Interview

Indie-Band „Giant Rooks“ im Interview: „In erster Linie machen wir Musik für uns selbst“

Sie sind durch die deutsche Pop-Decke gegangen wie kaum eine zweite Band und spätestens seit ihrem Hit „Wild Stare“ kennt sie jeder: die Giant Rooks. Die fünfköpfige Band aus Hamm gilt als Aushängeschild für den deutschen Indie-Pop und befindet sich mittlerweile auf Augenhöhe mit Milky Chance, Kraftklub und AnnenMayKantereit – alles Bands, für die sie früher lediglich die Underground-Vorband gemimt haben. Im Sommer 2020 veröffentlichten die fünf Mittzwanziger nun ihr Debütalbum „Rookery“ und spielten sich mit ihrer experimentellen Vielfältigkeit gleich in die Herzen der Zuhörer. Im Interview sprechen die Gründungsmitglieder Frederik und Finn über Authentizität und ihre abstrakten Songtexte.
Von Ronja Buchin, Funky-Jugendreporterin

In Rezensionen steht, ihr wärt „für deutsche Verhältnisse ziemlich gut“. Wie ordnet ihr euch selbst in der deutschen Musikszene ein?
Frederik: Ich finde Ausdrücke wie „für deutsche Verhältnisse“ oder „für euer Alter“ immer etwas seltsam. Entweder unsere Musik gefällt jemandem, oder eben nicht. Das sollte nichts mit Alter oder Herkunft zu tun haben. Aber um auf die deutsche Musikszene einzugehen: Ich glaube, diese wird aktuell eindeutig von deutschsprachiger Musik dominiert. Insofern können Künstler mit englischen Texten bei uns schon als Besonderheit angesehen werden.

Wie seid ihr denn zu eurem individuellen Sound gekommen?
Finn: Wir haben die Band Anfang 2015 gegründet und seitdem immer gemeinsam musiziert. Wir haben in den fünf Jahren unzählige Konzerte gegeben und uns jeden Tag im Proberaum getroffen, um neue Musik zu schreiben. In dieser Zeit haben wir also immer weiter an unserem Sound gefeilt, viel ausprobiert und neue Ideen entwickelt. Wie der jetzige Sound genau entstanden ist, ist schwer zu sagen. Aber wir lassen uns von vielen musikalischen Stilen inspirieren, weil wir alle sehr unterschiedliche Musikgenres hören. Im Endeffekt versuchen wir, all unsere Einflüsse zu kombinieren und so einen Sound zu schaffen, den wir selbst spannend finden. Gleichzeitig soll er auch etwas Neues, Zeitgemäßes sein und zum Jahr 2020 passen.
Frederik: Ich bin der Meinung, dass der Sound unseres Debütalbums einen neuen Abschnitt unserer musikalischen Evolution abbildet. Ich hoffe, dass wir uns auch in Zukunft noch weiterentwickeln und dabei auch weiterhin die Freiheit haben, immer so zu klingen, wie wir es gut finden. Wir haben keine Scheu vor Neuem, sowohl sound- als auch genretechnisch, solange es authentisch bleibt.

Eure Texte sind bekannt für ihre Abstraktheit und eindrucksvolle sprachliche Bilder. Wer schreibt sie?
Finn: Wir arbeiten immer sehr gemeinschaftlich. Natürlich hat jeder von uns sein eigenes kleines Spezialgebiet, sodass wir Aufgaben verteilen können. Aber wir stehen dabei im ständigen Austausch.
Frederik: Den Großteil unserer Texte schreibt aber Finn, wobei er meistens mit mir kooperiert. Das ist so ein Ding zwischen uns beiden. Aber hauptsächlich sind es Finns Ideen.

Was wollt ihr mit euren Texten und der Musik in Menschen auslösen?
Finn: Also in erster Linie macht man die Musik ja für sich selbst. Wenn man anfängt, etwas Kreatives für jemand anderen zu machen, wird alles sehr schnell unauthentisch. Was genau wir beim Zuhörer auslösen können und wollen, kann ich nicht beantworten.
Frederik: Auf „Rookery“ stellen wir viele Fragen in den Raum, auf die wir selbst keine Antwort haben. Das sind teilweise echt interessante Fragen für unsere Generation und natürlich auch uns selbst. Ich kann mir vorstellen, dass diese abstrakten Fragen die Leute zum Nachdenken anregen.

In den Videos, den Texten und auf dem Cover fällt ein Motiv auf: der freie Fall. Ist dieser positiv oder negativ zu deuten?
Finn: Genau diese Ambivalenz und Uneindeutigkeit des Motivs soll thematisiert werden. Auf dem Cover hat das Fallen einerseits etwas Selbstzerstörerisches und Bedrohliches, andererseits strahlt das Bild eine gewisse Romantik und Schönheit aus. Und das ist auch das, was wir daran so spannend finden. Wir wollen damit sagen: Es ist okay, mal zu fallen und nicht auf alles die Antwort zu kennen. Diese Thematik beim Cover, den Songs und den ganzen rhetorischen Fragen aufzugreifen hat sich beim Erarbeiten der Platte ganz natürlich ergeben. Rückblickend war das auch nicht wirklich planbar. Im Laufe des Schreibprozesses hat irgendwann einfach alles zusammengepasst.

„Misinterpretations in every breath I take“ – fühlt ihr euch oft missverstanden?
Frederik: So ein Gefühl kennt jeder.
Finn: Sehe ich auch so. Jeder fühlt sich mal missverstanden, mal mehr, mal weniger. Aber die Zeile bezieht sich nicht direkt auf uns. Oft versuchen wir lediglich, uns in eine bestimmte Perspektive hineinzudenken und einzufühlen und dazu einen Text zu verfassen – in diesem speziellen Fall die des Missverstandenen. Bei „Misinterpretations“ hat mich aber noch eine andere Sache speziell inspiriert: das sogenannte „Impostor Syndrome“ (dt. Hochstapler-Syndrom). Das ist ein psychologisches Phänomen, das häufig bei Leuten auftritt, die in der Öffentlichkeit einen gewissen Bekanntheitsgrad haben. Betroffene haben das Gefühl, nicht die Person zu sein, die sie in der Öffentlichkeit normalerweise darstellen, und ihre Maskerade nach und nach fallen zu sehen. Das heißt aber nicht, dass ich als Schreiber genau das fühle, sondern eigentlich nur, dass es eine interessante Angelegenheit ist, die mich beim Verfassen vom „Misinterpretations“-Text beeinflusst hat.

Was bedeutet es für euch, euer Debütalbum herausgebracht zu haben?
Frederik: Eigentlich alles. Das mag jetzt vielleicht übertrieben klingen, aber ich glaube, der Tag der Veröffentlichung ist bis jetzt der wichtigste in unserem Leben gewesen. Oder, Finn?
Finn: Auf jeden Fall!
Frederik: Ich meine: Finn und ich machen zusammen Musik, seitdem wir sieben Jahre alt sind. Damals war natürlich nicht ansatzweise an ein Album zu denken. Aber als wir irgendwann eine Band sowie Live-Erfahrung hatten, war dann der Wunsch und der Anspruch da, eine Debütplatte zu veröffentlichen. Also haben wir unglaublich viel Energie und Zeit in dieses Projekt gesteckt. Jetzt im Nachhinein sind wir einfach stolz und super zufrieden mit dem Resultat!

Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.