Ich höre was, was du nicht hörst: Ein Besuch im virtuellen Museum „conserve the sound“

Eine junge Frau mit braunen, lockigen Haaren steht vor einer weißen Wand und hat bunte Kopfhörer auf.
Im virtuellen Museum „conserve the sound“ sind Geräusche zu hören, die vom Aussterben bedroht sind.

Emely Hofmann, funky-Jugendreporterin

Ein Videorekorder, ein Stadtplan und eine Milchkanne: Sie alle sind vom Aussterben bedroht. Zumindest die Geräusche, die die Gegenstände machen, wenn man sie haptisch nutzt und anfasst. Klar, es gibt auch digitale Stadtpläne und Videos lassen sich inzwischen meist mit einem Mausklick abspielen. Doch die Geräusche, die physischen Gegenstände aus einer anderen Zeit eigen waren, geraten immer mehr in Vergessenheit.  

Conserve the Sound: Ein Museum für aussterbende Geräusche 

Das Projekt „conserve the sound“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Geräusche nicht aussterben zu lassen – oder sie zumindest davor zu bewahren, in Vergessenheit zu geraten. In einem digitalen Museum wurden unterschiedliche Töne und Geräusche von Geräten aus dem vergangenen Jahrhundert archiviert. Dazu zählen Kameramodelle, Telefone und Schreibmaschinen. Neben den Geräuschen sind auch zahlreiche Interviews mit verschiedenen Persönlichkeiten zu sehen, die von ihren liebsten Geräuschen erzählen und die Erinnerungen teilen, die sie mit ihnen verbinden. Auf dem Instagram-Account des virtuellen Museums sind weitere Sounds zu finden, oft mit einem kurzen Video, das zeigt, wie das Geräusch entsteht. Hinter dem Account steckt die deutsche Design- und Video-Agentur „Chunderksen“, die mit dem Projekt auch international für Aufmerksamkeit sorgte. 

Quietschende Reifen auf dem Asphalt oder der surrende Kühlschrank in der Küche: Ähnlich wie Gerüche und anderen sensorischen Empfindungen haben auch Geräusche etwas sehr Nostalgisches. Die Geräusche werden im Gehirn abgespeichert, auch wenn sie nur hintergründig wahrgenommen werden, scheinbar wieder vergessen und lösen dann, wenn man sie wieder hört, Erinnerungen oder Empfindungen aus.  

Wenn ich an die Geräusche meiner Kindheit denke, kommen mir direkt Kassetten oder CDs in den Sinn, die im Abspielgerät leise knacken und flirren, bevor die Musik abgespielt wird. Bei meinen Eltern waren es wahrscheinlich Plattenspieler und das leise Kratzen der Nadel, wenn sie auf das Vinyl traf. Jede Generation hat ihre eigenen Geräusche, die mit ihr nach und nach aussterben. Wie schnell das inzwischen passieren kann, ist mir beim Stöbern im Onlinemuseum aufgefallen. Mit einigen Geräuschen konnte ich nicht viel anfangen, weil sie in meinem Leben nie eine Rolle gespielt haben. Eine Schreibmaschine? Zu oldschool, in meinem 26-jährigen Leben gab es nur Computer-Tastaturen. Ähnlich geht es mir mit einem Filmprojektor aus den 1960er-Jahren, der beim Abspielen der Spule fast wie ein Mofa klingt, so laut rattert es. Unter der Stechuhr, die nach einem Ratschen ein Klingeln von sich gibt, kann ich mir noch nicht mal etwas vorstellen.  

Eine Reise in die Vergangenheit 

Es sind also Geräusche von solchen Gegenständen, die jahrelang wie selbstverständlich zum Leben dazugehören, dann nur noch in der Ecke stehen, irgendwann im Keller oder auf dem Dachboden verstauben und letztlich von niemandem auf dem Trödelmarkt gekauft wurden. Neben der überdeutlichen Erkenntnis der Vergänglichkeit hält das virtuelle Archiv aber auch einige Sounds bereit, die mich direkt an vergangene Tage erinnern.  

Die 20 Cent-Münze wird klackernd eingeworfen, das kleine ratschende Rad gedreht und schließlich rollt der kleine, bunte Ball heraus: So klingt ein Kaugummiautomat. In meiner Kindheit habe ich einen Großteil meines Taschengelds in diese Automaten gesteckt. Inzwischen habe ich schon ewig keinen mehr gesehen und würde wahrscheinlich auch keinen der angelaufenen Kaugummibälle mehr essen wollen. Durch das Geräusch erneut an dieses Kindheitsritual erinnert zu werden, war also die bessere Variante der Nostalgie. 

Auch der Akt des Anrufens mit einem Wählscheibentelefon weckt beim Stöbern längst vergessene Erinnerungen. Zwar waren diese Telefone schon in meiner Kindheit out, meine beste Freundin hatte so ein Modell aber in ihrem Zimmer stehen. Für uns war es die größte Freude, stundelange an dieser Scheibe herumzudrehen – auch, wenn wir niemanden anrufen wollten. Die Audio-Aufnahme des leisen Schurrens, während die Scheibe sich auf ihre Ursprungsposition bewegte, lässt mich wieder kichernd mit ihr vor dem Telefon sitzen. Wenn ich jetzt jemanden anrufen möchte, tippen meine Finger nur leise über meine Smartphoneoberfläche. Da ist kein Geräusch, das mich später nostalgisch werden lassen könnte.  

Trotzdem ist die Welt, wie sie heute ist, wohl kaum leiser geworden. Es sind neue Geräusch dazu gekommen, andere wiederum geraten langsam in Vergessenheit. So haben jede Zeit und jede Generation ihre eigene Geräuschkulisse. Diese in einem digitalen Museum zu archivieren, ist eine ziemlich geniale Idee. Ein virtueller Besuch bei „conserve the sound“, gemeinsam mit den Eltern oder Großeltern, lohnt sich also. Lauscht und erzählt euch Erinnerungen und Geschichten, die ihr mit der Kaffeemühle aus den 1960ern, der Nintendo-Konsole aus den 1980ern und dem Sony Ericsson aus den 2000ern verbindet.

Hier geht es zu „conserve the sound“

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