Interview

Schule von morgen: „Wir hampeln immer noch mit den Endgeräten herum“

Zwei junge Frauen sitzen mit iPads an einem Tisch.
Der Küchentisch ist ein perfekter Rahmen, um sich über neue digitale Formate auszutauschen.
Janna Kühne, funky-Redakteurin

Berlin. Sie weiß, wie Digitalisierung geht: Anika Osthoff ist Lehrerin, Autorin, Mutter und Bildungsinfluencerin – nicht zwangsläufig in dieser Reihenfolge. In ihren Fächern Deutsch und Englisch sind I-Pad, Smart Board und Co für sie schon lange integraler Bestandteil des Unterrichtens. Welche Veränderungen das Einbinden digitaler Tools mit sich bringt und wie Eltern und Lehrkräfte Kindern und Jugendlichen die notwendigen digitalen Kompetenzen an die Hand geben können, verrät die 45-Jährige im Interview.

Liebe Anika, auf deiner Internetseite schreibst du, dass es dir ein wichtiges Anliegen ist, Schülerinnen und Schüler digital zu begleiten. Wieso?
Anika Osthoff: Dieses Bedürfnis entspringt meiner Rolle als Mama und Lehrerin. Ich beobachte das einerseits im schulischen Kontext, wo Digitalität auch problematisch sein kann, gerade im Umgang mit dem Klassenchat und Whatsapp. Aber ich habe auch bei meinen eigenen Kindern gemerkt, dass das nichts ist, was automatisch funktioniert. Kinder brauchen sowohl privat als auch in der Schule Anleitung und Begleitung. Zum einen, wie sie die Geräte sinnvoll nutzen können und nicht ausschließlich konsumieren. Zum anderen muss auch vermittelt werden, wo die Gefahren liegen und wo wirklich aufgepasst werden muss. Letzteres passiert sowohl in den Elternhäusern als auch in den Schulen noch zu wenig. Deswegen ist es mir wichtig, das zu fokussieren. 

Warum sind digitale Kompetenzen essenziell für Kinder und Jugendliche?
Unsere Welt ist digital. Das wird sich nicht ändern. Auch die Freizeit von Kindern und Jugendlichen gestaltet sich sehr digital, beispielsweise, wenn es um Verabredungen oder Social Media geht. Auch die zukünftige Berufswelt wird digital sein, egal in welchem Bereich. Man braucht digitale Kompetenzen, um auf diese Welt vorbereitet zu sein. 

Für Anika Osthoff ist der ständige Dialog mit den Kindern der Schlüssel zur Medienkompetenz.

Hast du mit deinen eigenen Kindern herausfordernde Situationen bei der digitalen Erziehung erlebt?
Auf jeden Fall. Das gehört einfach dazu, dass meine Kinder manchmal andere Vorstellungen davon haben, was sie dürfen sollten, als ich. Es ist ein ständiges Aushandeln: Was sind die Bedürfnisse und Wünsche des Kindes? Was dürfen seine Freundinnen und Freunde? Wie gehen wir als Familie damit um? Der ständige Dialog ist hier der Schlüssel. Und dann gab es Situationen, wo vor allem mein älteres Kind Erfahrungen gemacht hat, die nicht schön waren und die unsere Begleitung erfordert haben. Irgendwann kommen alle Kinder mit Onlinechats in Berührung, auch wenn Regeln abgesprochen und alle möglichen Sicherheitsmaßnahmen ergriffen wurden. Es kann passieren, dass sie online von Menschen angeschrieben werden, die es nicht gut mit ihnen meinen. Deshalb finde ich es so wichtig, dass Kinder auf so etwas vorbereitet sind und man darüber spricht, wie damit umgegangen wird. Ein anderes herausforderndes Feld ist, wenn Kinder online mit bestimmten Meinungen konfrontiert werden, die gerade auf Social-Media-Plattformen immer sehr verkürzt dargestellt werden. Das muss immer wieder gemeinsam eingeordnet werden. 

Gibt es neben dem Gespräch weitere Problemlösungsstrategien, die in schwierigen Situationen helfen können?
Einen Tipp habe ich von meiner Autorin und Freundin Inke Hummel übernommen. Sie hat ein Pubertätsbuch geschrieben. In diesem Buch gibt sie den Tipp, mit den Kindern Auto zu fahren. Kommunikation ist immer der Schlüssel. Insbesondere, wenn Kinder und Jugendliche im Teenageralter sind, gilt es, Räume zu schaffen, in denen man miteinander spricht. Wo man fragen kann: Was schaust du dir online an, was hörst du? Vielleicht kann man gemeinsam einen Podcast anhören, den das Kind gerade mag. Dafür sind Autofahrten einfach prädestiniert. Oder man lässt sich am Küchentisch Sachen zeigen, die das Kind interessieren. Man kann sich den Algorithmus gemeinsam anschauen, in dem sich das Kind gerade befindet und ihn zusammen trainieren, sodass nicht so viel Mist ausgespielt wird. 

An welchen Leitlinien können sich Eltern und Lehrkräfte orientieren, wenn sie Kinder bei der Orientierung in der digitalen Welt unterstützen wollen?
Ich finde es wichtig, Wissen Stück für Stück und begleitend zu vermitteln. Wenn meine Tochter mit zehn Jahren ein Smartphone bekommt, dann werden auf diesem Smartphone kein Instagram, kein Tiktok und keine Spiele sein. Das lässt sich über Elternapps einstellen. Die ganze Welt, die ein Gerät anbietet, muss nicht von Anfang an zugänglich werden. Stattdessen sollte man altersangemessen entscheiden, welche Apps installiert werden. Smartphone ist nicht gleich Smartphone. Es ist durchaus steuerbar. Deshalb müssen wir mit den Kindern im Gespräch bleiben und Nutzungsbedingungen gemeinsam aushandeln. 

Ich würde mir wünschen, dass Digitalausstattung an den Schulen selbstverständlich ist – das ist sie leider noch nicht.

Anika Osthoff

In deinem Buch „Schüler digital begleiten“ klärst du Lehrkräfte über die Tücken und Chancen der digitalen Welt auf. Kannst du die wichtigsten Punkte benennen? 
Die größte Tücke ist das hohe Ablenkungspotenzial. Wenn alle Schülerinnen und Schüler ein digitales Endgerät haben, muss man gut darauf achten, dass diese Endgeräte zielgerichtet eingesetzt werden und steuerbar sind. Die größte Chance ist der Mehrwert, den digitale Medien bieten. Sie lassen sich binnendifferenziert einsetzen und ermöglichen es, unterschiedliche Szenarien zu gestalten und Schülerleistungen besser auswerten zu können. Ich bekomme digital ein viel differenzierteres Feedback über einzelne Schülerleistungen, als wenn ich sie einfach auf einem Papier etwas rechnen lasse. Da wird sich mit der KI sicher auch noch eine Menge tun. 

Zum Thema KI: Welche Befürchtungen haben Lehrkräfte?
Die größte Sorge, die ich wahrnehme, ist, dass Schülerinnen und Schüler selbst keine Texte mehr schreiben. Und ein Stück weit stimmt das auch. Die Schule muss sich anpassen und klassische Aufgabenformate umdenken. Ich entwickle mit meinen Schülerinnen und Schülern Produkte. Sie drehen Legefilme, nehmen ihren eigenen Podcast auf. Dafür müssen sie sich mit dem Lernstoff auseinandersetzen und ihn in ein neues Format bringen. 

Welche praktischen Tipps funktionieren am besten?
Zuallererst braucht es einen guten Rahmen, in dem Digitalität genutzt werden kann. Wir nutzen eine Classroom-App. Wir arbeiten mit Relution, womit sich I-Pads so einstellen lassen, dass auch wirklich nur die Sachen genutzt werden, die gerade genutzt werden sollen. Auch die Anton-App ist sehr beliebt. Sie bietet gute Inhalte an, Spiele sind deaktivierbar und man bekommt als Lehrkraft ein gutes Feedback. Ansonsten funktionieren Tools, die man niedrigschwellig ausprobieren kann. 

Wie nimmst du die digitale Situation an den deutschen Schulen wahr?
Ich habe den Eindruck, dass sich seit Corona etwas tut, da die Notwendigkeit erkannt wurde. Ich würde mir wünschen, dass Digitalausstattung an den Schulen selbstverständlich ist – das ist sie leider noch nicht. Wir hampeln immer noch mit den Endgeräten herum und haben I-Pad-Koffer, die mühsam gewartet werden müssen. Auch WLAN ist an vielen Schulen ein Problem. Solange alles noch problemanfällig und aufwendig ist, gibt es bei Lehrkräften eine große Hemmschwelle, digital zu arbeiten. Da ist schon die halbe Stunde vorbei, ehe die Endgeräte alle angeschaltet und eingerichtet sind. Ich fände es schön, wenn jeder Schüler und jede Schülerin ein Endgerät bekommt. Leihweise auch gerne von der Schule, damit das nicht von der finanziellen Zahlungskraft der Eltern abhängt. Außerdem sollten alle Klassenräume mit WLAN und Beamern ausgestattet werden. 

Wie sieht die Schule von morgen idealerweise aus?
Die Schule von morgen ist ein Ort, an den Kinder und Jugendliche gerne kommen. Der angstfrei und ohne Druck ist. Wo die Räumlichkeiten so gestaltet werden, dass man sich dort wohlfühlt. Mit offenen Unterrichtsformen, in denen die Kinder und Jugendlichen binnendifferenziert da abgeholt werden, wo sie stehen. Es gibt alternative Prüfungsformate und tolle Toiletten.

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