„I got the ick“ – Der Drahtseilakt von Anziehung und Abscheu

Zwei Personen sitzen in einem dunklen Kinosaal
Man schaut das Date an und aus dem Nichts empfindet man eine Abneigung, fast schon Abscheu – was steckt hinter dem „Ick“?
Matheo Berndt, funky-Jugendreporter

„POV: You’re on a date with a walking Ick“: In einem Video sitzt ein Mann an einem Tisch. Mit jeder Sekunde, die du weiterschaust, empfindest du wachsende Abscheu ihm gegenüber. Sei es die Bewegung seiner Augenbrauen, die Formulierung seiner Flirtversuche, die Art, wie er das Besteck hält oder sein Umgang mit dem Kellner: Am Ende des Videos bleibt nichts als eine unerklärliche Abneigung, dabei hat er eigentlich gar nichts Schlimmes gemacht. 

Auf dem Videoportal TikTok ist dieses Gefühl als „Ick“ bekannt. Der Mann im Video wird in den Kommentaren unter allen seiner „POV: Ick“-Videos förmlich angefleht, zu beweisen, dass er auch wirklich nur schauspielert. Der Begriff „Ick“ hat auf TikTok eine Welle von Anekdoten und Beiträgen losgetreten, in denen etliche User*innen ihre ganz persönlichen Icks erklären. Aber was ist das überhaupt?

Ein „Ick“ beschreibt das Gefühl, jemanden aufgrund eines kleineren oder größeren Details weniger oder überhaupt nicht mehr attraktiv zu finden, im Extremfall sogar Abscheu ihm*ihr gegenüber zu verspüren. Den Ick können Menschen aller Geschlechter gegenüber Menschen aller Geschlechter verspüren, in den meisten Beispielen erzählen Personen jedoch von Icks gegenüber Männern. Im Prinzip ist der Ick also ein anderer Ausdruck für einen „Turn-Off“, jedoch unterbewusster, weil er sich oft auf sehr viel kleinere, banale Dinge bezieht.

„Wenn er seinen Pulli nicht über den Kopf gezogen bekommt und stärker ziehen muss.“

So liest man beispielsweise von folgenden Icks:„Wenn er seinen Pulli nicht über den Kopf gezogen bekommt und stärker ziehen muss“, „Wenn er auf einer Party alle auf einem Haufen tanzen sieht und versucht, in die Gruppe reinzukommen“, „Wenn er in der Badewanne sitzt“. Natürlich gibt es auch Icks, die sich auf tieferliegende Charaktereigenschaften beziehen, die meisten beschreiben jedoch so gewöhnliche Dinge, dass man sich das Gefühl selbst kaum erklären kann. Mein persönlicher Ick ist zum Beispiel der Peace-Emoji.

Wenn man erst einmal die lustigen Schichten der Ick-Stories abgeschält hat, beginnt man allerdings schnell festzustellen: Icks sind menschliche Macken. Sie entstehen vor allem dann, wenn man von jemandem ein übermenschlich makelloses Bild hatte und ein winziges Detail daran erinnert, dass man vor einem echten Menschen steht. Fast habe ich Mitleid mit den Protagonist*innen der Ick-Geschichten, weil sie ja nicht vorhersehen konnten, dass ein so winziges Detail für ihr Gegenüber abstoßend sein könnte.

Unterbewusste Anzeichen für Inkompatibilität

Andererseits sind Icks für viele ein unterbewusstes Zeichen für Inkompatibilität. Vorhersehbar oder nicht, wenn jemand auf einmal das Gefühl hat, nicht mit ihrem*seinem Gegenüber zusammenzupassen, ist das für das Gegenüber zwar nicht schön, aber dennoch ein wichtiges und aussagekräftiges Gefühl – umso mehr, wenn Icks den Charakter betreffen, wie: „Wenn er unfreundlich zu den Kellner*innen ist“.

Der Fokus auf Männer ist für viele eine Möglichkeit, der Idealisierung von Männlichkeit in der Gesellschaft gegenzusteuern – vor allem, wenn es Dinge sind, die für Frauen und weiblich gelesene Personen schon lange als unattraktiv gelten („Wenn er seine Suppe laut schlürft“). Es ist eine Gelegenheit, die rosarote Brille endlich einmal abzusetzen. Besonders in Trennungssituationen, oder wenn eigentlich harmlose Crushes nicht mehr aufhören wollen, kann ein Ick außerdem durchaus hilfreich sein.

Fazit: Icks können ein guter Indikator im Dating sein, aber auch dazu verleiten, alle menschlichen Macken abstoßend zu finden und einem nicht existierendem Ideal nachzujagen. Icks sind kein völlig neues Phänomen, lediglich Name und Fokus des Begriffs sind anders. Wir alle haben unsere eigenen unerklärlichen Icks und wir alle triggern wahrscheinlich ab und zu die Icks anderer. Das ist nicht schön, aber völlig okay.

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