Interview

Studierende des klassischen Gesangs im Interview: „Opern werden nie aussterben!“

Lilli sing im Stück „Ikarus".
Lili (25) singt und spielt in der Oper „Ikarus".

Hochnäsig, voluminös und ein bisschen affektiert – ungefähr wie die „Mailänder Nachtigall“ Bianca Castafiore aus den „Tim und Struppi“-Comics stellen sich viele vielleicht Opernsängerinnen und Opernsänger vor, oder? Doch weit gefehlt: Lilian Katthän (25) und Armin Horn (22) studieren klassischen Gesang in Berlin – und verkörpern das Gegenteil der gängigen Klischees. Doch warum wollen sie überhaupt Opernsänger*in werden? Ist die Oper nicht längst am Aussterben? Und wie zersingt man ein Glas? Im Interview haben sich die beiden diesen und anderen Fragen gestellt.

Friederike Jost, funky-Jugendreporterin
Armin Horn singt.
Foto: Johannes Jost

Wie seid ihr darauf gekommen, Operngesang zu studieren?
Armin:
Ich habe schon vor dem Studium mit meinen Freunden im Staats- und Domchor gesungen. Viele von ihnen haben sich dann um einen Platz an der Universität der Künste beworben, immer davon erzählt und mich dann schließlich damit angesteckt. Gesang hat in meinem Leben schon immer eine wichtige Rolle gespielt. Deshalb wollte ich mich einfach mal an der Aufnahmeprüfung versuchen. Und es hat geklappt!

Lili: Die klassische Musik wurde mir im wahrsten Sinne des Wortes in die Wiege gelegt. Meine Mutter ist Pianistin und leitet eine Musikschule. Schon als Baby hat sie mich immer zu Proben mitgenommen. Später habe ich im Kinderchor Opern gesungen. Nach der Schule wusste ich, dass ich etwas mit Musik machen wollte und habe ein bisschen herumprobiert, bis ich mich schließlich hier in Berlin beworben habe. Ich hatte aber auch viel Glück und bin an die richtigen Leute und Gesangslehrer*innen geraten. Das gehört auch immer dazu!

Ich freue mich, wenn ich meine Begeisterung mit meinen nicht-klassikaffinen Freund*innen teilen kann.

Lili

Nicht alle eurer Freund*innen sind klassikbegeistert. Was halten die von eurem Berufswunsch?
Armin: Meine Freunde sind mit der Zeit irgendwie alle in dieser Klassik-Bubble gelandet. Aber wenn ich auf neue Leute treffe und ihnen von meinem Studium erzähle, kommen eigentlich immer nur positive Reaktionen.

Lili: Ich versuche wirklich aktiv auch was mit Menschen außerhalb dieser Bubble zu machen, denn es passiert sehr schnell, dass man immer nur unter sich ist. Das ist ein Stück weit auch klar, bei der ganzen Zeit, die man während der Proben und im Studium mit anderen Musiker*innen verbringt. Deshalb freue ich mich immer, wenn ich meine Begeisterung mit meinen nicht-klassikaffinen Freund*innen teilen kann.

Was lernt man so in einem klassischen Gesangsstudium?
Armin: Neben Gesang muss jeder noch ein Instrument spielen können. Ich habe zum Beispiel Klavierunterricht. Aber auch Fächer wie Sprecherziehung und Italienisch stehen auf dem Plan, weil sehr viele Opern auf Italienisch geschrieben sind. Dazu kommen Bühnenfechten, Schauspiel und generell Bewegungsunterricht. Manchmal muss man seinen Körper komplett verbiegen und trotzdem klar, laut und deutlich seine Töne hervorbringen. Davon nehme ich persönlich auch viel in meinen Alltag mit.

Lili: Ich habe auch einen Diktionskurs. Da lernt man, alle möglichen Sprachen richtig auszusprechen – ich kann zum Beispiel gut Russisch reden – aber ich weiß gar nicht, was ich überhaupt sage. In Kursen wie „Digitaler Auftritt“ und „Interkulturelle Kommunikation“ wird gezeigt, wie wir uns später dann auch international vernetzen können.

Ich glaube, dass es immer Leute geben wird, die ihren Weg in die Oper finden werden.

Armin

Die bekannteren Opern stammen von Mozart, Verdi oder Bizet – die ja alle schon lange tot sind. Würdet ihr sagen, Opern sind am Aussterben?
Armin: Opern werden nie aussterben. Jedoch werden sie immer weniger für die Allgemeinheit tauglich. Ich habe das Gefühl, dass sich viele Leute nicht mehr dafür interessieren, was ich sehr schade finde. Allerdings glaube ich auch, dass es immer Leute geben wird, die ihren Weg in die Oper finden werden.

Lili: Vielleicht sind die alten, klassischen Opern am Aussterben. Aber wer sagt denn, dass sie sich nicht entwickeln und an die modernen Umstände anpassen können? Ich wäre für eine Formatanpassung! Opern sind nicht nur was für ernste Menschen aus der Oberschicht. Man muss sich von solchen Denkmustern trennen, und zwar auf beiden Seiten. Und eins ist sicher: Kreativität wird nie aussterben!

Habt ihr Zukunftsängste?
Armin:
Ich habe keine Angst, aber ich behalte immer im Hinterkopf, dass ein Abschluss meines Studiums nicht automatisch eine Anstellung an einem renommierten Opernhaus bedeutet. Die Branche lässt sich mit verschiedenen Stufen an Sieben vergleichen. Am Anfang ist das Sieb noch grob, da fallen noch mehrere Leute durch. Aber dann wird es immer feiner und immer weniger Menschen schaffen es, mit Gesang ihr Geld zu verdienen. Meistens kann man leider nicht selbst beeinflussen, durch welches Sieb man noch fällt. Ich tue alles, was ich kann, um meinen Traum zu verwirklichen, aber am Ende gehört auch immer Glück dazu.

Lili: Wir alle haben einen Plan B. Ich zum Beispiel werde sehr wahrscheinlich parallel noch Gesang unterrichten. Ich sehe mich nicht nur in der Oper, sondern könnte mir auch vorstellen, im Theater, bei Filmen oder anderen Kunstprojekten mitzuwirken. Manchmal überlege ich, einfach noch einen sicheren Job zu erlernen und die Musik dann als Hobby nebenbei zu machen. Aber das wäre mir viel zu langweilig!

In meinem Badezimmer singe ich gern, da vibrieren die Töne so schön.

Lili

Habt ihr schon mal versucht, mit eurer Stimme ein Glas zu zerklirren?
Armin: Nein, das können, wenn überhaupt, dann eher Frauen. Dafür muss man genau den gleichen Ton des Glases erzeugen und ihn sehr laut und lange halten, das ist wirklich schwer. Aber immerhin habe ich schon einen Strohhalm im Glas durch meine Stimme in Bewegung gebracht!

Lili: Ich habe es auch noch nie versucht, aber manchmal merkt man, dass bestimmte Töne in Räumen besonders gut klingen und schwingen. In meinem Badezimmer singe ich gern, da vibrieren die Töne so schön.

Besteht das Publikum von Opernsänger*innen nur aus alten Leuten?
Armin:
Nicht nur, es kommen ja auch Freund*innen und die Familie. Aber der Großteil gehört wirklich eher zu den älteren Generationen.

Lili: Vor allem sind es alte Frauen.

Wie sieht euer Alltag aus?
Armin: Man muss leider früh aufstehen, dann ist die Stimme später besser. Dann mache ich vor dem ersten Unterricht immer ein Warm-up. In meinen Pausen zwischen den Kursen übe ich oft Klavier. Nach der Uni höre ich auch sehr gern anderen zu oder habe Proben für andere Gesangsprojekte. Abends hat man oft entweder selbst ein Konzert oder hört sich eines an. Die Musik zieht sich auf jeden Fall durch meinen ganzen Alltag.

Lili: Ich mache morgens gerne Yoga, das aktiviert meinen Körper. Anschließend aktiviere ich meine Stimme mit Übungen, die sich immer sehr lustig anhören. In meinen Pausen mache ich auch viel Gehörbildung und übe, vom Blatt zu singen. In meiner Freizeit mag ich es neben meinen Projekten aber auch, einfach gemeinsam mit meinen Freund*innen zu musizieren.

Wie war das, in Corona-Zeiten zu studieren?
Armin: Was wir auf jeden Fall alle gelernt haben: Gesangsunterricht eignet sich nicht für ein Online-Format. Man hört sich nicht richtig, bemerkt keine Feinheiten und es ist sehr schwer, Körper und Atmung nur über einen Bildschirm zu beurteilen.

Lili: Viele Kurse haben auch einfach nicht stattgefunden und müssen jetzt wiederholt werden. Wie soll man denn Fächer wie Bühnenfechten digital unterrichten? Also ich habe keinen Degen zuhause!

Welche Opern würdet ihr Menschen empfehlen, die sich gerne mehr damit befassen würden, aber nicht so richtig wissen, wo sie anfangen sollen?
Armin:
Operetten wie beispielsweise „Die Fledermaus“. Sie sind leichter und unterhaltsamer als große Opern.

Lili: Oder Mozartopern wie „Figaro“ und „Don Giovanni“. Auch „Rigoletto“ von Verdi ist eine schöne Einstiegsoper.

Eigentlich sind wir wie eine Fußballmannschaft. Wir haben einen richtig guten Teamgeist.

Armin

Sind Opernsänger*innen Spießer?
Armin: Nein. So mag uns vielleicht die Gesellschaft sehen. Aber eigentlich sind wir wie eine Fußballmannschaft. Nur, dass wir statt zum Training zu Proben gehen und statt Spielen Konzerte haben. Aber auf jeden Fall haben wir einen richtig guten Teamgeist.

Lili: Naja, ein bisschen spießig sind wir alle.

Wieso sollte man Opernsänger*in werden?
Armin: Aus Leidenschaft.

Lili: Um Liebe und Emotionen auf die schönste Art und Weise zum Ausdruck zu bringen.

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