Interview

Suchtprävention: „Das Umfeld kann ein Risikofaktor sein“

Mann pustet Rauch aus und hält einen Joint im Mund, guckt dabei mit geschlossenen Augen nach oben
,,Man sollte sich fragen: In welcher Situation befinde ich mich? Wie häufig konsumiere ich?"

Die Suchtprävention Berlin klärt junge Menschen über die Risiken des Drogenkonsums auf

Berlin. Wird in deinem Freundeskreis regelmäßig Alkohol getrunken? Haben manche vielleicht sogar schon im Jugendalter angefangen zu rauchen oder zu kiffen? Bis zu einem gewissen Punkt ist es normal, sich auszuprobieren. Allerdings gehen mit dem Konsum legaler und illegaler Drogen auch Situationen einher, die nicht immer überschaubar sind. Die Suchtprävention Berlin bestärkt junge Menschen darin, souverän mit diesen Situationen umzugehen, Rausch- und Risikosituationen bewusst wahrzunehmen und offen über das Thema Konsum zu sprechen. Anna Freiesleben und Mailin Mitschka arbeiten als Expertinnen bei der Fachstelle für Suchtprävention Berlin und sprechen im Interview darüber, welche Folgen Drogenkonsum im Jugendalter haben kann, welche Rolle das Umfeld spielt und wo die Grenze zur Sucht gezogen werden kann.

Anna Freiesleben

Zuallererst einmal: Was sind Drogen?
Anna Freiesleben: Drogen sind Substanzen, die psychoaktiv wirken. Das heißt, sie verändern unser Verhalten oder unser Empfinden. Sie unterscheiden sich allerdings in der Wirkungsweise: Es gibt Substanzen, die beruhigen, andere putschen auf. Einige Substanzen wirken mehr auf den Körper, andere mehr auf die Psyche. Unterschieden wird auch danach, wie abhängig bestimmte Drogen machen und wie gefährlich sie sind. Auch legale Substanzen wie Alkohol können als Droge betrachtet werden, denn auch er wirkt psychoaktiv und hat Rauschpotenzial.

Welche Aspekte sind bei der Unterscheidung wichtig – auch aus einer rechtlichen Perspektive?
Anna: Legale Drogen sind Alkohol, Tabak, aber auch Medikamente. Natürlich gibt es auch viele illegale Drogen wie Cannabis oder Kokain. Die rechtliche Einstufung sagt nicht unbedingt etwas über das Gefährdungspotenzial aus: Auch Alkohol und Tabak können tödlich sein. Dennoch erlaubt die Legalisierung eine gewisse Qualitätskontrolle. Es gibt in Deutschland beispielsweise wenig Probleme mit gepanschtem Alkohol. Prinzipiell geht es beim Konsum darum, möglichst risikoarm zu konsumieren.

Mailin Mitschka

Mailin Mitschka: „Risikoarm“ bedeutet dabei, die körperliche und psychische Verfassung mit im Blick zu behalten. Man sollte sich fragen: In welcher Situation befinde ich mich? Wie häufig konsumiere ich?

Welche Rolle spielt das Umfeld oder die Schule beim Drogenkonsum?
Mailin: Eine sehr große Rolle. Gerade junge Menschen durchleben eine herausfordernde Zeit: Identitätsfindung, die Ablösung von den Eltern, erste Erfahrungen in der Liebe sowie Gruppenkonstellationen. Diese Zeit kann sehr konfliktreich sein.

Das Umfeld kann also sowohl Schutzfaktor als auch Risikofaktor sein.

Die Schule ist während dieser Zeit durch die Schulpflicht als konstantes Setting präsent. Dort hat die Suchtprävention die Chance, über ein Alltagsthema wie den Konsum bestimmter Substanzen zu sprechen und mit jungen Menschen in Austausch kommen. 

Welche Drogen kommen bei Jugendlichen am häufigsten vor?
Mailin: Allein auf der Basis der Legalität oder Illegalität von Substanzen gibt es in Deutschland natürlich unterschiedliche Verfügbarkeiten. Alkohol, Nikotin und Medikamente kommen dementsprechend am häufigsten vor, aber auch Cannabis wird viel konsumiert.

Wie ist die aktuelle Lage zum Thema Drogenkonsum in Berlin oder Deutschland? 
Anna: Insgesamt weiß man, dass in Berlin der Partydrogen-Konsum eine große Rolle spielt. Das gilt vor allem für junge Erwachsene. Im Schulkontext ist der Konsum von Cannabis in Berlin höher ist als im Bundesdurchschnitt. Insgesamt sind in Deutschland Alkohol und Tabak die am meisten konsumierten legalen Drogen, aber auch Cannabis als illegale Droge ist sehr weit verbreitet.

Sind manche Drogen gefährlicher als andere?
Anna: Manche Drogen sind akut gefährlich. Wenn man zum Beispiel zu viel Alkohol trinkt, kann man daran sterben, ganz konkret. Dafür haben Zigaretten kein vergleichbar akutes Gefährdungspotenzial, sind hingegen über einen langen Zeitraum sehr schädlich. Cannabis wiederum birgt psychische Risiken. Gerade wenn man sich noch in der Entwicklung befindet, kann der Konsum schwere psychische Probleme zur Folge haben. Bei illegalen Substanzen weiß man nicht immer genau, was sie beinhalten, was auch ein großes Risiko darstellt. 

Mailin: An dieser Stelle sollte man auch den Mischkonsum erwähnen. Die Wechselwirkung unterschiedlicher Substanzen kann höchst problematisch sein, weshalb Mischkonsum höhere Risiken birgt, als wenn man bei einer Substanz bleibt.

Wie kann der E-Zigaretten-Trend, der vor allem bei jungen Menschen zu beobachten ist, eingeordnet werden?
Anna: Vapes und Einweg-E-Zigaretten sind bei jungen Menschen sehr beliebt. Eine Studie hat kürzlich gezeigt, dass die Zahl der Raucherinnen und Raucher unter den Jugendlichen wieder stark ansteigt, nachdem sie jahrelang gesunken ist. Wir vermuten, dass es mit dem E-Zigaretten-Trend zusammenhängt. Vapes schmecken gut, sind nicht so unangenehm wie normale Zigaretten – nichtsdestotrotz enthalten sie Nikotin. So erschließt man dem Rauchen eine neue Zielgruppe. 

Mailin: Dabei dienen die E-Produkte selten als Ersatz zur Zigarette, sondern eher als niederschwelliger Einstieg in den Tabakkonsum. Dabei sind alle E-Produkte, genauso wie herkömmliche Zigaretten, erst ab 18 Jahren erlaubt. Vapes und E-Produkte sind außerdem nicht nur gesundheitsschädlich, sondern auch umweltschädlich. Der Akku ist zum Beispiel Sondermüll.

Warum ist der Drogen- oder Tabakkonsum im jugendlichen Alter schlimmer als bei Erwachsenen?
Anna: Je früher man mit dem Konsum beginnt, desto höher ist das Risiko, dass eine Abhängigkeit entwickelt wird. Hinzu kommt, dass sich im Jugendalter Körper und Gehirn noch in der Entwicklung befinden. Es bildet sich viel neu, im Gehirn finden Verschaltungen statt. An dieser Stelle greifen die Substanzen ein und können vieles beeinflussen – auch zum Negativen.

Eines der Ziele der Suchtprävention ist es, dass das Einstiegsalter sich möglichst nach hinten verschiebt.

Ab wann kann man von Sucht sprechen?
Anna: Sucht, oder auch Abhängigkeit, ist eine Erkrankung mit bestimmten medizinischen Kriterien. Dazu gehören Entzugssymptome, eine Toleranzentwicklung – also ein steigender Konsum bei gleicher Wirkung –, Kontrollverlust oder das starke Verlangen nach dem Konsum, sodass dabei andere wichtige Dinge im Alltag vernachlässigt werden. Und vor allem: Man hört nicht auf, auch wenn es einem schlecht geht. Bis zur Sucht ist es ein längerer Weg, auf dem jedoch bereits der sogenannte „riskante“ oder „problematische“ Konsum liegen kann. Diese Art des Konsums kann Vorstufen der Sucht beinhalten, aber noch nicht alle Kriterien erfüllen. Wichtig ist, dass man bereits die Tendenz erkennt und handelt. Natürlich ist das Experimentieren und Ausprobieren bei Jugendlichen ein Stück weit normal. Ein Warnzeichen für problematischen Konsum ist, wenn der Konsum eine bestimmte Funktion einnimmt. Wenn ich mit Problemen nicht klarkomme und konsumiere, um Probleme zu vergessen oder mich besser zu fühlen.

Warum ist Suchtprävention und Aufklärung so wichtig?
Anna:
Es gibt junge Menschen, die nicht konsumieren wollen. Sie sollen darin gestärkt werden, dass das okay ist – auch in Gruppensituationen. Man muss nicht mitmachen, ganz gleich, ob es sich um legale oder illegale Substanzen handelt. Gleichzeitig soll der Konsum – wenn er denn stattfindet – möglichst sicher gestaltet werden. Dazu gehört bei Jugendlichen, dass sie bestimmte Dinge kennen, dass sie informiert werden und dass sie selbstbestimmt Risiken einschätzen können. Und: Dass sie wissen, wo sie sich im Ernstfall Hilfe holen können.

Mailin: Ein weiterer Punkt ist das Enttabuisieren. Vielleicht wird im Elternhaus nicht über Drogen gesprochen. Die Generationen unterscheiden sich auch in ihrem Umgang mit dem Drogenkonsum. Prävention ist wichtig, damit das Thema aus der Tabuecke geholt wird und darüber gesprochen wird. Denn wir können alle indirekt oder direkt davon betroffen sein und haben durch die Aufklärung die Möglichkeit, besser mit etwaigen Problemen umzugehen, Anlaufstellen zu kennen. Je mehr Wissen man hat, desto eher kennt man die Risiken und Gefahren – und auch den eigenen Körper. Erst durch das Gespräch können viele Gerüchte, Falschinformationen und das Halbwissen über Drogen aus der Welt geschafft werden.

Gibt es eine „Checkliste“, woran man erkennen kann, dass man selbst oder andere süchtig sind?
Anna: Es gibt Selbsttests auf Webseiten, die Fragen stellen wie: Wie viel konsumierst du? Wann konsumierst du? In welcher Situation konsumierst du? Die Selbsttests geben eine Einschätzung ab. Das ist keine Diagnose, aber dadurch kann man abgleichen, ob der Konsum noch risikoarm oder schon problematisch ist.

Was können junge Menschen tun, die merken, dass sie selbst oder eine Person in ihrem Umfeld süchtig sind?
Mailin: Wichtig ist, darüber zu sprechen. Das muss nicht unbedingt eine professionelle Person sein. Das kann eine Vertrauensperson sein: die beste Freundin, ein Elternteil oder die Schulsozialarbeit. Das Thema Drogenkonsum ist häufig mit Sorgen, Angst und Scham besetzt. Dann gibt es viele niederschwellige und auch anonyme Anlaufstellen, wie zum Beispiel die „Nummer gegen Kummer“. Dort sitzen Profis, die weitere Wege mit einem besprechen können.

Anna: Die Beratung ist auch per Chat möglich, wenn man ungern telefoniert. Auf der anderen Seite sollte man genau hingucken, wenn es Menschen im eigenen Umfeld schlecht geht. Auch wenn es manchmal schwerfällt, sollte man im Zweifel seine Sorgen äußern und sie darauf ansprechen.

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