selbstbewusstsein, weshalb ich die offenen Beziehungsverhältnissen auch kommunizierte. Freundinnen und Freunde konnten es häufig nicht ganz fassen, den Satz „Ich könnte das nicht“ hörte ich mehr als einmal. Nach einer Weile entgegnete ich daraufhin nur noch: „Schade.“
Auch Freiheit kann Grenzen haben
Aber auch meine Freundin sammelte ihre ersten Erfahrungen mit unserer offenen Beziehung. Und während wir nach unseren Regeln spielten, verliefen auch die Gespräche immer gut. Wir redeten über dieses und jenes. Irgendwann fragte ich mal, wie es mit anderen so liefe und ich versuchte ihr gegenüber die gleiche Contenance zu bewahren, die sie mir entgegenbrachte. Und ich vertraute ihr, dass sie mir alles erzählte. Ich wusste, wenn ich mich an diesem Vertrauen festhalte, dann brauche ich keine Eifersucht zu verspüren, denn am Ende des Tages sind wir in einer Beziehung und alle anderen stehen an zweiter Stelle.
Tatsächlich fühlte ich mich in meiner Rolle schon ein wenig zu sicher. Deshalb beging ich den Fehler, mit jemandem aus unserer gemeinsamen Heimatstadt nach Hause zu gehen – während wir beide dort waren. Das war unser erster großer Streitpunkt, der die offene Beziehung betraf. Warum gehe ich mit jemandem nach Hause, wenn ich doch bei meiner Freundin hätte sein können? Im Nachhinein war mir der Fehler auch bewusst. Aber mit Feuer und Flamme zu allem bereit habe ich in der Situation die Warnsignale in meinem Kopf gekonnt ignoriert. Meine Freundin und ich beschlossen, dass uns einfach eine neutrale Zone gefehlt hatte. Ein Ort, der nur für uns beide da ist und uns daran erinnert, zu wem man gehört.
Aber nach dem Streit fielen mir noch andere Dinge auf, die vorher im Glanz meiner neugewonnenen sexuellen Revolution untergegangen waren. Meine Freundin und ich besuchten uns nicht mehr so häufig. Ich dachte: Naja, der Grund für ein Treffen während einer Fernbeziehung ist trivialerweise auch ab und an mal das Befriedigen gewisser Bedürfnisse. Das entfiel ja bei uns. Aber mit den immer seltener werdenden Treffen erlebten wir auch weniger miteinander, telefonierten weniger und zumindest wirkte es so, als verlören wir auch das Interesse an unseren Gesprächen.
Nach gut zwei Jahren der offenen Beziehung entschieden wir uns einvernehmlich dazu, uns zu trennen. Es gab keine Tränen, niemand war sauer. Wir haben uns einfach auseinandergelebt, nicht zuletzt wegen der offenen Beziehung. Sie kam kurze Zeit später mit einem der Typen zusammen, die sie in unserer gemeinsamen Zeit gesehen hatte. Sie hat es mir erzählt und ich habe mich für sie gefreut – denn bis heute sind wir befreundet und haben zumindest ab und zu Kontakt.
Welche Regeln sollte eine offene Beziehung haben?
Immer offen über alles zu reden ist wohl der wichtigste Punkt, warum meine offene Beziehung eine Zeit lang so gut funktioniert hat. Das heißt aber nicht, dass man detailreich aus dem Nähkästchen plaudern sollte – außer man steht vielleicht darauf. Vertraut euch gegenseitig diese Informationen an, um nicht in einer Fantasiewelt zu leben, in der aus der eigenen Vorstellungskraft schnell Eifersucht und schlechte Stimmung entstehen können. Definiert außerdem eine Zone oder eine Zeit, die nur euch gehört. Das kann, wenn ihr zusammenlebt, die eigene Wohnung sein. Aber auch, zu sagen: Den März über konzentrieren wir uns nur auf uns. Dabei sind festgesetzte Telefonzeiten oder ein festgesetzter Date-Abend nicht immer die beste Wahl. Denn das kann sich auf Dauer als gezwungene Situation entpuppen. Jeder und jede sollte mal abwechslungsreiche und auch spontane Unternehmungen vorschlagen, damit das aufregende Leben nicht mit dem Betreten der gemeinsamen Wohnung endet.
Was mich betrifft: Ich bin schlauer und selbstbewusster aus der offenen Beziehung herausgegangen und habe seither nie wieder ein Problem mit der Eifersucht gehabt. Ich würde auch wieder eine offene Beziehung führen und es Interessierten wärmstens empfehlen.
Du willst mehr? Du bekommst mehr!
Warum bist du denn noch Single? In unserer Gesellschaft gilt die Beziehung als normale Lebensform.…
Heute im Besserwisserwissen: Wusstest du, dass der übermäßige Konsum von Social-Media einen schlechten Einfluss auf…
Die Beziehung läuft einfach nicht mehr. Ein Lösungsvorschlag: Beziehungspause. Doch kann das wirklich die Beziehung…
Das Gefühl der Eifersucht kenn wohl jede*r. Ganz gleich, wer davon geplagt ist: Beteiligte empfinden…