Meinung

Bye, Bye Raucherecke?

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Junge Menschen rauchen seit zwanzig Jahren immer weniger. Wird das Rauchen vollständig aussterben?
Oskar Schulz, funky-Jugendreporter

Sie gehört zu jeder Schule dazu – die Raucherecke. An den Fahrradständern oder direkt vor dem Schultor machen viele Schüler*innen ihre Erfahrung mit der ersten Zigarette. Doch wie lange noch?

Weite Teile der Politik und Wissenschaft kämpfen schon seit Jahrzehnten gegen das Rauchen, vor allem im Jugendalter. Und das mit Erfolg: Zwischen 2001 und 2019 ist der Zigarettenkonsum der 12-17-Jährigen um drei Viertel gesunken. Von ihnen rauchen heute nur noch 8,7 Prozent.

Verbot für Außenwerbung

Zwar ist der Verkauf von Tabakwaren an Unter-18-Jährige schon lange verboten, Werbung für die Produkte konnten Jugendliche allerdings lange ungehindert konsumieren. Mit der Änderung des Tabakerzeugnisgesetzes aus dem Jahr 2020 soll damit nun endgültig Schluss sein. Seit letztem Jahr darf vor Kinofilmen, die Jugendliche bis 18 Jahre besuchen können, nun keine Tabakwerbung mehr gezeigt werden. Ab diesem Jahr gilt außerdem ein Verbot für Außenwerbung von Tabakprodukten, beispielsweise an Litfaßsäulen oder Bushaltestellen. E-Zigaretten und andere „Alternativen“ dürfen ab 2024 nicht mehr beworben werden. Lungenärzte fordern ein solches Werbeverbot schon seit langem. Aus guten Gründen: Laut der ehemaligen Drogenbeauftragten Daniela Ludwig versterben jährlich immer noch 127.000 Menschen an den Folgen ihres Tabakkonsums.

Werden also junge Menschen bald mit dem Rauchen komplett aufhören? Entdprechende Werbung wird aus dem öffentlichen Raum vollständig verschwinden. Zudem sei das Rauchen ja sowieso „out“, wie ärztliche Aufklärungskampagnen und die Politik schon lange überoptimistisch feststellen. Schließlich leben gerade junge Menschen sehr bewusst, was die Themen Ernährung und Gesundheit angeht.

Corona stoppt den Trend

In der Pandemie kehrt sich der lange rückläufige Trend nun jedoch um. Vor allem Jugendliche und junge Erwachsene haben in der Coronakrise öfter Alkohol getrunken und geraucht. Ein Indiz dafür, dass die sozialen Folgen der Pandemie besonders junge Menschen hart treffen: Laut einer forsa-Umfrage im Auftrag der Kaufmännischen Krankenkasse greift jeder Dritte der jüngeren Raucher*innen seit Ausbruch der Coronakrise häufiger zur Zigarette. Bei Älteren ist es nur jeder Vierzehnte.

Die beste kostenlose Werbung bleibt

Außerdem ist zwar Werbung für Tabak vor Kinofilmen verboten worden, Werbung in den Filmen bleibt aber weiterhin erlaubt. Obwohl Produktplatzierungen für Zigaretten in Bewegtbildern illegal sind, ist es in vielen Filmen und Serien völlig normal, emotional verbrauchte Charaktere als Kettenraucher*innen darzustellen. Wenn Matthew McConaughey, Ryan Gosling oder Anya Taylor-Joy lässig an einer Zigarette ziehen, ist das die beste Werbung. Laut einer Studie der US-amerikanischen Anti-Raucher-Vereinigung „Truth Initiative“ sind die Streaming-Serien besonders schlimm: In 54 Prozent aller Amazon- und Netflix-Serien wird der Untersuchung zufolge gequalmt. Stranger Things steht unangefochten an der Spitze. In der ersten Staffel allein werden sage und schreibe 182 Kippen geraucht.

Solange Zigaretten als dramaturgisches Symbol nicht aus Filmen verschwinden werden, wird das Rauchen wahrscheinlich niemals aussterben. Ein Verbot der Darstellung lässt sich aber wohl kaum mit künstlerischer Freiheit vereinbaren. Gerade in historischen Filmen sind sie schwer wegzudenken. Wie soll das auch aussehen? Ein Detective im New York der Vierziger Jahre, der beim Fälle lösen an einem Smoothie nippt?

Rauchen und Vintage-Klamotten haben etwas gemeinsam

Wenn ich mich in meiner Berliner Studierenden-Bubble umsehe, bin ich ähnlich vorsichtig. Es wird geraucht, und zwar viel. Kaum jemand, der am Späti abends nicht sein Drehzeug rausholt. Rauchen hat eine neue Protestnote bekommen, die sich nicht mehr nur gegen Eltern oder das Verbot an sich richtet, sondern gegen den Zeitgeist generell. Genauso wie Polaroid und Analogkameras wieder benutzt werden, weil sie so herrlich altmodisch sind und gegen die digitale Flüchtigkeit helfen. Mit dem Rauchen ist es nicht anders: Rauchen hat für viele junge Menschen einen gewissen Retro-Charme, ähnlich wie Vintage-Mode. Und solange Rauchen in unserer Kultur verankert ist, bleibt es vielleicht leider Deutschlands vermeidbarste Todesursache.

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Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.